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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Mohrmann. Und noch einmal, Hand aufs Herz, die Fränze ist ganz und gar überwunden. – Wenn die Christel mich aber nicht will? Wenn – sie ist vierundzwanzig bis fünfundzwanzig Jahre alt – ein anderer schon in ihrem Herzen sitzt? Hoffen wir das Beste! Und nach der Hochzeit kommt Ihr mit Eurem Jungen; kann hier frische Kuhmilch trinken, bis er am Platzen ist, reine, ungetaufte.

Denkst Du noch manchmal an Halle? Herzbruder, es war doch schön! Jetzt ist die klare sonnenbeschienene Wirklichkeit da, und auch sie ist schön, in meinem Beruf – für den Aktenmenschen hätte ich ja nie gepaßt.

In alter Freundschaft Dein
Anton.“


Anton – seine alte Mutter, die verwitwete Frau Bürgermeister aus der kleinen Stadt droben in Holstein, nennt ihn Anto, was sie hübscher und vornehmer findet – trägt den Brief selbst abends nach dem Essen in den dörflichen Briefkasten, und dabei muß er an dem Pfarrhause vorüber, das hinter der nicht allzu hohen Mauer inmitten des Gartens liegt. Es ist gegen acht Uhr; die blühenden Aepfelbäume leuchten intensiv weiß in der blauen Dämmerung des Aprilabends, und er bleibt stehen und schaut hinüber nach dem Hause, das schweigend und sabbathruhig daliegt. In des Pfarrers Studierstube ist Licht, der geistliche Herr arbeitet die Predigt für morgen aus. Vom Kirchturm beginnt eben das Abendläuten, und in dieses mischt sich jetzt der Gesang einer Frauenstimme, die aus dem Garten von den Spargelbeeten hinter den zartgrünen Stachelbeersträuchern herüberschallt.

„Das ist sie!“ sagt sich Anton Mohrmann. „Der alten Mutter wird das Singen wohl längst vergangen sein und der kranken Pastorsfrau auch.“ Aber er muß lachen über das, was sie singt; es ist ganz und gar nichts Stimmungs- und Weihevolles, nichts Melancholisches oder Liebessehnsüchtiges, sondern ein Schelmenliedel, für die Kinder berechnet:

„Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben,
Wo ist denn mein Schatz geblieben?
Er ist hier, er ist da,
Er ist in Amerika. –“

Das gefällt ihm nun wieder. Um Gotteswillen nur keine Sentimentalitäten!

„Acht und neun, und neun und zehn,
Bald werd’ ich ihn wiedersehn! –
Roter Wein, weißer Wein,
Sag’, wann soll die Hochzeit sein?“

Da packt den Dreiunddreißigjährigen der Uebermut seiner vergangenen Zwanzig, er duckt sich hinter die Mauer und schreit: „Pfingsten!“

Im Garten ist’s plötzlich still geworden, auch das Geläut verstummt jetzt. Er bleibt noch ein Weilchen in seiner gebückten Haltung, dann geht er dem Gutshofe zu, ein ungewohntes Lächeln um den Mund, macht noch einen Gang durch die Ställe, besucht den kranken Wallach, dem sein Nachbarpferd das Bein aufgeschlagen, und sieht nach, ob der Verband festsitzt.

Es ist fast dunkel jetzt. Auf dem Hofe, am Brunnen unter der Linde, waschen sich die Knechte den Tagesstaub ab; ein paar Mägde kreischen dazwischen, eine stimmt ein Lied an, das durch das Lachen der anderen übertönt wird. Und jenseit des schmiedeeisernen Gitters erhebt sich weiß und feierlich das stattliche Herrenhaus mit seinen geschlossenen Fensterladen und dem mächtigen Portal. Der alte Gärtner, der zugleich als Kastellan fungiert, kommt eben die Stufen der breiten Freitreppe herab; er hat die Fenster zugemacht in den Zimmern und Sälen, die tagsüber offen stehen; nun schlürft er hüstelnd mit dem Schlüsselbund und der Laterne seiner Wohnung zu, die drunten im Park, in der sogenannten Orangerie liegt.

Anton Mohrmann hat den Alten gegrüßt und ihm ein paar Worte zugerufen, dann ist er auch gegangen, um zu schlafen. Als er schon im ersten Schlummer liegt, schreckt ihn der Gedanke auf an das, was er morgen vorhat.

