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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Lichtung war mit Erlaubnis des Stadtförsters, der sich auch einfand, Reisig für Wachtfeuer und Stroh zum Nachtlager aufgeschichtet. Während die Feuer brannten und die darum gelagerten Jungen daran in Blechkannen Kaffee kochten, Reuter auch einzelne aussandte, um die Gegend zu rekognoscieren, sorgten er und der Förster für die Unterhaltung durch Geschichtenerzählen. Dann ward das Stroh ausgebreitet – o, wie gut schlief sick’s in der warmen Augustnacht im Freien! – und früh am Morgen unter den Strahlen der aufgehenden Sonne und dem Scheidegruß der erwachenden Vögel ging’s aus dem Wald wieder heim.

Wenn aber Reuter mit seinen fröhlichen Turnknaben zwischen den nur eine halbe Stunde vor Treptow gelegenen Nachbargütern Thalberg und Kleintetzleben vorüberzog, so ward der helle Wandergesang der Jugend zum Ständchen – bald für die liebsten Freunde, bald für die – Liebste. Wohl hatte seine Luise auf Thalberg mit Trauern die Hoffnung sich zerschlagen sehen, von hier aus etwa „als Herrin von 6 Last kulturfähigen Ackers und dreischüriger Wiesen“ an der Seite ihres Fritz ein eigen Heim zu beziehen, aber die resolute Art, wie dieser jetzt drauf und dran war, in Treptow als Lehrer dem gemeinsamen Glück ein „Hüsung“ zu gewinnen, war ihr, der Lehrerin, durchaus sympathisch. Mit Klavier- und Singunterricht konnte sie ihm dann helfen, das Nötige für den Haushalt zu verdienen. Und wenn sie es auch nicht über sich vermocht hatte, die Gastfreundschaft der Freunde ihres Manns, die nun die ihren auch geworden waren, über Jahresfrist hinaus in Anspruch zu nehmen, so hatte es sich doch gefügt, daß sie auf dem benachbarten Kleintetzleben beim Rittergutsbesitzer Hilgendorf, einem Schulfreunde Reuters, als Erzieherin Stellung fand. In dieser verblieb sie, bis sie einige Zeit vor der auf den 16. Juni 1851 anberaumten Hochzeit noch einmal ins Vaterhaus, wo auch diese stattfinden sollte, zurückkehrte. Die Nähe der Geliebten trug nicht wenig dazu bei, Reuter zu vollster Energie beim Einleben in den neuen Beruf anzuspornen. Wenn er des Sonntags als Gast auf Thalberg erschien, so war dafür gesorgt, daß er auch ein vertrauliches Plauderstündchen mit der geliebten Braut fand. Das innige Zusammenleben, das für ein späteres Eheglück für Verlobte so wichtige Sichverstehenlernen erfolgte nnn doch, und die große Beliebtheit, deren sich „Onkel Reuting“ bei alt und jung in der ganzen Gegend erfreute, ward ihr zu einem auch seine Schwächen verklärenden Spiegelbild seines Wesens. In ihrer Liebe für die Welt der Kleinen, ihrer Fähigkeit, den Humor der Kinderstube zu entfesseln und zu genießen, begegneten sich Beider Gemüter. „Kinderlieb“ waren sie beide in hohem Grade. Obgleich Reuter mit seiner „Stromzeit“ nun definitiv abgeschlossen hatte, übernahm er doch auch in diesem Jahr noch einmal die Verwaltung des Peters’schen Guts als Stellvertreter seines Herzensfreunds, als dieser zum Heer einberufen wurde.

Aus dieser Zeit stammen die folgenden Zeilen, die, so kurz sie sind, uns einen unmittelbaren Einblick in den Verkehr der Verlobten gewähren. Eine epidemische Kinderkrankheit ist in Thalberg eingezogen, während die Eltern fort sind; der gute „Unkel Eute“ übernimmt selbst die Pflege bei den vier Kleinen, die an ihm wie einem leiblichen Onkel hängen. Luise aus Tetzleben, die er mündlich vom Ausbruch der Krankheit unterrichtet hat, harrt bange der Nachrichten über den Verlauf, und mitten aus dem Krankentrubel heraus schreibt er ihr mit fliegender Feder:

 „Liebe Louise,
Ich schreibe also meinem Versprechen gemäß sogleich an Dich und zwar kann ich zu meiner Freude Dir beruhigende Nachricht geben. Diese letzte Nacht ist zwar unruhiger, wie die vorige gewesen, indessen sind alle Symptome der Art, daß beide Aerzte sich erklärt haben, wie dieselben zu dem nothwendigen regelrechten Verlauf der Krankheit gehörten. Fritz hat viel über Brennen geklagt und deßwegen wenig geschlafen; der arme Junge weinte bitterlich vor Schmerz; Hans ist recht schön ruhig gewesen und augenscheinlich in Besserung; Elise hat wirklich auch die Frieseln, es hat mit ihr jedoch einen ziemlich gefahrlosen Verlauf; Anna entschieden damit durch. Die Nachrichten sind also nicht trüber. – 0000000000000000000000– Soweit war ich, als ich gestört wurde. Diese Nacht habe ich theilweise gewacht und heute Morgen zu meiner Freude gehört, daß Alles weit besser steht. Alles ist auf dem Wege der Besserung.

