Seite:Die Gartenlaube (1896) 0863.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

beschaulichen Seligkeit „tief unter der Erd’“. – Eine eigenartige Ausschmückung hat der Grundsteinkeller erst kürzlich durch eine Anzahl Modelle hanseatischer Kriegs- und Handelsschiffe verschiedener Zeiten erhalten, die von den Schlußsteinen der Gewölbe herabhängen.

Zurück geht es, zunächst in den Schenkeraum, dessen überaus reichen Bilderschmuck an Pfeilern und Gewölben der Maler Jordan in Hannover geschaffen hat. Die Gewölbemalerei schildert die Entstehung des Weines: im Sonnenschein und Nebel, durch das stille Wirken der Naturkräfte – Feuer, Wasser, Luft und Erde wachsen und reifen die Trauben, von emsigen Händen werden sie gesammelt, gekeltert und kredenzt. Die beglückende Wirkung des Sonnenscheins preist ein Spruch im mittleren Bogenfelde:

„Sonne, du hast der Erde das Leben,
Dem Wein die feurige Glut gegeben,
Drum wird dem rechten Zecher beim Wein
So wohlig, als tränke er Sonnenschein.“

Geräte und Erzeugnisse der Gemüse- und Blumenzucht, des Weins und des Obstbaues, der Jagd und des Fischfanges verzieren in bunten Gehängen nebst allegorischen Gestalten die Gewölbepfeiler, nach Art der Wandbeläge in den alten hamburgischen Kaufmannshäusern. Der Freund des Kunstgewerbes erfreut sich hier an der von Wesselys Werkstatt in Hamburg wiedererweckten Technik der Kachelmalerei, durch die Jordans Entwürfe zur Ausführung gelangten. Daß hier wie in den anderen Hallen eine blendende Fülle des elektrischen Lichtes alle die Herrlichkeiten zu voller Geltung kommen läßt, braucht füglich kaum erwähnt zu werden. Stundenlang kann man mit Genuß beschauen und bewundern, und wohl darf den Hamburger das Gefühl stolzer Freude überkommen, daß diese Räume nicht nur dem leiblichen Genusse dienen, dem engherzig zu frönen seine gute Stadt mit Unrecht verschrieen wird, sondern daß sie auch den Beschauer zauberisch entrücken aus dem alltäglichen Getriebe in die heiteren Gefilde der Kunst.

„Nun aber,“ mahnte ich den Beschauer, der sich von dem farbenprächtigen Anblick des Schenkeraums gar nicht trennen zu wollen schien, „gelangen wir zu einem Paradiese der Jugend und wonnigen Schönheit, wie es ein dichterisch veranlagtes Menschenkind genannt hat, zu dem schon erwähnten ,Rosenkranz‘.“

Entzückend ist der Anblick, den dies Gelaß bietet. Kreisrund ist die Halle, deren von Stichkappen durchschnittene und durch einen steinernen Rosenkranz wagerecht geteilte Kuppel einen eigenartigen buntschimmernden Schmuck erhalten hat: Frühlingsblumen und Blüten breiten einen reichgemusterten Teppich über Gewölbe und Kappen, und auf dem glänzenden Hintergrund schwingt sich im Tanze ein Kreis anmutiger Mädchengestalten in der Gewandung des Mittelalters. Der Hamburger Maler Düyffcke hat sich um dies Kleinod des Kellers verdient gemacht.

„Das zierliche Erzstandbild des Bacchus dort in der Nische des Holzgetäfels,“ so berichtete ich, „entstammt dem alten hamburgischen Ratsweinkeller. Da gemäß der Ueberlieferung ein besonders lieblich geschmückter Raum als ‚Rosenkranz‘ bezeichnet und dadurch dem schönen Geschlecht zur Trinkstube gewidmet wurde, durfte auch dieses Bacchusbild nicht fehlen, das ein Freund des Rathauses an sich gebracht und nun seiner ursprünglichen Bedeutung zurückgegeben hat. Denn eine artige Sage von der Zauberkraft dieses Standbildes knüpft sich an das feine Figürchen. Zu Nutz und Frommen junger Mädchen im heiratsfähigen Alter erzählt es der Spruch dort an der Wand zu Häupten des Gottes.“

Mein Freund las:

„Seht der Mädchen Ringelreih’n mit den Rosenkränzen,
Seht der Jugend Wiedersehein im Pokale glänzen,
Seht, wie Bacchus fröhlich lacht, denkend alter Tage;
Denn von seiner Zaubermacht kündet uns die Sage:
Wenn die Maid den Bacchus küßt, heimlich und verschwiegen,
Wird beglückt in Jahresfrist sie ein Herz besiegen.“

Ob’s sich bewährt? Noch kann es niemand sagen. Erst seit dem 25. April 1896 stehen die Pforten des Kellers geöffnet, also die Jahresfrist ist noch nicht um. Daß der schüchterne Versuch gemacht sein dürfte, die Wahrheit des Spruches zu ergründen, wird der Menschenkenner kaum bezweifeln, denn – der Versuch kann ja nicht schaden .. und es thut just nicht weh – auch sieht es gerade niemand …

„Also hier,“ so unterbrach der Freund meinen Gedankengang, „tafeln die Herren des Rates bei besonderen Veranlassungen unter sich, kraft ihres Vorrechtes?“

„Das steht ihnen zu. Ich erinnere mich nicht, in den hamburgischen Mären der Vorzeit Aehnliches vom Keller des Eimbeckschen Hauses gelesen zu haben. Wohl aber entsinne ich mich eines anderen Sonderrechtes, das sich zu grauer Vorzeit an die hiesige Ratstrinkstube knüpfte. In allen anderen Schenken der Stadt mußte der Fron, wenn er eintrat, vorerst bescheiden die anwesenden ehrlichen Leute, also nach heutiger Redeweise die ehrbaren Bürger, befragen, ob gegen seine Anwesenheit Einspruch gethan werde. Geschah das – wenn auch nur von einer einzigen Stimme – so zog er traurig und durstig fürbaß. Dagegen stand dem verrufenen Manne der Zutritt zum Ratskeller jederzeit frei; war er doch ein Diener

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 863. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0863.jpg&oldid=- (Version vom 3.6.2023)