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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Auf dem Kynast.

Historische Erzählung von Rudolf von Gottschall.

 (Fortsetzung.)


Es war ein schwüler Nachmittag, als Klärchen sich mit dem alten Bergführer auf den Weg nach Schreiberhau machte. Ein für die Jahreszeit ungewöhnlicher Sonnenbrand lag drückend auf dem weiten Thalkessel, doch Klärchen war trotz der Schwüle frisch und frohen Mutes. Die vom Vater gewünschten Besorgungen hatte sie in aller Eile meistens selbst gemacht, die übrigen einer Freundin überlassen und so ging sie leichten Herzens dem längst ersehnten Wiedersehen entgegen.

Der Bergführer plauderte mit Behagen, ihm war so wohl zu Mute. Das Mädchen an seiner Seite erinnerte ihn lebhaft an seine unglückliche Tochter, doch die Wehmut, welche diese Erinnerung zunächst hervorrief, war längst dem Wohlgefühl einer willkommenen Täuschung gewichen; ihm war, als schritte das eigene Kind neben ihm her, so lieblich wie in früheren längst verschwundenen Tagen. Sie lenkten in das Thal des Zacken ein, der frisch aus den Bergen kam und einen erquickenden Hauch in der lastenden Schwüle verbreitete. Ueber die Felsensteine schäumten die Wogen mit lustigem Rauschen und die Forellen glitten auf ihnen thalwärts oder versteckten sich hinter den kleinen granitnen Wasserburgen, welche einzelne von der Flut herangespülte Gesteine bildeten, vor den Listen der Fischer.

Jetzt öffnete sich das Thal zur Linken und gewährte einen freien Ausblick auf den Kamm des Gebirges, wo jäh von den Schneegruben hinab sich die basaltenen Säulen senken. Oben über den Bauden hing ein blaugraues Wölkchen, das sich wachsend ins Blaue dehnte. Wieder schoben sich Bergcoulissen vor und verdeckten den hohen kahlen Kamm, wieder steigerte sich die Hitze in der eng zusammengepreßten Schlucht. Die Wanderer ruhten auf einem Felsvorsprung aus. Durch die Tannen und Fichten auf beiden Seiten des Thals ging ein Rauschen, man wußte nicht, woher es kam, es war, als wollte der Wald die Hitze von sich abschütteln, als regte sich sein Gezweig ahnungsvoll in der Hoffnung einer kommenden Erquickung.

Lange Zeit waren die beiden weiter geschritten. Abermals traten die Bergwände auf der Linken zurück, doch wie anders war jetzt der Blick auf die Höhen des Kammes! Sie hatten sich in Rübezahls Mantel gehüllt, dichte Wolken bedeckten sie und schon grollte der Alte vom Berge aus ihnen hervor mit leisem Donner.

Sie waren dort angekommen, wo der kleine Kochel nach einem Fall vom Felsen in die Arme des Zacken stürzt, der ihn mit hinabnimmt in die Ebene. Schon war der ganze Himmel schwarz umzogen; voller flutete der Zacken; hoch oben auf den Bergen mußten sich ihm schon die Quellen des Himmels erschlossen haben, welche die Bäche und Flüsse der Erde speisen. Nun rollte auch der Donner zu Häupten der Wanderer, warf ins Thal seinen schmetternden Gruß und das Echo kam herüber von den Nachbarthälern – es schien nur eine nicht verhallende Stimme zu sein, mit welcher der Berggeist seinen Zorn verkündete. Die Blitze jagten wie Spielgenossen übermütig hin und her, bald hier, bald da das Gewölk zerreißend und die seltsamen Felsgestalten, die am Wege standen, mit Glühlicht übergießend. Klärchen schmiegte sich erschrocken an ihren Begleiter, wenn der Blitz dicht vor ihnen in die Erde zu fahren schien und fast in demselben Augenblicke der schadenfrohe Donner über den Schrecken jubelte, den sie vereint den Wanderern einjagten. Und schon loderte eine helle Fackel aus der Waldnacht hervor; der Blitz hatte eine Riesentanne getroffen, die knisternd ihre Funkensaat weithin streute und vom hohen Hang in das Thal herniederleuchtete. Nun warf aber auch das Gewölk seine Güsse hernieder und die Wanderer sahen sich nach einer Zuflucht um.

Da stand eine Hütte am Wege und sie traten unter das schützende Dach. Ein alter Mann lag auf der Holzbank und erhob sich mühsam; er wollte sein Weib rufen, damit es für die Gäste sorge; sie sei jung und rüstig, aber sie fürchte sich vor dem Gewitter; deshalb weile sie nebenan im Kuhstall, wo man die Blitze nicht sehe. Die Fremden seien gern gesehen, sie möchten sich nur auf die Bank am Kachelofen setzen, seine Frau werde für einen guten Trunk Milch sorgen. Er hoffe sie schon hervorzuholen.

