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seiner Hand zu einer so ungeahnten Höhe emporwachsen sollte. Nach einem kurzen Aufenthalt bei den Eltern in Leyden siedelte er ganz nach Amsterdam über und galt dort bald, besonders im Porträt, als erster Namen: er schuf vor 1631 eine große Anzahl von Bildnissen, darunter mehrere seiner glänzendsten Werke, wie z. B. das heute im Haag befindliche wundervolle Bild des Anatomen Tulp und seiner Schüler, er erhielt Bestellungen vom Prinzen-Statthalter, und seine Bilder wurden ihm hoch bezahlt. Das Geld floß leicht in seine Kasse, allerdings ebenso leicht wieder heraus, denn er war ein sorgloser Haushalter und hatte eine verhängnisvolle Leidenschaft für schöne Schmucksachen, Raritäten, Prachtstoffe u. dergl., die er in seinem Atelier anhäufte, oder seiner schönen jungen Frau Saskia van Uylenburgh schenkte, die er 1634 heimführte. Die Glückszeiten dauerten indessen nicht lange: 1642 starb Saskia bei der Geburt eines Sohnes, Titus, nachdem drei frühere Kinder vorangegangen waren, und von hier an blieben Ungemach und Sorgen das Teil des Meisters, der sich immer tiefer in seine Arbeit vergrub, Bilder und Radierungen machte, aber die Ordnung seiner Geldangelegenheit versäumte und diese mit Leihen und Bürgen stets verschlimmerte. Rembrandts vorzugsweise der biblischen Welt entnommenen Stiche, z. B. das berühmte „Hundertguldenblatt“, entstammen großenteils jener Zeit. Bald häuften sich die Schicksale auf den stets menschenscheuer werdenden Künstler. Das Publikum fing an, seine Manier des Helldunkels unangenehm zu finden, und wandte seine Gunst den Porträts von Van Dyk und seiner Schule zu; die Geldverlegenheiten steigerten sich zu solcher Höhe, daß Rembrandt 1656 genötigt war, den Bankerott zu erklären, und nun wurde ihm alles genommen: sein geliebtes Haus mit den Ateliers und der Schätze bergenden „Kunstkammer“. Wohl arbeitete er rastlos weiter, verlor aber auch noch seinen Sohn und war zuletzt so vergessen von der Oeffentlichkeit, daß seine einst so hoch bezahlten Bilder um Bettelpreis zu haben waren und niemand von den Zeitgenossen seines am 8. Oktober 1669 erfolgten Todes nur erwähnt hat. Das nachfolgende Geschlecht heute vergessener Größen verachtete ihn als „Schmutzmaler“, dessen Zeichnung freilich durch ihre Richtung auf das Natürliche und Kräftige „nicht ganz schlecht gewesen sei“. Heute aber steht er längst anerkannt als einer der Hochbegnadigten, welche nur die Natur belauschen und getreulich wiederzugeben denken und dabei unbewußt überall die Spur ihres mächtigen Wesens dem Werke als Bestes aufprägen. Diese Wenigen sind die großen Genies der Menschheit.

In der Vorhalle der Großen Moschee zu Damaskus. (Zu dem Bilde S. 672 und 673.) Damaskus, die Hauptstadt Syriens, hat bis auf unsere Tage ihren alten Ruf zu wahren gewußt. Ihre Einwohnerzahl beträgt gegen 150000 und noch blühen in ihr die einst so berühmten orientalischen Industrien. Prächtige mit Gold und Silber durchwirkte Seidenstoffe und herrliche Perlmutterarbeiten werden in ihren Mauern von fleißigen Handwerkern erzeugt. Aus der Ferne gesehen macht das Stadtbild durch die vielen Kuppeln und Minarets, die aus dem Häusermeer emporragen, einen imposanten Eindruck. Zieht man durch eins der Thore in das Innere der Stadt ein, so fühlt man sich allerdings enttäuscht, denn die Straßen sind eng und winkelig, die einst schönen säulengezierten Bauten verfallen oder schlecht erhalten. Trotzdem weist Damaskus geschichtliche Sehenswürdigkeiten auf. Sein Stolz ist vor allem die Große Moschee, die leider vor drei Jahren durch Feuersbrunst stark gelitten hat.