Wenn sie dich nun nicht will? fragt er sich zum hundertstenmal. Mein Gott, aber warum denn nicht? Er ist ein fleißiger ehrlicher Mensch, der sein Tag keinen bedenklichen Streich verübt, keinen Pfennig Schulden gehabt hat; seine alte Mutter sagte noch neulich: „Der Anto hat mir nie Kummer gemacht, mit ihm kann’s ein Mädchen getrost wagen.“

Trotzdem er sich diesen Trost einspricht, kann er nicht schlafen. Er kennt die Frauen wenig; außer der Fränze hat keine in sein Leben hineingespielt, und die hat ihm weidlich auf der Nase herumgetanzt, der kleine Satan. Es war ja auch nichts weiter gewesen, eine Studentenflamme; aber wenn er an sie denkt, urplötzlich, unversehens, dann quillt es ihm noch immer heiß zu Herzen, – nun, er braucht ja nicht an sie zu denken und an jene süße tolle Zeit, er braucht’s ja nicht. Kurz und gut, er ist so berechtigt, wie nur einer sein kann, hinzutreten vor das Mädchen und zu fragen: „Wollen Sie meine Frau werden?“

Am andern Morgen sitzt er in der Kirche, hört aber kein Wort von der Predigt, er denkt immer nur an das, was er dem Pastor nachher in dessen Stube als Freiersmann sagen will. Es ist doch höllisch ungemütlich, so was! Dabei starrt er von Zeit zu Zeit in das Gestühl hinüber, wo Christiane Nölling sitzt und seiner gar nicht achthat. Sie singt laut und andächtig „Wer nur den lieben Gott läßt walten –“; er kann ihre Stimme deutlich heraushören.

Nach dem Segen erhebt sie sich eilig und geht mit gesenkten Blicken durch den Mittelgang der Kirche an der noch singenden Gemeinde vorüber. Sie muß in die Küche, und die Mutter ist heute so besonders ungeduldig und angegriffen, und der Schwester wird’s schon zuviel, wenn sie das Jüngste so lange bei sich haben muß, wie die Predigt dauert.

Daheim angekommen, läuft sie eiligst treppauf in ihr Stübchen, legt Umhang und Hut auf das Bett, bindet eine große Schürze vor und schaut im Vorübergehen noch in das Zimmerchen der Mutter. „Ich hab’ für dich mitgebetet, Mütterchen,“ ruft sie freundlich. Ein verdrießliches Brummen ist die Antwort.

„Geht’s dir nicht gut?“

„Hab’ kein Auge zugethan diese Nacht.“

Christel kommt nun doch herein. „Was grämt dich denn schon wieder?“ fragt sie mit teilnehmender Stimme.

„Ich denke immer daran, was aus dir und dem Louischen werden wird.“

„Das sind recht unnütze Gedanken,“ erwidert die Tochter. „Ich weiß ganz genau – gut wird’s uns gehen, wir haben ja arbeiten gelernt!“

„Jawohl – solange man Kräfte hat! Aber das Alter kommt, und ihr seid müde und abgearbeitet und wißt keinen Platz, wo ihr euer Haupt hinlegt. Du wirst nächste Woche fünfundzwanzig – fünfundzwanzig!“ wiederholte sie.

Das Mädchen lacht ihr hell ins Gesicht.

„Lache nur, es wird dir schon noch vergehen,“ antwortet die gelähmte, vorzeitig gealterte Frau.

„Ich kann doch nicht jetzt schon weinen, Mutter? Wer weiß, ob ich überhaupt alt werde –? Aber ich muß in die Küche.“

Als sie die Treppe hinunter kommt, sieht sie, wie eben die Thüre von des Schwagers Stube hinter dem neuen Pächter sich schließt. Was will denn der schon wieder? denkt sie; doch dann in der Küche am Herd, auf dem der übersprudelnde Suppentopf steht – es giebt außerdem Kalbsbraten und Kartoffelsalat, mit den ersten grünen Rapünzchen garniert – vergißt sie bald den Besuch. Im Hofe lärmen die Kinder, und das Dienstmädchen, das nachmittags nach Altwitz zu ihrer Schwester auf Besuch will, mahlt jetzt schon den Kaffee; es ist ein Lärm, daß der Pfarrer auf der Küchenschwelle dreimal rufen muß:

„Christiane – Schwägerin – Christiane! Komm’ doch gleich einmal in die Wohnstube, liebe Schwägerin!“

Sie macht große Augen, das klingt so feierlich, und feierlich ist auch sein Aussehen.

„Begieß den Braten, Lene,“ befiehlt sie und trocknet sich die Hände an dem dazu bestimmten Handtuch. Er wird doch nicht schon wieder den Menschen zum Essen eingeladen haben, wo das Mädchen ausgeht, überlegt sie, und – und –

Sie steht mit hochrotem Gesicht vor dem Schwager. Der ist noch im Talar, hat gar nicht die Zeit gehabt, sich umzukleiden, denn Mohrmann ist ihm auf den Fersen gefolgt. Der geistliche Herr sieht sehr ernst, fast niedergeschlagen aus.

„Liebe Christiane, Herr Mohrmann hat soeben um deine Hand bei mir angehalten.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0003.jpg&oldid=- (Version vom 19.12.2018)