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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

jetzt im Kopfe herum, sie möge verzeihen, wenn er mal eine Frage überhöre.

Christel seufzt und denkt: ich weiß es wohl, armer Kerl, was dir das Herz schwer macht; könnt’s was helfen, daß ich die Erde aufwühlte, ich wollt’s dir klaftertief ausgraben, was du wünschst, und müßt’ ich sterben darüber, aber – es hilft ja nichts. Sie hantiert fleißig umher in der Wirtschaft, und mehr und mehr drängt sich ihr der Plan auf, den kleinen Anton aus der Pfarre zu adoptieren.

Wie rührend lieb Anton das Kind hat! Einen solchen Ausbruch von leidenschaftlicher Zärtlichkeit hat sie nicht in ihm vermutet. Sie zweifelt auch nicht, daß er sofort zugreifen würde, das Kind an Sohnes statt zu nehmen, wenn es eben ganz – ganz abgetreten würde! Pastors müßten sich verpflichten, alle und jede Rechte an dieses Kind aufzugeben.

O, lieber Gott, welch’ Verlangen! Sie kann sich ja nur unvollkommen hineindenken in das Gefühlsleben einer Mutter, aber sie sagt sich, daß sie eher sterben würde, ehe sie das Kind, solches Prachtkind, hergäbe. Es hat doch auch jeder so seine eigenen Ansichten vom Aufziehen der Kinder. Und dann, so von weitem stehen und mit gefalteten Händen zuschauen, und alles mit ansehen müssen und nicht laut schreien dürfen: nein, nein, ihr müßt ihn anders behandeln, ihr kennt ja den Charakter des Kindes gar nicht!

Es ist doch Unmögliches, was sie verlangt! Und dennoch, für Anton – was hätte sie für Anton nicht gethan, für diesen zartfühlenden Menschen, der nicht eine Klage hatte über die kinderlose Ehe in ihrer Gegenwart? O, sie wollte bitten und in die Eltern des Kindes dringen, sie wollte versprechen und betteln, ihr ganzes Leben für den kleinen Anton, wenn nur der große wieder lächeln möchte. Vielleicht zu Weihnacht – – wenn sie den Jungen aufbauen könnte unter dem Baum für den geliebten Mann, der kleine Wicht müßte ihm entgegenspringen und „Lieber Vater“ sagen.

Auf einmal schreit eine helle Stimme halb singend: „Frau Christel! Frau Christel!“ und hinter ihr steht Edith Ebradt im kurzen, etwas ausgewachsenen Winterjackett, das Pelzmützchen schief auf dem Kopfe, in der Hand, die im dicken gestrickten Handschuh steckt, die Schlittschuhe hoch haltend und schüttelnd, daß es nur so klappert.

„Nun bitten Sie mal gleich Ihrem Manne ab – was? Ist er galant oder nicht, Frau Christel? Gestern habe ich nur einmal so etwas hingehaucht von einer Eisbahn und – was hat er gethan, der gute Mensch? Im Rondell zwischen den Buchenhecken spiegelt das herrlichste Eis, die ganze Nacht haben die Knechte Wasser geschleppt! Nun sagen Sie mir, wo er ist, liebe Frau Christel, ich muß ihm doch danken!“

„Das hat er gethan?“ fragte Christel, „das freut mich aber.“

Sie ist wirklich ganz rot geworden und ihre Augen strahlen.

„Wie nett! Sie glauben gar nicht, Fräulein Edith, wie gern er Kinder – Jugend,“ verbessert sie sich, „hat. – Wo er ist? Ich glaube, in seinem Zimmer.“

„Nein, nein, da klopfte ich schon,“ unterbricht das lebhafte Mädchen, „aber niemand rief ‚Herein!‘ Und da machte ich ein bißchen – ein ganz klein bißchen nur die Thür auf, er saß aber nicht am Schreibtisch.“

„Vielleicht ist er in den Ställen, Fräulein Edith, oder bei der Dampfdreschmaschine?“

„Ach, dann bedanke ich mich später bei ihm, jetzt will ich die Eisbahn probieren!“ und ein Kußhändchen ihr zuwerfend, läuft sie hinaus.

Christel lächelt noch immer, und als sie mit ihren Anordnungen fertig ist, stülpt sie sich, wie sie steht und geht, eine etwas verbrauchte Kapuze über den Kopf, nimmt ein Tuch um und wandert in den herrlichen Wintermorgen hinaus, quer durch den Park, dem großen Rondell zu. Sie sieht ein bißchen grotesk aus, denn sie hat zum Ueberfluß noch die Holzpantinen des Küchenmädchens über ihre Hausschuhe gezogen, aber wer sieht sie denn hier? Und sie will sich die Eisbahn ansehen und das schöne kindliche Geschöpf dazu. Sie kommt etwas wankend und unsicheren Schrittes näher. Das Rondell, einst eine Gartenbühne für die Schäferspiele des vorigen Jahrhunderts, liegt völlig geschützt hinter hohen Buchenhecken. Einige davon bilden Lauben. Das Ganze macht den Eindruck eines weiten eirunden Saals unter freiem Himmel. Und wo ehemals das aus Rasen geschaffene Podium sich befand, das längst dem übrigen Boden gleichgemacht ist, stehen zu beiden Seiten aus Sandstein gemeißelte Gruppen, Schäferscenen, die, wie Christels Schwager stets behauptet, eigentlich polizeilich verboten werden müßten, so frivol sind sie.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0073.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)