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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

„Grimms? – was ist’s mit Grimms?“ fragte er.

Leo lachte noch immer.

„Das weißt Du noch nicht, Papa? Nun, Fräulein Dora Grimm ist die zukünftige Schwiegertochter unserer Mama!“

„Schwiegertochter? – Leo – Du –? – Und davon hörte ich bis jetzt nichts?“

„Ich weiß ja auch nichts weiter, Papa, und bin zunächst ganz unbeteiligt dabei. Besagte junge Dame ist mir eben von Mama zu diesem Ehrenamt ausersehen.“

„Ach, Du dummer Junge,“ lachte nun jene, „thu’ doch nicht so! Sein Hofmachen,“ fuhr sie zu ihrem Gatten gewendet fort, „wird da eben sehr freundlich aufgenommen, wie ich mit eigenen Augen sehe, und ich denke, er sollte nichts thun, sich das zu verscherzen.“

„O, über diese sorgsame Mutter! Höre einmal, Papa, sie hat es auch herausgebracht, daß Fräulein Olga Grimm, die älteste Schwester ihrer Schwiegertochter, eine halbe Million Mark zur Mitgift bekommen hat; das reizt sie so, daß sie sogar diesen ihren einzigen Sohn dafür losschlagen will.“

„Na, eine halbe Million ist ein Posten“, meinte der Geheimrat, in den Scherz einstimmend, „damit wärest Du am Ende über und über bezahlt. Aber bedenk’s Dir nur, Mamachen, der Heiratsthaler hatte schon in unserer Jugend nur fünf Silbergroschen, und danach hat die erheiratete Mark heutzutage sicher nur fünf Pfennige.“

Er lachte lustig und sein Sohn stimmte ein.

„Lacht nur!“ sagte die Mutter, wieder ganz ernst geworden, „es ist in der That Zeit, daß ich mich darum kümmere. Schließlich seid ihr verwöhnten Kinder doch alle darauf angewiesen. Kannst Du von Deinem Assessorengehalt eine Frau ernähren oder Dich auch nur selbst? Ich möchte Dir diese Erkenntnis und etwas Zielbewußtsein beibringen, dann kämen solche dummen Geschichten, wie die eben mit dem blonden Baby, nicht vor.“

„O weh – o weh – das Gewitter zieht noch einmal auf – ich rette mich!“ rief Leo mit munterem Ton aber mißvergnügtem Gesicht und lief eiligst zur Thür hinaus.

Während der Vater nun mit Lisbeth eine private Geschäftsangelegenheit besprach, folgte die Geheimrätin ihrem Sohn in sein Zimmer, setzte sich dort neben ihn auf das Sofa, und nachdem sie einige Fragen wegen seiner demnächst bevorstehenden Abreise an ihn gerichtet hatte, sagte sie plötzlich: „Du solltest wirklich verständig sein, Leo, und die Sache mit Dora Grimm perfekt werden lassen, ehe Du nach Berlin gehst.“

„Aber Mama, ich bitte Dich, wie kommst Du darauf?!“ meinte Leo unwillig, „ich habe nicht im entferntesten die Absicht, mich jetzt schon zu binden.“

„Und wenn Dir jemand zuvorkäme, Leo? Du solltest das wohl bedenken. Sie ist ohne Frage ein sehr reizendes Mädchen.“

Er pfiff plötzlich einen Gassenhauer vor sich hin.

„Eine kleine widerborstige Kröte ist sie,“ sagte er.

„Nun, die Widerspenstigkeit läßt sich bei einem Mädchen leicht zähmen, das so verliebt in den Mann ist wie sie in Dich“ - er lächelte geschmeichelt – „was hast Du denn sonst gegen sie?“

„O - weiter nichts, als daß sie nur ziemlich gleichgültig ist und ich ihr meine Freiheit noch nicht opfern möchte.“

Die Mutter zuckte die Achseln. „Solcher Unsinn! – Freiheit opfern – Du bist mir der Rechte!“

„Ich möchte erst einmal mein Leben genießen, wenn die dumme Examensgeschichte vorbei ist, und wie sich das mit der Bräutigamsstellung verträgt, das weiß man.“

„Leo, wie kannst Du so reden! Denken darf man so etwas allenfalls, aber aussprechen“ – sie machte eine geringschätzende Bewegung. „Gut, daß Papa Dich nicht hörte; ich weiß auch nicht recht, wie Du Dir das mit dem Lebensgenuß vorstellst, bei so beschränkten Mitteln. Hoffentlich überlegst Du es Dir mit Dora Grimm noch anders. Da ist wirklich solider Reichtum, und Du würdest Deine Zugehörigkeit zu solcher Familie wohl bald merken. Zumal jetzt in Berlin, meine ich, könnte Dir das recht lieb sein.“

„Was kann mir das nützen?“

„Was Dir das nützen würde? Aber, Kind! Meinst Du, die Kenntnis von Deiner Verlobung mit einem Mädchen aus so reichem, angesehenem Hause schaffte Dir keinen Kredit? Und mit dem, was Papa Dir geben kann, wirst Du dort wohl, wie ich Dich kenne, schlecht reichen.“

Er sah sie starr an.

