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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Fräulein Helbig, die Wirtschafterin, sagt er kurz: „Das Fleisch ist hart.“

„Das liegt am Fleisch,“ ist die prompte Antwort der ältlichen, etwas spitznasigen Person; aber sie verstummt sofort vor dem Blick, den ihr der „Neue“ zugeworfen hat.

„Das liegt an Ihnen,“ betont er, „der Hammel war zart und jung.“

Sie wagt keine Antwort, aber sie ärgert sich, daß sie grünlich blaß wird. Es ist zum Tollwerden jetzt! Der vorige Pächter hatte nie gemäkelt, sie konnte kochen was sie wollte, der aß zur Not Schweinekartoffeln mit. Der Herr Baron drüben im Schlosse hätte auch etwas Besseres thun können, als diesem zugeknöpften Holsteiner die Pachtung zu geben! Sie fühlt, sie wird es hier nicht lange mehr machen: der schöne Schlendrian war dahin, auf immer!

Der Verwalter kaut ebenfalls mit langen Zähnen, und der Eleve, das verwöhnte Herrensöhnchen aus altmärkischer Adelsfamilie, bemerkt ganz ungeniert, wenn Hammelfleisch einmal zäh sei, sei es auch ordentlich zäh, und obenein müsse er gestehen, daß er es als Kochfleisch nicht goutiere.

Mohrmann wirft ihm einen halb mitleidigen, halb ironischen Blick zu, als wolle er sagen: „Wer weiß, was du noch einmal essen mußt, mein Söhnchen“, und befiehlt dann Butter und Käse.

Als auch dieses schweigend verzehrt ist, beginnt er ein kurzes Gespräch mit dem Verwalter über das Heu, das vom Nachbargute gekauft wurde. Auch eine Ausgabe, die ihm den Anfang recht erschwert hatte! Es war indes schlechterdings kein Hälmchen mehr vorhanden gewesen; der „Vorige“ hatte in größter Gemütlichkeit alles zu Gelde gemacht, was noch zu Geld zu machen war, und Mohrmann fand die Scheuer so kahl gefegt, daß der schönste Erntetanz drin zu halten gewesen wäre.

Mit einem „Gesegnete Mahlzeit!“ steht er auf und geht in sein Wohnzimmer. Hier sieht’s ein bißchen besser aus als in der Eßstube, aber nicht viel. Es liegt nach dem Garten, das heißt, nach dem herrschaftlichen Park zu. Wenigstens die Aussicht von seinen Fenstern ist nett. Der alte birkene Schreibsekretär seines Vaters steht so, daß er, wenn er davor sitzt und vom Papier aufblickt, einen großen Teil des wunderlichen Gartens überschauen kann. Echt Rokoko – – man sollte es gar nicht glauben, daß so etwas noch zu finden sei in der Nähe der großen Stadt! Buchhecken, zu wunderlichen Figuren verschnitten, Irrgänge aus Buchsbaum und bezopfte Sandsteingötter und -göttinnen, nicht immer allzu sittsam vom Künstler erschaffen. Einen Kenner würde es entzückt haben, Anton Mohrmann beachtete es kaum. Kunstgeschichte, Stil, Rokoko, Barock, Renaissance und wie das alles heißt, existierten augenblicklich nicht für ihn; die Zeiten, wo er vor jedem alten Gerümpel in Entzücken geriet, sind vorbei. Es erfreut ihn nur noch, daß er zwischen den beiden pyramidenförmig geschnittenen Taxusbäumen hindurch auf die Weizenbreite sehen kann, diese mächtige, im ersten Grün schimmernde Breite, die sich eine halbe Meile weit hinzieht bis an den Schloßgarten von Altwitz.

Ja, dies Altwitz! Herr Gott, ist das in Kultur! Probst ist ein tüchtiger Kerl, und die Frau, die versteht’s; wie hat diese kleine behende Person die Milchwirtschaft im Zug! – – Und was kann eine tüchtige Kraft daraus machen! Ja – hm – das Möbel, die Helbig dagegen, bei der setzt man nur zu –!

Er sitzt vor dem aufgeklappten Sekretär und sinnt. Dann geht er ein paarmal im Zimmer auf und ab; endlich setzt er sich wieder und beginnt zu schreiben:

„Lieber Karl!

Seitdem ich hier gelandet bin, und das ist dreiviertel Jahr her, hast Du immer nur eine Postkarte auf Deine ausführlichen Episteln erhalten und freundlichst entschuldigt, daß ich nie Zeit fand zu längerer Aussprache. Weiß Gott, mein Alter, es ist Wahrheit – ich habe höllisch wenig freie Augenblicke, wenn ich allerwege meinen Kram in Ordnung halten und vorwärts kommen will. Daß dies nicht leicht ist auf einer so großen Pachtung, das weißt Du als Laie wohl auch. Ich habe mir das Ding so schwer nicht gedacht! Nun gilt es, von früh bis abends auf den Beinen zu sein, wenn ich das kleine Kapital meiner alten Mutter, mein und meines Bruders späteres Erbteil, erhalten und richtig verzinsen will, das sie mir ohne Bedenken in die Hand gab, als es galt, die Kaution zu stellen.