Indem ich Dir dies in aller Eile melde, bitte ich Dich inständigst, Dich zu schonen und bei der geringsten Erkrankung mich davon in Kenntniß zu setzen.

Ich bin sehr wohl. Mit der herzlichsten Liebe

Dein Fritz.“ 

Erst als die so lang hinausgedehnte Brautschaft zu Ende ging und Luise ein letztes Mal vor der Hochzeit zu Hause weilte, um mit der Mutter die Aussteuer zu ordnen und die einfache Hochzeit vorzubereiten, sah sich das Paar wieder darauf angewiesen, die Herzen gegeneinander schriftlich auszusprechen. Und leider wurden gerade die Briefe, welche der Dichter so nahe dem Ziel an die Entfernte schrieb, zu Zeugnissen eines schweren inneren Konflikts, der die Wolkenschatten, die schon die Verlobung bedroht, über die Liebenden in einer Stärke heraufbeschwor, welche noch einmal ihre Vereinigung für immer in Frage stellte. Die unheimliche Krankheit, gegen deren Tücke er mit bewundernswerter sittlicher Kraft die Jahre daher angekämpft hatte, die denn auch unter dem Segen seiner vernünftigen Lebensweise, unter dem Einfluß von Kaltwasserkuren, deren er sich in Stuer unterzog, an Macht eingebüßt hatte, überfiel ihn gerade jetzt wieder einmal mit ihrer demütigenden Wirkung. Und er hielt es für seine Pflicht, der Braut davon Mitteilung zu machen. Schon Wilbrandt hat in seiner Biographie und bei Herausgabe der Nachlaßschriften des Dichters Bezug auf diese Wendung genommen, schon er hat hervorgehoben, wie sich gerade in diesem Vertrauen zu der Einen, die er zu seinem Weibe erkoren, die Idealität seiner Seele offenbart hat: seine Wahrheitsliebe duldete nicht, Luise im Unklaren über das Fortbestehen des Leidens zu lassen, vor dem sie ein Grauen empfand, und von dem sie mit ihm vermeinte, daß es durch sittliche Willenskraft sich unterdrücken ließe, während es doch nach dem Ausspruch des ihn behandelnden Arztes ein körperliches Siechtum war.

 „Meine liebe, einziggeliebte Luise
Ich weiß, Du hast die Gewohnheit, meine Briefe für Dich in Einsamkeit zu lesen. – So thue es denn auch dieses mal. –

Mein Schreiben ist traurigen Inhalts und nur Deine Liebe und die Gewißheit, ohne Dich nicht leben zu können, giebt mir den Muth zu der Nachricht, daß ich wieder gefallen bin. Ach das ist schlimm, so lange habe ich mich gut gehalten, so lange bin ich muthig geblieben und nun so kurz vor dem Ziele, so kurz vor dem Jahre lang ersehnten Ziele! – Es ist wahr, der Anfall war kurz und ist leicht überstanden, nur 2 Tage setzte ich meine Stunden aus; aber ich fühle es, in der Sache selbst ist dadurch nichts geändert.

Luise, meine engelgleiche Luise, laß noch einmal Deine Liebe zur verzeihenden werden, glaube mir, so kann es nicht wieder werden bei Deinem Hiersein, bei einer noch so engen beschränkten Häuslichkeit. Ich habe ja seit meinem 14ten Jahre nicht gewußt, was Häuslichkeit ist; bedenke, daß ich unmöglich so plötzlich mit einem Schlage einen Fehler ablegen kann, der sich so allmählig eingeschlichen, bedenke, daß keine große That ausgeführt ist, wo nicht besondere Umstände helfen, – und ist nicht die Entwöhnung von einem so alle Sinne in Anspruch nehmenden und alle freien Entschlüsse lähmenden Laster ein Großes und wo sind bisher die besonderen Umstände? – Was hilft mir dazu? Die Idee Deiner Liebe? – Ach Ideen kämpfen vergebens gegen die kleinen oder großen Schwächen des täglichen Lebens. Bedenke, daß alle meine Unterhaltung bisher in einem Wirthshausleben bestanden hat, daß mich sogar das tägliche Bedürfniß dorthin gerufen hat. – Aber laß Deine holde Gegenwart erst zur Wirklichkeit werden und Deine Liebe zur versöhnenden That, dann wird es anders. Gestern Abend saß ich so einsam hier im Zwielicht und dachte daran, ob Du es mir vergeben könntest, ob Du mir die alte theure Liebe bewahren könntest, und da wurde mir so vertrauend zu Sinn, ich dachte wenn Du hier wärst, dann würde Alles gut sein, dann müßtest Du mir vergeben … Gott wird in meiner Brust durch Deine Liebe jede gute Stimme wecken, damit ihm dieselben Lieder singen, Du wirst mein liebes, liebes Wiesing sein und bleiben.

So könnte ich fort und fort fahren, denn das Herz ist mir sehr voll. – Wenn das wahr ist, daß dieser Zustand ein körperlicher ist, so ist es gewiß schlimm, daß er noch einmal wiedergekehrt ist; aber nicht so schlimm, als wenn er früher wiedergekehrt wäre und lange nicht schlimm, als hätte er noch länger auf sich warten lassen. Vielleicht würde er grade durch die Ehe, als Ehe geheilt, gewiß ist es aber, daß er im Abnehmen ist und daß er aufhören wird.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 620. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0620.jpg&oldid=- (Version vom 2.12.2022)