An der Stätte eines großen heidnischen Tempelkomplexes wurde vermutlich schon durch Kaiser Arkadius (395 bis 408) eine christliche Kirche in byzantinischem Stile erbaut. Sie führte den Namen Johanneskirche nach ihrer kostbarsten Reliquie, dem Haupte Johannes des Täufers. Nach Eroberung der Stadt durch die Araber (635) wurde die eine Hälfte der Kirche den Christen gelassen. Erst 70 Jahre später zerstörte der Kalif Welîd die christlichen Altäre und verwandelte den byzantinischen Bau in eine herrliche Moschee, die von arabischen Schriftstellern als Weltwunder gepriesen wurde. Ueber hundert griechische Künstler sollen für ihn aus Byzanz gerufen worden sein. Antike Säulen wurden in ganz Syrien zusammengesucht, der Fußboden und die unteren Teile der Wände mit den seltensten Marmorarten bekleidet, die oberen Teile und die Kuppel mit Mosaiken bedeckt. Kostbare Steine zierten die Gebetsnischen, um deren Bogen sich goldene Weinreben rankten. Von der vergoldeten Decke hingen 600 schwere goldene Lampen herunter, welche allerdings schon der zweitfolgende Kalif durch einfachere ersetzen ließ. Dreihundert Jahre später zerstörte eine Feuersbrunst einen Teil der Moschee und seit der Eroberung von Damaskus durch Timurlenk im Jahre 1399 war sie nur noch ein Schatten ihrer früheren Herrlichkeit.

Auf unserem Bilde werfen wir einen Blick in die westliche Vorhalle des großen Moscheehofes. Wir sehen die vom byzantinisch-christlichen Bau erhaltenen Säulen mit den würfelförmigen Kapitälaufsätzen, und an der Wand Reste der Mosaik- und Marmorverkleidung, welche letztere spätere Flickarbeiten aufweist. Die reichverzierten Thürflügel geben uns am ehesten einen Begriff von der prunkvollen Ausstattung des ursprünglichen Kalifenbaues.

Bei dem Kultus der Mohammedaner spielt die Verehrung zahlloser Heiliger eine bedeutende Rolle. Ihre Grabesdome umgeben die größeren Städte und werden zu gewissen Zeiten, besonders vor dem Fastenmonat Ramadan, in festlichen Aufzügen besucht. Auf unserem Bilde werden in dem Moscheenhofe Vorbereitungen zu einer solchen Wallfahrt getroffen. In Damaskus zeichnen sich diese Aufzüge durch die Farbenpracht großer zeltförmig ausgebreiteter Fahnen und anderes originelles Beiwerk aus. Eine eigentümliche Rolle spielen bei diesen Aufzügen lebende Schlangen. Sie werden, um Hals und Arme gewunden, mitgetragen. Auch auf den Helmen mancher mit sarazenischen Ringpanzern bekleideten Araber sieht man dieselben, irgendwie befestigt, sich krümmen. In der Mittelgruppe unseres Bildes sind einige Schlangenbändiger im Begriffe, diese etwas eigensinnige Helmzier zu befestigen. Fremde, die als Zuschauer solchen Prozessionen beiwohnen, müssen auf ihrer Hut sein, da man in solcher Lage leicht fanatischen Angriffen ausgesetzt ist.

Im Zoologischen Garten. (Zu dem Bilde S. 669.) Die Zoologischen Gärten unserer Großstädte bilden seit Jahren Lieblingsplätze, an denen kinderreiche Familien Erholung und unterhaltende Belehrung suchen. Zweifellos zählt auch die Mutter mit den beiden Töchterchen auf unserm Bilde zu den Stammgästen eines solchen Gartens. Das merkt man schon an der Dreistigkeit, mit der das ältere Töchterchen, ohne sich vor den Straußen zu fürchten, eine ausgefallene Feder aus dem Gehege herausholt. An abgefallenen Blättern und Früchten der Roßkastanie hat das jüngere Kind gleich große Freude. Glückliche Kinderzeit, in der für die Kleinen solche Abfälle der Natur kostbare Schätze bedeuten! *

Herbst. (Zu dem Bilde S. 685.) Das lebensvolle Bild, in welchem die Herbststimmung so trefflich wiedergegeben ist, gewinnt für den Beschauer noch ein besonderes Interesse, wenn er erfährt, daß der Schöpfer desselben in der Ausübung seiner Kunst eine schier unglaublich klingende Schwierigkeit zu überwinden hat: Adam Siepen wurde ohne Hände geboren. Die von Lessing in „Emilia Galotti“ aufgeworfene Frage, ob Raphael nicht ein ebenso großer Maler gewesen wäre, wenn er unglücklicherweise ohne Hände wäre geboren worden, findet hier durch die Thatsache eine unvorhergesehene Beantwortung. Denn wenn auch Siepen nicht einem Raphael zu vergleichen ist, so beweist sein Schaffen doch unzweifelhaft, daß man auch ohne Hände ein tüchtiger Maler werden kann.

