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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

denkt sie wieder, da sieht man doch, was das bißchen Geld macht, und so nötig haben wir’s doch nicht.

„Du,“ schreit er ihr ins Ohr, „weißt du denn auch, daß wir reiche Leute werden – du?“

Jetzt wehrt sie ihm ruhig lächelnd. „Damit hat’s wohl noch lange Zeit, Anto.“

„Unsere zehn ersparten, die zehn ererbten – macht zwanzig, und keinen Pfennig Schulden, Christel.“

„Wir haben schon zehn? Schon zehn erspart?“ fragt sie mit großen Augen.

„Ja!“ spricht er. „Komm’, laß die Studenten weiter abrahmen – pack’ mir den Koffer. Ei, du Donnerlittchen – zehntausend Thaler!“




Am andern Morgen, als Anton in Braunschweig ist, kommt wieder eine Alarmnachricht. Der alte Baron Wartau will plötzlich zurückkehren aus Nizza, er will daheim sterben. Mit ihm kommen die beiden ältesten Töchter. Seit acht Jahren war die Herrschaft abwesend, und der Gärtner ruft Christel zu Hilfe, denn seine bejahrte Frau hat das Reißen und kann so gar nichts thun, um die Zimmer vorzurichten. Ob Frau Mohrmann nicht so gut sein wolle, vielleicht auch eine von den Mägden herleihen? Er werde schon pünktlich da sein mit den Schlüsseln; vielleicht, wenn’s Frau Mohrmann recht wäre, um zwei Uhr?

Christel ist noch nie im Schlosse gewesen; sie zeigt sich nicht gern neugierig und sie hat auch – es klingt fast unglaublich – nie Zeit gehabt während der fünf Jahre. Aber sie hat gehört, daß es dort in den Räumen fürstlich aussehen soll, freilich verblichene Pracht, denn die Familie ist stark verschuldet. Wie sie nun hinter dem alten Manne durch das Portal in die hohe kühle Halle tritt, aus welcher zwei breite Ehrentreppen in den obern Stock führen, von dessen Wänden die lebensgroßen Oelbilder der sächsischen Herrscher herabschauen, staunt sie doch und ihr wird ganz feierlich zu Sinne. Der Alte, der eben sein Käppchen vor dem Bilde König Johanns ehrfürchtig lüftet – er hat ihn gesehen, als er einst zur Jagd bei den Wartaus hier im Schlosse war, und verehrt ihn wie nichts auf der Welt – öffnet jetzt eine der Zimmerthüren, und Christel überblickt drei Gemächer und macht große Augen. So was ist ihr noch nicht vorgekommen! Die Wände des ersten bemalt mit lebensgroßen Figuren, Herren und Damen in Rokokotracht; auf der einen Wand tanzen sie Menuett, dort spielen sie Reif und dort Blindekuh. Hier und da ist etwas Farbe abgebröckelt, einer der Schönen hat’s das Gesicht entstellt, der rosa Atlasfrack eines Kavaliers sieht aus wie von oben bis unten mit Milch übergossen; aber das graziöse Leben in dieser bunten Gesellschaft – man möchte gleich mitmachen!

An der reich vergoldeten Stuckdecke hängt, von Putten gehalten, ein wunderlich verschnörkelter Kronleuchter, und an den Wänden stehen kleine zierlich vergoldete, etwas wacklige Stühle und Kanapees, von denen der Gärtner eilig die Hüllen lüftet – blaßblauer mit Rosenbouquets eingewebter Brokat, brüchig und mit gelblichen Flecken.

Herrgott, wenn ich hier wohnen sollte! denkt Christel ganz beängstigt, und laut sagt sie: „Wie schön muß das hier gewesen sein, als es neu war!“

„Das is Sie eine große Bracht gewesen, ja freilich,“ giebt der Alte zu, „und wie August der Starke hier war, da hat’s Feste gegäm, na, da is alles heitige in Dräsen reene Bappe dagegen. Der war Sie aber auch ein Indimus von Augusten, unser damaliger seliger Herr.“

Im folgenden Zimmer, wo alsbald Christel und das Mädchen wieder mit Staubtuch und Besen umherwirtschaften, hängt an den Wänden Bild an Bild, lauter Porträts in längst vergangener Tracht; dann kommt das Jagdzimmer mit der verblichenen grünen Damasttapete, über dem Kamin das lebensgroße Bild Augusts des Starken als Jäger, der aus dem Rahmen zu treten scheint, so lebenswahr ist es gemalt, und endlich das Tafelzimmer. Herrgott, diese Verschwendung von altmeißener Porzellan auf der Kredenz!