„Potz Blitz, Mama,“ spöttelte er dann, „Du imponierst mir, was hast Du für einen anschlägigen Kopf! Da muß jeder gewiegte Geschäftsmann den Hut vor Dir abnehmen. Eine Braut zur Erweiterung des Kredits – das ist nicht ohne Schneid!“

„Drehe mir das nur nicht gleich wieder anders, als ich es gemeint habe,“ fiel die Mutter hastig ein. „Leichtfertige Schulden sollst Du keine machen, das versteht sich! Aber die Differenz zwischen einem ängstlichen Zurückhalten, wie es nun leider einmal unsere Verhältnisse gebieten, und einem standesgemäßen Auftreten – diese Differenz deckt ein reicher Schwiegerpapa mit Freuden, wenn er sein Töchterchen glücklich sieht.“

„Ob dieser Sachverhalt Fräulein Doras Glück gerade sehr steigern würde, das fragt sich noch,“ erwiderte er leichtfertig.

„Du würdest Dich wohl hüten, sie davon wissen zu lassen! Und wenn sie es nun später erfährt, was soll es schaden? Diese reichen Mädchen sind ja so ungeheuer eitel. Keine glaubt, daß man sie wegen des Geldes nimmt, jede hält sich allein für die Ausnahme. Von Kindheit auf werden sie mit Schmeicheleien aufgepäppelt, wo soll da die Selbsterkenntnis herkommen? Ich denke immer, es drückt geradezu auf den Verstand – wie könnten sie sonst stets gerade auf den Schlimmsten verfallen.“

Leo lachte laut auf und nahm scherzend seine Mutter in die Arme. „Na, liebe Alte, nun wirst Du aber anzüglich. Laß uns lieber abbrechen!“

„Und Deine Antwort?“

„Es ist bis nach Berlin Zeit damit,“ sagte er, führte die Mutter gravitätisch bis zur Thür und machte ihr dort eine tiefe Verbeugung – „bis dahin müssen die Muttergroschen ausreichen.“

(Fortsetzung folgt.)


Die neue Berliner „Urania“.

Von Franz Bendt. Mit Abbildungen von A. Kiekebusch.

In der Taubenstraße, welche in die große Verkehrsader der Reichshauptstadt, die Friedrichstraße, einmündet, erhebt sich ein mächtiges Gebäude, dessen Aeußeres auf eine eigenartige Verwendung deutet. Von doppelter Etagenhöhe schauen die Kolossalbüsten von Copernikus und Kepler, von Helmholtz und Werner Siemens herab. Sie verraten, daß man sich vor einem den Naturwissenschaften geweihten Hause befindet. Es ist das Gebäude der neuen „Urania“, die vor kurzem eröffnet wurde.

Schon am Schlusse der achtziger Jahre gründete zu Moabit bei Berlin die Privatgesellschaft „Urania“ auf Veranlassung des bekannten Astronomen Wilhelm Meyer ein der volkstümlichen Naturwissenschaft gewidmetes Institut. Wie es damals der Prospekt aussprach, beabsichtigte sie damit, die Freude an den Naturwissenschaften in weiteren Kreisen zu verbreiten und zu erhöhen.

Das neue Gebäude der „Urania“ soll durch ihre bequemere Lage dies Bestreben noch erleichtern.

Man hat unser Jahrhundert als das naturwissenschaftliche bezeichnet. Die Bezeichnung ist unzweifelhaft berechtigt, wenn man sich die erfolgreiche Thätigkeit unserer wissenschaftlichen Zeitgenossen auf diesem Gebiete vergegenwärtigt und des Interesses gedenkt, das alle Welt diesen Erfolgen zuwendet. Allein wirkliche naturwissenschaftliche Kenntnisse sind in weiteren Kreisen noch sehr wenig verbreitet. Kein Wunder, da sie aus Büchern und Zeitungen allein nicht geschöpft werden können, sondern vielfach erst durch unmittelbare Anschauung zu erwerben sind. Die letztere wird aber dem Laien

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 632. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0632.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2023)