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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

mußte mich doch vergewissern, ob ich mich bei der Bewerbung um ein Kommunalamt auf sein mir früher gespendetes Lob beziehen darf.“

„Und was sagte er Dir?“

„Er sei zu jeder Empfehlung bereit.“

„Aber das ist ja wirklich sehr – gütig! Ich werde ihm gelegentlich meinen Dank aussprechen. Uebrigens war das wohl nur eine Form – die Angelegenheit mit der Stadtratsstelle in C. ist doch erledigt?“

„Ja,“ sagte Leo ruhig, „die ist längst besetzt. Aber das war wohl auch zu hoch gegriffen. Mit solchem Amt in solcher großen Stadt enden andere und bessere ihre Beamtenlaufbahn, ich werde also wohl kleiner anfangen müssen.“

Der Geheimrat - schwieg bekümmert und seine Gattin wand unter dem Tische die Hände nervös ineinander. Noch kleiner – noch kleiner – er, der sonst nur von den höchsten Aemtern und Würden geträumt – und wie gelassen er das sagte! War es nicht furchtbar, daß ein Mensch so herunterkommen konnte! –

Bei Waldens wurde, viel früher als man es erwartet hatte, ein Söhnchen geboren, das wenige Stunden nach seiner Geburt starb. Zunächst war es nur die Sorge um das Leben der jungen Frau, welche die Ihrigen in die größte Angst versetzte und wochenlang darin erhielt. Dann erst, nachdem eine Wendung zum besseren eintrat und die täglichen Briefe und Depeschen, welche Walden an seine Schwiegereltern sandte, zunächst einen beruhigenden Ton hatten und später die sichere Erwartung der Genesung aussprachen, begannen die Thränen der Frau Geheimrat über die so grausam zerstörten Hoffnungen zu fließen. Mein Gott, was sollte nun werden? Wie konnte der Himmel es zulassen, daß dieser einzige Rettungsanker versagte! Welch eine schöne und heilige Mission hatte dieses Kind erfüllen sollen, indem es seine Eltern in Liebe vereinte, sie zusammenfügte zu seelischer Gemeinschaft! Sie schloß die Augen vor der Zukunft, eine Ahnung sagte ihr, daß der Kummer um Elfe noch nicht seinen Höhepunkt erreicht habe und ihnen allen noch Schweres bevorstehe!

So lange Elfes Leben in Gefahr schwebte, hatten die Aerzte durchaus verlangt, daß jeder Besuch der Ihrigen unterbliebe. Nun sie es gestattet hätten, lehnte Elfe es ab, und die Mutter dankte es ihr. Sie selbst hätte ihren Gatten jetzt unter keinen Umständen verlassen, da die vielfachen Aufregungen ihn sehr nervös gemacht und auch körperlich so heruntergebracht hatten, daß sie vor allen Dingen auf ihn Rücksicht nehmen mußte, der am leichtesten sein Gleichgewicht im beständigen Zusammensein mit ihr wiederfand. Und Lisbeth nach Berlin zu schicken, wie es vorher verabredet gewesen war, hätte ihr jetzt auch neue Unruhe bereitet, denn Arnold Römer war ja dort, und in der Abneigung, die sie gegen ihn fühlte, erwog sie weder die räumliche Trennung, die auch dort zwischen den beiden bestehen würde, noch die durch die Pflege der Schwester bedingte Inanspruchnahme Lisbeths!

Elfe war ja auch wie eine Prinzessin versorgt. Die berühmtesten Aerzte der Residenz gaben sich ein Rendezvous an ihrem Krankenbette, erprobte Pflegerinnen lasen den leisesten Wunsch von ihren Augen, bewachten ihren Schlaf, wenn diese sich schlössen, und Walden schien nur noch den einen Lebenszweck zu kennen, alles herbeizutragen, was ihr gut thun, was sie stärken oder erfreuen könnte. Und als sie einmal, gerührt von dieser Güte, zu ihm sagte: „Ich bin so vieler Liebe gar nicht wert,“ kannte sein Entzücken keine Grenze und er wiederholte diese Worte so oft jedem, mit dem er in Berührung kam, daß man schon über den älteren Mann lächelte, der sich mit diesem dehnbaren Ausspruch seiner jungen schönen Frau brüstete.

So war der Winter hingegangen unter manchem Kummer und mancher Sorge; aber jetzt, da die Frühlingssonne durch jedes Fenster und in jedes Herz hineinschien, fand sie schon viel hellere Augen, sowohl bei den alten Römers, als bei Giersbachs und Brückners. Bei letzteren hatte sich der kleine Familienkreis noch verkleinert; Leo war, schon zum zweitenmal in den letzten Monaten, zu einem längeren Besuch nach dem kleinen Landstädtchen W. an der russischen Grenze, in welchem sein Freund als Arzt praktizierte, gereist, und vor acht Tagen hatte eine Karte den Seinen mitgeteilt, daß er in dieser Woche heimkehren würde.

Der Geheimrat mutmaßte, daß irgend ein Plan, irgend eine Besprechung wegen seiner Zukunft ihn dorthin führe, aber er fürchtete sich selbst so sehr vor immer neuen Enttäuschungen, daß er nicht fragen mochte, vor allen Dingen auch, um seiner Frau gegenüber mit Erfolg als Uneingeweihter zu erscheinen.