In Düren 1851 geboren, entwickelte der kleine Adam schon als Kind eine große Geschicklichkeit, sich der Füße als Hände zu bedienen. Gar bald regte sich auch der Künstler in ihm; er zeigte eine besondere Neigung zum Zeichnen und Malen und damit zugleich eine stetig wachsende ungewöhnliche Energie, die sich seinem künstlerischen Schaffenstrieb entgegenstellenden großen Schwierigkeiten zu überwinden. So hat er nach unverdrossenem Mühen es heute dahin gebracht, sich eine Virtuosität in der Technik anzueignen, die erstaunlich ist.

In der Düsseldorfer Schule erhielt er seine Ausbildung, hauptsächlich als Schüler von Professor J. Roeting, und nachdem er seine Studien in Dresden und München vor neun Jahren vollendet hatte, wählte er Düsseldorf wieder zu seinem bleibenden Wohnsitz. Der örtliche Einfluß giebt sich in seinen Bildern wohl zu erkennen, die nicht selten auch den feuchtfröhlichen rheinischen Humor wiederspiegeln. Dieser bekundet sich auch in einem Schreiben, worin er von seinem Schaffen folgendermaßen plaudert: „Was die Art und Weise, mit dem Fuße zu arbeiten, betrifft, so ist dies höchst einfach. Ich sitze vor der Staffelei, wie sie jeder Maler benutzt, auf niedrigem Tische und schwinge ohne Latte oder Malstock elegant das Malbein, während die Palette auf kleinem Gestelle bequem ‚zum Fuße‘ liegt. Mit sehr guter Gesundheit behaftet (unberufen), gedenke ich in erwähnter Weise noch einige Semester mitzuthun und aus der Thatsache, daß ich Scheffels ‚Gaudeamus‘ zu meinem Brevier erkieset, mögen Sie ersehen, daß ich das Leben nicht von der trockensten Seite aufzufassen gewohnt bin.“

Seine Malweise ist nichts weniger als eine rohe Klexerei, die von ihm wohl eher wie von so vielen der modernen faustbegabten Kraftgenies mit Nachsicht aufzunehmen wäre. Siepen befleißigt sich einer gediegenen Durchführung, die er nicht nur in der Landschaft, sondern auch im Porträt und im Genre aufs glücklichste bethätigt. Dabei weiß er ebenso treffend wie die elegante Frauengestalt in dem vorliegenden Bilde auch die dralle Bäuerin auf die Leinwand zu zaubern. Und wer seine Bilder auf der Ausstellung betrachtet, ohne mit dem besonderen Umstand der Herstellung bekannt zu sein, der wird sicher nicht daran denken, daß er vor einem Kunstwerk steht, dessen Autor ohne Hände geboren wurde. D.     

Die Wetterlaunen dieses Jahres. Das Wetter ließ in diesem Jahre bei uns in Europa viel zu wünschen übrig. Wir haben einen ungewöhnlich kühlen, regnerischen Sommer gehabt und in verschiedenen Gegenden haben Stürme und Hochwasser schlimme Verwüstungen angerichtet. In anderen Weltteilen war die Witterung gleichfalls ungünstig und auch in Australien und Nordamerika klagte man über Unbilden des Wetters. Dort aber war es zu heiß. Zu Anfang Januar wurde Australien von einer fürchterlichen Hitze betroffen, an der Tausende von Menschen und zahllose Tiere zu Grunde gingen. Während drei Wochen sank die Temperatur an vielen Ortschaften nicht unter 40° C. Am Ufer des Darlingflusses in Neu-Süd-Wales wurden am 1. Januar 44,4° C. im Schatten beobachtet. Die Hitze hielt an und stieg am 7. Januar auf 50,6°, am 15. und 16. Januar auf 52,9° und am 18. desselben Monats sogar auf 53,9°! – Im August trat in den Vereinigten Staaten von Nordamerika gleichfalls ein überaus heißes Wetter ein. Am 7. erreichte die Temperatur 32,8° C. und am 11. sogar 34,4° C. In verschiedenen Städten wurden inmitten der Straßen Temperaturen bis 40° beobachtet. Diese Hitze wurde durch zwei besondere Umstände lästig und gefährlich. Die Luft war windstill und blieb außerordentlich feucht. Darum war die Abkühlung des Körpers durch Transpiration erschwert und es häuften sich in der That Hitzschläge in erschreckender Zahl. In New-York allein starben daran in der Zeit vom 5. bis 12. August 625 Menschen, während die Zahl der gefallenen Pferde auf mehr als 1500 geschätzt wird. *      


manicula Hierzu Kunstbeilage XI: Rembrandt van Ryn. Selbstporträt.

Inhalt: [ Verzeichnis der Beiträge und Illustrationen dieser Nr. – z. Zt. nicht dargestellt.]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. 0Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 688. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0688.jpg&oldid=- (Version vom 15.7.2023)