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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

am Neckar mit anderen Vaterlandsfreunden dieselben Männer zusammenfanden, mit denen sie im vorigen Herbst zu Heppenheim das Prinzip „Mit der Freiheit und durch sie die Einheit!“ vereinbart hatten. Ueber die Verwirklichung dieses Zieles dachten die dort im „Badischen Hof“ Versammelten auch jetzt noch recht verschieden – die preußischen Abgeordneten des Rheinlandes, welche wie Hansemann im Interesse einer großen starken Handelspolitik ein starkes einiges Deutschland wollten; die liberalen Staatstheoretiker Gervinus und Häusser, die mit Gagern, Mathy und Bassermann in der „Deutschen Zeitung“ den Eintritt Preußens unter die Verfassungsstaaten betrieben, damit es befähigt werde, die Führung in Deutschland zu übernehmen; die staatsmännisch veranlagten Parlamentarier Itzstein, Welcker, Römer, die eine wahrhaft liberale Verfassung für ganz Deutschland im Schutz einer starken Centralgewalt an die Spitze der Wünsche stellten, in der Wertschätzung des monarchischen Prinzips aber doch auseinandergingen; und endlich die radikalen Sturmläufer Struve und Hecker, die sich mit wachsender Ungeduld an den Vorbildern der ersten französischen Revolution berauschten und ihr Freiheitsideal bereits mit dem Idol der sozialen Gleichheit verschmolzen.

H. v. Gagern.
Nach der Lithographie von J. Hickmann.

Aber so verschieden sie dachten, „Vater“ Itzstein, der nun schon ein Vierteljahrhundert lang die badische Opposition nicht nur geführt, sondern auch zusammengehalten hatte, wußte auch diesmal noch die widerstrebenden Geister zu meistern und für das gemeinsam Gewollte die den Willen aller einende Form zu finden. Mit klugem Vorbedacht wurde von seiten der Einberufer die Frage, wie denn der Einheitsbau zu krönen sei und wer des neuen Reiches Oberhaupt werden solle, beiseite gelassen. Dennoch prallten die schärfsten Gegensätze gerade in dieser Beziehung schon jetzt aufeinander. Der Redakteur Fickler in Konstanz, der radikalste der badischen Abgeordneten und nicht zu diesem Kreise gehörig, hatte in seinen „Seeblättern“ für das republikanische Staatsideal zu agitieren begonnen; ähnliches war auch von seiten des Redakteurs Gustav v. Struve in seinem Mannheimer „Zuschauer“ geschehen. Das veranlaßte Gagern zu einer Warnung: das Liebäugeln mit republikanischen Utopien von deutscher Seite könne der Sache der Einheit und Freiheit nur schaden. „Auch ich würde Republikaner sein,“ schloß er, „wenn das deutsche Volk die republikanische Staatsform beschließen würde; ich kann Republikaner sein, denn ich habe einfach zu leben gelernt, aber ich will keine Pöbelherrschaft.“ Da entgegnete Hecker: „Ich will die Freiheit, die ganze Freiheit für alle, gleichviel in welcher Staatsform sie zu erreichen ist. Aber keine Freiheit nur für die Privilegirten, für die Reichen!“ Daß er dem Beschlusse des Parlaments sich fügen würde, erklärte auch er. Und so unterschrieben denn am 5. März auch Struve und Hecker jene Heidelberger Erklärung, welche für die Freiheit, Einheit, Selbständigkeit und Ehre der deutschen Nation, deren Herstellung und Verteidigung ein Zusammenwirken aller deutschen Volksstämme mit ihren Regierungen empfahl und zum Organ dafür „eine in allen deutschen Landen nach der Volkszahl gewählte Nationalvertretung“ verlangte. Struve und Hecker betrauten gleich den anderen jene Kommission von sieben Mitgliedern mit der Aufgabe, „baldmöglichst eine vollständigere Versammlung von Männern des Vertrauens aller deutschen Stämme herbeizuführen, um in dieser wichtigsten Angelegenheit weiter zu beraten und dem Vaterlande wie den Regierungen ihre Mitwirkung anzubieten.“ Auch sie bevollmächtigten diese Kommission, in welche Binding, Gagern, Itzstein, Römer, Stedmann, Welcker und Willich gewählt wurden, für diese Versammlung Pläne hinsichtlich der Wahl und der Aufgabe des wirklichen vom Volke zu wählenden Parlaments vorzubereiten.

Frankfurt a. M. vor 50 Jahren.
Nach der Zeichnung von T. T. Siegmund.

Dieser „Siebener“-Ausschuß trat sofort in Thätigkeit. Am 12. schon konnte Welcker seinen Entwurf einer deutschen Parlamentsverfassung den übrigen Mitgliedern vorlegen, und auf Itzsteins Vorschlag wurden von dem Ausschuß alle früheren und gegenwärtigen Ständemitglieder Deutschlands eingeladen, sich zur Beratung desselben Donnerstag den 30. März in Frankfurt a. M. einzufinden. Als der preußische Landtag auf den 2. April einberufen ward, erging auf Vorschlag des Rheinländers Stedmann an die sämtlichen Stadtverordneten der preußischen Lande die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 205. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0205.jpg&oldid=- (Version vom 27.6.2020)