Eben brauste der Kurierzug in die Bahnhofshalle, und, seinen Handkoffer an sich nehmend, schwang sich Leo aus seinem Coupe in das Menschengewühl hinein, das auf dem Bahnsteige hin- und herflutete. Seine Augen überflogen dasselbe und ein erleichternder Atemzug ging über seine Lippen, als er kein bekanntes Gesicht erblickte. Mit mancher kräftigen Bewegung sich Platz schaffend, durchschritt er die Menge, wandte sich dann an einen Bahnhofsdiener und übergab ihm Gepäck und Reisemantel zur Besorgung, während er selbst, Krawatte und Hut noch ein wenig zurechtrückend, einen anderen Weg einschlug und nach einem ziemlich hastig zurückgelegten Gange den kleinen Stadtpark erreichte, der so unendlich oft im Herbste und Winter das Ziel seiner Wanderungen gewesen war.

Jetzt bedeckten den Boden schon sprießende Gräser, das Unterholz zeigte überall kleine Blättchen und die Bäume trugen so große Knospen, daß wohl der erste warme Regen sie springen ließ. In den Sonnenstreifen, die durch die Bäume fielen, spielten goldgelbe Falter.

Aber die Schönheit dieses Frühlingsabends kann die Gedanken Leos nicht fesseln. Er läßt unruhig den suchenden Blick auf den Weg nach der Stadt schweifen. „Wenn sie sich gesehnt hat wie ich mich nach diesem Zusammensein, dann muß sie kommen,“ murmelt er leise vor sich hin; „sie weiß es doch, daß vorgestern der entscheidende Tag war und daß ich somit heute hier sein kann!“

Und wie er wieder nach der Lichtung geht und spähend seine Augen umherschweifen läßt, da zuckt er freudig zusammen, denn dort biegt eben eine wohlbekannte liebe Gestalt in den Weg und wenige Minuten später in das Wäldchen ein, und Annie schreit hellauf, als plötzlich Leo vor ihr steht.

„Sie hier – wirklich, Sie sind zurück?“ ruft sie freudestrahlend, und wie er ihre beiden Hände in die seinen nimmt und zärtlich drückt, erklärt sie ihm hoch errötend dieses merkwürdige Zusammentreffen. „Das herrliche Wetter lockte mich heraus, und da wollte ich doch einmal sehen, ob hier auch schon Anemonen blühen wie in anderen Wäldern.“

Er sah zärtlich auf sie herab und fragte dann: „War das wirklich der alleinige Grund, Fräulein Annie? Sie wussten es, vorgestern war der große Tag für mich, da dachten Sie – gestehen Sie es nur: wenn er sich so gesehnt nach mir, wie ich mich nach ihm, dann kommt er heute zurück und kommt in unserer Stunde nach unserem Wäldchen, denn ich muß doch zuerst die Neuigkeit hören!

War’s nicht so?“ –und er legte leicht seinen Arm um ihre Schulter.

Sie errötete noch tiefer und ihre Augen flogen unruhig umher, bis sie mit seinen strahlenden zusammentrafen.

„So ungefähr –“ meinte sie stockend und sich ein wenig von ihm zurückziehend, um sich dann wieder lebhafter ihm zuzuwenden: „Also? – Was bringen Sie für Nachricht?“

„Gute!“ sagte er einfach und verschlang fast mit seinen Augen dieses rosige Geschichtchen, in dem die Freude in jedem Muskel zuckte „Sie sind gewählt!“ rief sie jubelnd und schlug die Hände zusammen. „Ihre Hoffnung ist erfüllt! Sind Sie nun auch sehr, sehr glücklich?“

„Gewiß!“ sagte er. „Man ging sehr gut mit mir um, fast einstimmig fiel die Wahl auf mich, und, Annie, ich sagte mir in jener Stunde immer wieder: ich will dieses Vertrauen verdienen!“

Sie nickte schweigend.

„Gestern hatte ich danach noch viele Besuche zu machen, viele Verabredungen zu treffen – ich kam nicht mehr recht zum Bewusstsein – und heute dann, als ich die vielen Stunden allein im Coupé saß, drängten sich mir erst die Schattenseiten dieses Schrittes auf, und ich habe eigentlich Schweres durchgemacht.“

Voll Verwunderung richteten sich ihre Augen auf ihn. „Ich verstehe Sie nicht.“

„Sehen Sie, Fräulein Annie, es sind doch nur kleine, ganz kleine Verhältnisse, in die ich hineinkomme.“

„Das wussten Sie doch, das konnte Sie doch nicht überraschen! Sie kannten ja das Städtchen von achttausend Einwohnern.“

„Und es sind auch ziemlich schwierige Zustände; die Stadt ist arm, und es ist durch die lange Krankheit meines Vorgängers in dem Kommunalwesen alles vernachlässigt und zurückgeblieben.“

„Wissen Sie nicht mehr, daß Papa Ihnen noch neulich gesagt, das sei gerade das Gute für Sie! Da könnten Sie Ihre Kraft zeigen und sich die Sporen verdienen.“

„Ich dachte bei der Betrachtung dieser Ärmlichkeit auch nicht an mich, sondern - -“

„An wen denn sonst?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0826.jpg&oldid=- (Version vom 21.12.2016)