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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

Augen, die nun so wonnig strahlten, in das rosige Gesichtchen, das nun so herzlich lachte, als gäbe es keinen Hunger und keine Müdigkeit auf der Welt. – „Aber wollen wir nicht noch einmal zurück nach den ,Linden’? – Wir können uns jetzt doch unmöglich schon trennen, nachdem wir uns eben erst gefunden haben.“

„Papa erwartet mich zum Mittagessen um fünf Uhr – und P pünktlich mich ich sein als - -“

„Soldatentochter,“ ergänzte er.

„Nein, als anständiger Mensch, sagt Papa immer.“

„Da hat er auch recht, und pünktlich sollen Sie auch sein. Aber sehen Sie her, wir haben noch zwölf Minuten, da gehen wir noch einmal bis zum Brandenburger Thor. Stützen Sie sich nur fest, der – Tölpel hat Ihnen vorhin gewiß wehe gethan!“ Und er sah auf ihre kleinen, in zierlichen Lackstiefelchen steckenden Füße mit solcher Teilnahme herab, als fürchtete er das Schlimmste für dieselben.

Sie lächelte und lehnte sich fest auf seinen Arm. Es that ihr himmlisch wohl, sich so beschützt, so umsorgt zu fühlen, und mit der ganzen Elasticität ihrer Jugend schwang sich ihre Seele aus dem Gefühl grenzenloser Verzagtheit in das unendlicher Glückseligkeit hinüber. – Wie schön es sich schwatzte, fast als wären sie alle Tage zusammen gewesen, als lägen nicht lange, schwere acht Monate dazwischen! Auf die „Linden“ fiel kein Blick von den beiden, ihre Unterhaltung nahm sie ganz in Anspruch, und laut und herzlich lachend wie früher im Ballsaal hatten sie nur Augen für einander.

Ein berittener Schutzmann sprengte durch das Thor.

„Die Majestäten!“ - rief Leo, machte Front und entblößte sein Haupt, während Fräulein Annie, zitternd vor Aufregung auch über diese Begegnung, mit der tiefsten Verbeugung in die kaiserliche Equipage grüßte, aus welcher ihr ein wohlwollender Gegengruß des Kaisers und ein freundliches Lächeln und Nicken der Kaiserin dankte.

„Sie haben mich angesehen!“ rief ganz begeistert das kleine Fräulein, „bemerkten Sie es, wie der Kaiser mir ins Gesicht sah?“

„Natürlich,“ sagte er, „er teilt die Eigentümlichkeit mit anderen Menschen, daß er auch gern etwas Schönes sieht.“

„Ach!“ – sie wandte sich weg, um die Purpurröte zu verbergen, die ihr über Stirn und Wangen flog, „Sie sind noch immer der alte Spottvogel!“

Er zog ihren Arm wieder durch den seinen und machte eine vorstellende Bewegung mit der rechten Hand: „Und hier, gnädiges Fräulein, schauen Sie her, das ist die zweite Ueberraschung, die ich für Sie veranstaltet habe: die kaiserlichen Prinzen!“

Wieder rollte blitzschnell ein Hofwagen daher – lauter muntere Kindergesichtchen drängten sich darin zusammen – laute jubelnde Zurufe erschallten von allen Seiten, und die Matrosenhütchen flogen von den blonden Köpfchen.

„Nun, habe ich’s gut gemacht?“ fragte Leo und freute sich an dem strahlenden Lächeln, das ihm dankte.

„Ach, dieses köstliche Berlin,“ schwärmte Annie, „es berauscht förmlich! Ich denke, auf der ganzen Welt giebt’s keinen schöneren Ort. Aber nun müssen wir wohl umkehren?“

Er hielt ihr seine Hand hin. „Sehen Sie, ich halte hier die Uhr – Sie sollen keine Minute versäumen, aber ich will auch keine verlieren.“ Und so gingen sie langsam, ganz langsam weiter und dann zurück. An dem Englischen Botschaftspalais blieb er stehen.

„Nun muß ich mich Wohl beurlauben; aber ist’s denn notwendig, Fräulein Annie, daß wir uns schon verabschieden? Darf ich dem Herrn Oberst nicht meine Aufwartung machen? Und wann? Vielleicht sofort, wenn Sie mir gestatten, Sie bis ins Hotel zu bringen?“

Sie nickte lächelnd, und bald standen die beiden im Hotel dem Oberst gegenüber, der eben sich vom Schreibtische erhob.