„Als wir noch reich waren,“ sagt der alte Mann, „da hätten vier Pferde das Silberzeug nich weggekriegt, aber nu – alles fort, heimlich fort! Ja, ja, die zwei Junker, Gott hab’ sie selig, die ha’m Wartau auf’m Gewissen. Nich mal soviel, daß ein Kastellan hier gehalten werden kann! Wenn sie verreist, die Herrschaft – meine Alte und ich müssen uns schinden. Und warum reisen sie? Weil sie draußen leben können wie die Boveretten! Wer kennt die Wartaus da drunten am Mittelmeer? Und dann – das vermaledeite Teufelsspiel – Jemersch nee! Wenn man so was mit ansieht, wie Anno dazumal, wo ich mit war – nee, besser, man red’t nich davon – – Dahier, Madame, sind die Zimmer des alten Barons, hier ist die Wäschkammer; ’s Bette beziehen versteh’ ich nich, nehmen Sie nur ’s erste beste, das Fräulein Tonette kennt sich dann schon aus für später. Die beiden Fräulein wohnen oben, über diesen Zimmern, die anderen Räume im ersten Stock, der große Saal und alles, stehn leer, nich ein Stück Möbel darin, die einzigen Kostbarkeiten, die wir gerettet haben, sind hier unten.“

Christel arbeitet wacker drauf los. Die Schlafstube des Barons mit dem mächtigen Himmelbett ist bald hergerichtet, und nun geht’s ins Herrenzimmer. Was steht da alles umher und hängt an den Wänden! Aber es ist so düster, es kommt ihr unheimlich vor. Als sie ein Bärenfell, das der Alte herzuträgt, vor dem riesigen Schreibtisch ausbreitet, sieht sie plötzlich empor; ihr ist’s, als würden ihre Augen förmlich hingezogen nach dem Punkt. Ueber dem Schreibtisch leuchtet aus dem Dämmer ein Frauenkopf – im ganzen Leben hat Christel so was nicht empfunden – es ist, als ob die dunklen sprühenden Augen ihr drohen. Ein kindlich rundes Antlitz ist’s, von Locken umrahmt, die durch ein blaues Band zurückgehalten werden; ein feines gerades Näschen, ein lächelnder, gar nicht kleiner Mund; und das Ganze von einem so goldigwarmen Ton überstrahlt, als ob alles Licht des Zimmers ausgehe von dem gelben Atlas des tief von den Schultern fallenden Gewandes, oder von dem Strauß der gelben Rosen am Busen.

„Wer ist die Dame?“ fragt Christel den alten Mann, der eine Rüstung in der Kaminecke abstäubt.

„Unser jüngstes Fräulein, das heißt, die jüngste Tochter vom gnädigen Herrn. Ist lange tot, an sechzehn Jahre schon, hatte ’ne schlechte Heirat gemacht, is aus Kummer gestorben – aber es war gut, sonst konnt’ sie’s noch erleben, wie ihr Sohn dem alten Besitz die letzten Fettfedern ausriß. Nach der Heldenthat hat er sich totgeschossen.“

„Lieber Gott,“ sagt Christel erschreckt, „das ist ja greulich – gut, daß wir hier fertig sind!“

Unter ihren flinken Händen wird’s bald ganz wohnlich unten und oben. Inzwischen sind auch ein paar Frauen aus dem Dorfe angelangt, von denen die eine früher hier Schloßköchin war; sie kommt aus der Stadt, wo sie Fleisch eingekauft hat, und macht sich gleich ans Kochen; zur Not, bis Dienerschaft gemietet ist, wird’s schon gehen.

Christel hat noch für einige Blumen gesorgt, die Zimmer zu schmücken, und für das rechtzeitige Anzünden der Flurlampe und der Kerzen, die auf die Leuchter der Wohnräume gesteckt sind. Nun geht sie wieder in ihr bescheidenes Heim. „Gottlob!“ sagt sie und schüttelt sich, „da drüben würde ich mich fürchten.“

Abends ist bei Tische viel die Rede von den Wartaus. Der Verwalter kann so manches erzählen, und der neue Eleve verbessert ihn zuweilen, indem er bei den Schilderungen des allzu verschwenderischen adligen Lebens allemal ein „Noblesse oblige“ dazwischen wirft.

„Ja,“ schließt endlich Heine, ohne sich um den empörten jungen Edelmann zu kümmern, „da ist der Leichtsinn angeerbt! Hätte der alte Herr nicht die Pension als Generallieutenant, könnten sie Wartau schon lange nicht mehr halten; die Pacht, die schöne Pacht, die reicht kaum für die Schuldzinsen. Wenn aber einer hier säße, der vernünftig zu leben verstände – bei dem erstklassigen Boden, trotz der schlechten Zeiten – reich müßte er werden!“

„So einer wie Sie,“ spöttelt der Eleve, „bei dem es gleichgültig ist, ob er mit lehmigen Stiefeln in den Saal des Landwirtschaftlichen Vereins tritt, wenn er keine Kutsche halten mag zum Fahren – – ein Herr von Wartau kann das nicht.“

„Das stimmt,“ antwortet Heine und wischt den letzten Tropfen Bier aus seinem struppigen Rotbart, „so einer wie ich, das stimmt! Und mit der Zeit müßt’s mit’m Deibel zugehen,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0010.jpg&oldid=- (Version vom 20.12.2018)