Der Alte schritt durch die Stallthür, welche in traulichster Weise den Verkehr zwischen den Vernunftlosen und vernunftbegabten Geschöpfen vermittelte. Draußen goß der Regen nieder in schweren Fluten; mit unheimlicher Wucht, mit Hagelkörnern vermischt, prasselte er auf das Dach hernieder, das sich in eine große Traufe verwandelte; der Blitz zuckte durch die schmalen Fensterscheiben und der Donner grollte fort und fort in den Bergen.

Klärchen begann auf einmal zu weinen und zu schluchzen, der alte Bergführer suchte sie zu trösten und streichelte ihr zärtlich das Köpfchen, das sie wie hilfesuchend an seine Brust legte. „Was ist dir, Kind? Du warst ja erst noch so munter, so glücklich, als wir zusammen des Weges zogen?“

„Ich weiß nicht, wie mir zu Mute ist. Das schreckliche Unwetter draußen ist schuld; es kommt auf einmal so über mich, wie verlassen und einsam ich in der Welt bin.“

„Und dein Robert?“

„Das ist es eben! – Wann wird er der meine werden? Sieh die Blitze draußen: keiner, der vom Himmel kommt, wird ihn töten, doch da blitzt’s in der Schlacht, da donnert’s, und die tödliche Kugel kommt geflogen!“

„Es sterben nicht alle, die in den Krieg ziehen; die meisten kehren gesund und unversehrt heim.“

„Und wenn er zurückkehrt – wo bleibt meines Vaters Segen? O, Rübezahl – Ihr seid mir stets wie ein Vater gewesen, in langen Jahren, seitdem Euch der Weg nach unserer Burg führte; zu Euch hab’ ich so viel Vertrauen! Euch könnt’ ich alles sagen.“

„Und es ist gut bei mir aufgehoben!“

„Meine Mutter ist früh gestorben, wie Ihr wißt; ich kannte sie kaum. Der Vater hat viel für mich gethan, ich muß es ja dankbar anerkennen; doch er ist schroff und streng und hat kein rechtes Herz für mich. Er will mein Glück machen, wie er sich’s denkt, doch womöglich so, daß es auch ihm Nutzen bringt. Wenn ich den reichen Bauernsohn heirate, so kommt das unserer Wirtschaft auf der Burg zu gute. Da strömen uns alle Lebensmittel für die Gäste in reichem Maße umsonst zu. Von Jahr zu Jahr wird Vater weniger zärtlich gegen mich; oft scheint es mir, als falle ich ihm zur Last, als sänne er nur darauf, mich mit Vorteil loszuschlagen; Gott verzeih’ mir’s, ich bin nicht undankbar, ich will ihn nicht anschwärzen; doch er wird unerbittlich sein, wenn ich meinem Herzen folgen will und dies seine Pläne durchkreuzt!“

Klärchen brach in lautes Schluchzen aus. Der alte Bergführer saß nachdenklich auf seinen Stab gestützt; er sah mit einem warmen Blick des Mitleids auf das Mädchen, doch er sprach kein Wort, um sie zu trösten; er sah wohl ein, daß sie recht hatte mit ihren Klagen.

Die Sintflut draußen hatte inzwischen nachgelassen, es war kein die Wasser anschwellender Wolkenbruch gewesen. Die Blitze wurden matter und seltener, der Donner grollte leiser hinter den Bergen. Da trat nun auch aus der Stallthür das Ehepaar hervor, die Frau, halb widerwillig von dem alten Manne vorgeschoben; sie hielt sich noch ängstlich die Hand vor die Augen, vom gelblichen Schimmer eines verspäteten Blitzes geblendet. Dann kam sie näher mit einem freundlichen Gruß; sie werde gleich ein paar Gläser Milch bringen, sie habe nur zuvor den Fremden Guten Tag sagen wollen. Dem alten Bergführer reichte sie die Hand; als sie vor Klärchen hintrat, erhellte abermals ein plötzlicher Blitz den dunklen Raum. Die Frau fuhr erschrocken zurück, doch es war diesmal nicht der Blitz, der sie erschreckt hatte. „Jesus Maria,“ rief sie aus, „die Toten stehen auf!“

Verwundert schauten alle auf die Frau, welche kreidebleich geworden war und sich an einer vorspringenden Ecke des Kachelofens festhielt.

„Das ist sie, ganz wie sie war, nur frischer und gesunder!“

Klärchen horchte gespannt auf, noch mehr der alte Rübezahl.

„Eine Aehnlichkeit, welche Aehnlichkeit? Reden Sie doch,“ sagte er ungeduldig.

„Ich weiß nicht, ob ich darf! Versprochen hab’ ich zu schweigen, doch auch der andere hat sein Versprechen nicht gehalten.“

„So sprich nur, Veronika,“ sagte der Alte, der wieder zusammengesunken auf der Ofenbank saß; „das Schweigen hat

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0178.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2024)