„Na – alle Wetter, Kleine, da bist Du ja – und in Gesellschaft! –“

„Papa, denke Dir, welch’ ein Glück – ich habe unterwegs Herrn Brückner getroffen, der so freundlich war, mir die Majestäten zu zeigen und mich hierher zu begleiten.“

„Ah, der Sohn unsres lieben Geheimrats? Sie sind ja wohl hier wegen Ihres Examens? Sehr freundlich von Ihnen, mein lieber Herr Brückner, daß Sie sich meiner Kleinen annahmen –“

„Bitte, Herr Oberst, es war mir eine große Freude –

„Papa,“ unterbrach ihn Annie, „und die kleinen kaiserlichen Prinzen habe ich auch gesehen süße entzückende Geschöpfe! – Ach, Papa, überhaupt es ist doch köstlich, dieses Berlin!“ Sie drängte sich zärtlich an ihn. „Ich kann Dir nicht genug danken, daß Du mich mitgenommen hast.“

„Nun, das freut mich, Kind, freut mich aufrichtig. Ich fürchtete schon, das Alleinsein – –“

„Ach, Papachen,“ rief Annie dagegen, „wie kann man in diesem Menschentrubel sich allein fühlen? Und dann, wieviel giebt’s zu sehen jeden Augenblick etwas Neues und Interessantes!“

„Ich würde mich glücklich schätzen, Fräulein Annie vielleicht morgen als Führer dienen zu können, wenn der Herr Oberst verhindert sein sollten. Vielleicht darf ich vormittags anfragen?“

„Sehr liebenswürdig – ich weiß aber in der That noch nicht – es wäre ja möglich –“

„Wenn Herr Oberst gestatten, würde ich mich um halb elf Uhr hier einfinden, um anzufragen –“

„Schön! Wird mir sehr angenehm sein.“

„So gestatten mir Herr Oberst, mich für heute zu empfehlen.“

Dieser reichte ihm freundlich die Hand, ebenso Annie, die selig lächelte.

„So, nun laß uns aber zu Tische gehen!“ rief der Oberst, nachdem der junge Mann sich entfernt hatte. „Ich hätte ihn gerne zum Essen dabehalten, aber ich ließ in Deinem Zimmer für uns decken und wir wollen dieses Geschäft schnell besorgen, da ich leider so viel wichtigere und dringendere habe.“

„Da wirst Du wohl gar nicht in die Oper gehen können, Papachen?“ fragte sie, während sie die Suppe hastig auslöffelte, indes er dabei in ein Blatt mit Notizen blickte, das er aus seiner Rocktasche hervorgezogen hatte.

„Ich bringe Dich hin, mein Kind, und hole Dich ab - selbst sie zu hören, ist mir unmöglich. Aber Du sollst darum nicht zu kurz kommen.“

„Ach, Papachen, erlaube doch, daß ich zu Hause bleibe! Man kam: doch nicht alles sehen! Ich bin recht müde – und mich hinzubringen und wieder abzuholen, würde Dir ja doch so viele Zeit kosten.“

„Ist es Dir nicht schwer, darauf zu verzichten, Annie, dann ist’s mir lieb. Ich habe so viel zu thun, daß wohl die halbe Nacht und mehr über die Schreiberei hingeht. Und morgen, Töchterchen, wird’s auch nicht viel anders sein. Ich muß wieder um elf Uhr fort und kann schwerlich mit Dir zu Mittag essen da ich mit ein paar Herren aus dem Kriegsministerium ein gemeinschaftliches Zusammenbleiben verabredet habe. Es ging nicht anders, mein Kind – ich bedauerte schon, Dich hergebracht zu haben, da ich Dir so wenig bieten kann.“

„Aber, Papachen, das wußte ich ja, daß Du beschäftigt bist, und Du darfst Dich durch mich nicht stören lassen, ich amüsiere mich auch so ganz prächtig. – Ueberdies hat sich ja auch Herr Brückner angeboten –“

„Freilich, der junge Brückner – der Sohn vom Geheimrat – unser durchgefallener Referendar!“

„Nein, Papachen, eigentlich durchgefallen ist er doch nicht. Er muß nur einen Teil des Examens wiederholen.“

„Ach so,“ lachte jovial der Oberst, „nach dem Muster: ,weil er es so schön gemacht, soll er es gleich noch einmal machen,’ sagte der Herr Examinator!“

Annie sah etwas vorwurfsvoll drein. „Er meint,“ berichtete sie, „es wäre für ihn sehr vorteilhaft, daß er so eingehende Studien hier hätte treiben können. Wahrscheinlich würde er nach dem Examen gleich ins Ministerium kommen und da so lange bleiben, bis sich auswärts eine günstige Stellung für ihn fände.“

Der Oberst horchte hin. „So, das wußte ich nicht,“ sagte er, „also so günstig sind seine Aussichten? Nun, das freut mich - freut mich wirklich sehr für den Geheimrat. Seit ich weiß, was uns die Jungen für Sorgen machen können, freue ich mich immer, wenn’s einem gut geht, für seinen Vater.“

„Papachen“ – der Atem ging bei Fräulein Annie plötzlich sehr schnell, sie meinte, man müßte ihr Herz klopfen hören - - „Papachen, der Herr Referendar hat mir angeboten, mir morgen das Zeughaus und die interessanten Geschütze dort zu zeigen, vorausgesetzt, daß Du es gestattest.“

Der Herr Oberst zog die Stirn kraus. „Was versteht der von Geschützen!“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 759. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0759.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2018)