Ich bin in eine gründlich verlotterte Wirtschaft eingesprungen, und Schweiß und Geld wird’s kosten, bevor ich daran denken kann, für mich etwas zu erübrigen. Ich will Dich aber damit nicht langweilen, alter Sohn – was versteht ein Menschenflicker, als welchen Du Dich ja nun glücklich in Gesellschaft Deiner Frau Doktor zu Dresden niedergelassen hast, von Landwirtschaft! Besuchen mußt Du mich aber mal, Karl, mit Deiner Frau und dem Jungen. Das Herz würde Dir aufgehen über die lachende Au hier, über den Schnee der Obstbäume, in den die Güter und Dörfer – ich übersehe deren acht, wenn ich aus der Bodenluke des Pachthauses schaue – gebettet sind. Freilich, so, wie’s jetzt bei mir ist, würdet Ihr Euch nicht behaglich fühlen; es ist in meinen vier Pfählen verdammt öde und ungemütlich –.

Ach, alter Freund, Du errätst, was mir fehlt? Ich stehe da wie weiland Doktor Luther vor dem Reichstag zu Worms – Gott helfe mir, ich kann nicht anders – – ich muß heiraten! Letzteres mein Zusatz. Ich sehe Deine erschreckten Augen, Alter: ‚Du willst doch nicht etwa – die?‘

Hab’ keine Angst, mein Bester, die Fränze Koch ist ein überwundener Standpunkt, ihre Koboldsnatur paßt nicht in meine biedere Bauernwirtschaft, so wenig wie ihre Feenhändchen zu den Rußtöpfen in der Leuteküche. Na, und schließlich – es war immerhin eine Studentenliebschaft, wie sie eine kleine Putzmacherin wohl mal hat – das heißt, so betrachtete sie die Angelegenheit in weniger poetischer als praktischer Auffassung. Was mich betrifft – na, Du hast ja die ganze Tollheit getreulich mit mir durchgemacht und hast gottlob verhindert, daß ich an dieser Herzkrankheit starb, guter alter vernünftiger Kerl Du! Ich hab’ damals gedacht, die Schöpfung gehe aus den Fugen, als sie mir lachend erklärte, mit meinem Fortgehen von Halle sei die Sache aus! Aber, wie gesagt, hinter mir ist sie versunken, diese Welt von damals, und vor mir liegt eine neue, und diese birgt viel in sich, das nach einer Gehilfin verlangt. Ach, Du, der Kuhstall, der Milchkeller, die Geflügelzucht – diese Dinge schreien förmlich nach Hilfe.

Und höre, Karl, ich glaube, ich weiß eine, eine Richtige; gestern abend bin ich mir klar darüber geworden. Sie ist die Schwägerin des hiesigen Pastors, lebt mit ihrer alten lahmen Mutter im Pfarrhause und versorgt alles dort, die kranke Pastorin mit fünf kleinen Kindern, den unpraktischen Gottesmann, die alte Mutter, Gesinde und Landwirtschaft – letztere gehört zu den Kompetenzen der Stelle – Obst- und Gemüsegarten, Küche und Keller. Ich habe sie des öfteren gesehen bei Besuchen, die ich ihren Geschwistern machte, und beim Erntefest im vorigen Herbst habe ich mal mit ihr getanzt. Ich bin auch zuweilen am Zaun des pfarrherrlichen Gartens stehen geblieben und habe sie beobachtet bei der Arbeit als Gärtnerin oder beim Aufhängen von Wäsche; sie ist flink wie ein Wiesel, und doch ruhig dabei. Mit einem Worte: ich könnte sie mir vorstellen fraulich waltend in meinem Hause, dieses kräftige, blühende Mädchen mit dem blonden Haar und den hellen Augen.

Am Ostersonntage gegen Abend sah ich sie im Garten stehen unter einem blütenbedeckten Kirschbaum. Die Augen sinnend in die Ferne gerichtet; um sie her spielten die Kinder, und Himmel und Erde wie in rotes Gold getaucht – es war ein schönes Bild.

Geld hat sie gar nicht, Karl. Schadet aber nichts, für unsereinen ist die Tüchtigkeit der Frau mehr wert als ein paar tausend Thaler, denn arbeiten müssen wir miteinander, wollen wir vorwärts, arbeiten ohne Rast, und ich hoffe, das Sprichwort:

Wer nichts erheiratet und nichts erbt
Gewiß als armes Luder sterbt!

soll an uns zu Schanden werden – –.

Ich spreche da immer von uns, als hätte ich sie schon. Es ist ein ungemütlich Ding, um ein Mädchen zu werben, ohne vorhergegangenes Scherwenzeln und Courmachen und dazu hätte ich gerade Zeit! – ohne feste Aussicht, daß man reüssieren wird. Ich will es aber doch wagen, sie hat mich nicht unfreundlich angeschaut.

Ihre Mutter ist die Witwe eines kleinen Beamten an der Leipziger Universität, und sie hat sicher eine gute Schule genossen: höhere Töchterbildnng brauchen wir nicht, kurz – ich wag’ es!

Leb’ wohl, lieber Alter, falle nicht um, wenn Du die Verlobungsanzeige bekommst von Christiane Nölling und Anton

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0002.jpg&oldid=- (Version vom 19.12.2018)