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verschiedene: Die Gartenlaube (1896)

kalt, „was ich jetzt will, das weiß ich dafür um so besser! Es ist ein eigen Ding mit dem Wiederkommen, und es soll mir nicht zum zweitenmal passieren! Leben Sie wohl, Käthe – diesmal fürs ganze Leben! Und wenn Sie in Ihrem Sonnenglück, in Ihrer ruhigen Abgeschlossenheit mal Zeit dazu finden, an einen fahrenden Gesellen zu denken –“

Die Stimme wurde ihm unsicher – die Augen gingen ihm über. Und ehe sie es sich versah, ehe sie’s verhindern konnte, hatte er sie in seine Arme gezogen und ihr liebliches Gesicht ungestüm geküßt. „Seien Sie nicht böse, Käthe, aber es ging nicht anders!“ sagte er dann ganz einfach und treuherzig, winkte ihr mit der Hand zurück und verschwand ebenso, wie er gekommen war, mit einem Satz über die Hecke – gerade wie vor zwölf Jahren – aus ihrem Garten und aus ihrem Leben!

Und Käthe stand noch einen Augenblick – halb betäubt und erschreckt, halb empört, und dann rief sie plötzlich, ohne Ueberlegung, einfach auch „weil es nicht anders ging“, laut und schmerzlich hinter ihm her: „Peter – Peter Hansen – ich hab’ es ja nicht so schlimm gemeint!“ – aber das hörte er nicht mehr!


Inzwischen war der Maler in starkem Laufschritte, wie ihn innerliche Erregung vorschreibt, ein paar Stunden lang im Felde herumgelaufen – ohne selbst zu wissen, was er that und was er vorhatte.

Erst als er sich todmüde und heiß am Stadtthor wiederfand, geriet er auf den verständigen Gedanken, einmal nach der Uhr zu sehen. Da wurde ihm klar, daß er ja mit der Mittagspost hatte weiter reisen wollen, und daß die seit einer Stunde und länger über Berg und Thal gerasselt war und er das Nachsehen hatte – wie es überhaupt heute sein Los zu sein schien! – Sich nach einer anderen Fahrgelegenheit umzuthun oder überhaupt augenblicklich an die Weiterreise zu denken, daran verhinderte ihn eine so bleierne Müdigkeit, wie er sie kaum je vorher gespürt hatte. Kein Wunder, er war so erschöpft von der anstrengenden Reise des vorigen Tages und der durchwachten und durchzeichneten Nacht! Denn er hatte sein Versprechen an den Doktor treulich gehalten, und sein Stift war geflogen wie im Fieber, bis die Sonne am Himmel stand.

Und statt nun die versäumte Ruhe nachzuholen, war er mit den ersten Morgenstunden aufgebrochen und wie ein Aepfeldieb um des Bürgermeisters Garten geschlichen, bis er seine alte Liebe wiedersah – und bis sie ihn so unbarmherzig seiner Wege gehen hieß. Die Erregung dieses Vorgangs und alles, was er seiner Natur in den letzten achtundvierzig Stunden als Extraleistung zugemutet hatte, rächte sich jetzt bitter; er war wie zerschlagen und zerschmettert und fühlte eigentlich nichts weiter als eine unbeschreibliche Sehnsucht nach Schlaf und Ruhe, in der alles andere – Vergangenheit und Zukunft – zu versinken schien.

So schlich er müde, wie nach schwerer Krankheit, ins Wirtshaus zurück, gab Befehl, daß ihn niemand stören solle und wenn er bis zum jüngsten Tage zu schlafen beliebe, und fiel auf seinem Bett sofort in den schweren traumlosen Schlummer, der sich nur dann einzustellen pflegt, wenn Körper und Geist gleichmäßig abgemattet sind. –

Inzwischen war man in der Stadt eifrig und heiter mit den Vorbereitungen zu dem seltsamen Polterabend der schönen Käthe beschäftigt, der gerade seiner Seltsamkeit halber den guten Leuten den meisten Spaß zu verheißen schien.

Ein Ständchen der Stadtkapelle, das an schrillem Mißklang und gutem Willen nichts zu wünschen übrig ließ und sogar den Postillon hätte beschämen können, der Peter Hansen am vorigen Abend so aus der Fassung geblasen – ein solches Ständchen hatte den Anfang der Huldigungen gemacht.

Zum größten Glück war das Programm noch vorher von dem alles anzettelnden und alles arrangierenden Doktor Lenz verändert und das verfängliche Lied „Schier dreißig Jahre bist du alt“ gestrichen worden, obwohl die Turandot es schwerlich übelgenommen hätte, da sie es in neuerer Zeit liebte, mit ihrem Alter zu kokettieren wie andere Mädchen mit ihrer Jugend.

„Sie muß eben immer etwas Apartes haben,“ sagten die älteren Damen des Städtchens auch hierbei wieder, wie bei manchem andern Anlaß im Leben des reizenden Geschöpfes. „Sie muß eben immer etwas Apartes haben,“ hieß es überhaupt in Bezug auf den heutigen Polterabend – aber darin hatten ja die Leute eigentlich recht!

Man redete über Käthe so mancherlei in diesen Stunden, die dem Feste vorausgingen, man flüsterte mit zusammengesteckten Köpfen, daß der Doktor Lenz wohl nicht umsonst so unablässig um die Anordnung bemüht sei: er wolle gewiß die Hoffnung noch nicht aufgeben, daß dem Schein-Polterabend noch mal ein wirklicher folgen werde, bei dem ihm eine minder nebensächliche Rolle zuerteilt werden sollte.

Als man nun gar den wackeren Herrn am späten Nachmittag noch einmal zum Landhaus des Bürgermeisters hinaus pilgern sah, da dachte wohl mancher und manche: „Er will am Ende noch einen letzten Sturm wagen“ und prophezeite sich und seinen Bekannten wohl gar einen andern Ausgang des heutigen Festes, als er geplant war. – Aber seine Mitbürger thaten dem Doktor unrecht; er ging durchaus nicht in selbstsüchtiger Absicht nach dem Landhaus – er war hinaus gerufen worden, und zwar durch ein Billet der Heldin des Tages, das ihm in seltsam aufgeregter Schrift und aufgeregten Worten zu wissen that, daß sie den alten Freund sprechen müsse und das bald.

Als der Doktor die Hausthür mit dem schweren blitzenden Metallgriff ins Schloß fallen ließ und in die große kühle Diele trat, kam Käthe die breite Holztreppe herunter ihm entgegen; sie stützte sich auf das Geländer, als wenn sie müde wäre, und ihr Gesicht hatte nicht viel mehr Farbe als ihr weißes Kleid.

Sie legte aber, als der Doktor fragen und sprechen wollte, sachte den Finger auf den Mund und führte ihren alten Freund in das Gartenzimmer zu ebener Erde, in dem die Spätnachmittagssonne ihr Spiel trieb und auf den weißlackierten steifen Möbeln mit den feinen Goldrändchen flimmerte und glänzte. Dort lud sie ihren Gast mit einer Handbewegung zum Sitzen ein, sie selbst blieb vor ihm stehen, die Augen auf den Boden geheftet und mit einem Ausdruck bekümmerter Unsicherheit, den der Doktor noch nie auf ihrem schönen Gesicht gesehen hatte.

„Nun?“ frug er endlich in freundlichem Ton, da die Pause

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verschiedene: Die Gartenlaube (1896). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1896, Seite 874. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1896)_0874.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2023)