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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

in solch unartiger Weise ab, daß ich auf eine Korrespondenz mit ihr vorläufig verzichten muß. Ich werde Dir später erzählen, was sie schrieb; sie ist verbittert und ungerecht.

Mohrmann habe ich täglich lieber gewonnen, er ist ein charmanter verständiger Mensch, dem ich Wartau wirklich so recht von Herzen gönne. Wenn wir beisammen sitzen zu Tische, sprechen wir nur von Dir, das ist uns das Liebste; aber das schrieb ich Dir ja schon, daß er nicht müde wird, nach Dir zu fragen. Also, Du telegraphierst wohl noch, wann wir Dich erwarten dürfen; ich hole Dich jedenfalls von der Station ab.

Vergiß nicht, mich dem Grafen und der Gräfin zu empfehlen. Ganz Wartau freut sich auf Dich, der Park ist so schön in diesem Jahre und Mohrmann hat Deine Lieblingsrosen setzen lassen, sie blühen bereits. Er läßt Dich grüßen, ebenso grüßt und küßt Dich innig
 Deine getreue Tante
Antonie v. Wartau.“ 

Es ist zum Verzweifeln! Edith weiß genau, daß Anton nie von ihr reden wird, bevor die Tante nicht ihren Namen ausspricht, daß die „Lieblingsrosen“ nur auf Tantens Vorschlag gesetzt worden sind; aber sie weiß auch, daß er im unverbrüchlichen Vertrauen auf sie wartet, daß er ein Schwanken ihrerseits nie verzeihen würde.

Und übermorgen geht es heim, unwiderruflich heim! Was soll werden? Wartau erscheint ihr auf einmal schlimmer als ein Gefängnis, das Wiedersehen mit Mohrmann wie eine Folter. Sie sieht ihn plötzlich vor sich wie an jenem Tage, vergrämt, unordentlich gekleidet, alt geworden – ja, wie konnte sie nur! Sie, die den Edi liebt, immer geliebt hatte, was ihr nie so zum Bewußtsein gekommen ist wie heute abend, bei dem Abschied unter den fremden Menschen, fern von der Heimat! Ach, es ist doch schrecklich, arm zu sein!

Und jetzt faßt sie plötzlich eine Wut auf diejenigen, die diese Armut verschuldet haben, in erster Linie auf ihren verschwenderischen Großvater, daß sie zittert. Was geht sie die Familientradition an, was dieses Wartau, was die verbitterten Tanten? Was dieser große Mann, der zwanzig Jahre älter ist als sie, dem sie keinen Blick gegönnt haben würde, wenn er nicht der Besitzer von Wartau wäre? Sie will frei sein, sie will weiter nichts als Edi!

Und sie setzt sich hin und schreibt einen Brief an Tante Tonette, einen Brief, der den ganzen Zustand ihrer jungen, durch das Wiedersehen mit Edi aufgerüttelten Seele spiegelt; eine rücksichtslose Beichte, eine offene Anklage ihrer selbst, ihr ganzes wachgerufenes besseres Ich fleht darin um Erbarmen.

Tante Tonette erhält diesen Brief, einen Tag vor Ediths Rückkehr, die ihr durch den Grafen Altwitz telegraphisch gemeldet wird. Die alte Dame ist völlig fassungslos. Was um Gotteswillen mag geschehen sein, daß das Mädchen so schreiben kann?

Sie ordnet just das Zimmer Ediths, es ist noch früher Morgen. Vorhin kam die Depesche, in der zu lesen, daß Gräfin Altwitz mit ihrer Schutzbefohlenen am sechzehnten Juli, das heißt morgen abend, sieben Uhr, auf der Station eintreffen werde. Und jetzt dieser Brief, der alle inbrünstig gehegten Hoffnungen der alten Dame zu Boden schlägt!

„Mir ist, als ob ich in ein Gefängnis soll,“ steht da, „und Mohrmann thut mir leid. Die Frau Christel war doch wohl die Rechte für diesen hausbackenen Menschen.“

Die alte Dame zieht ihr Taschentuch und trocknet sich die Schweißperlen von der Stirn. Soll denn alles umsonst gewesen sein – ihr Sorgen, ihr Thun, ihre ganze Diplomatie, ihr geradezu schwiegermütterliches Walten während der schweren Zeit, die der Mann jetzt durchlebt hatte? Ihr geopfertes Sparkassenbuch – alles? Jeden Mittag hatte sie den Schweigsamen unterhalten, jeden Abend war sie hinüber gegangen, um mit ihm noch ein Stündchen zu verplaudern, ihm ein freundliches, ermutigendes Wort zu sagen, ihm von Edith zu sprechen und Stellen aus ihren Briefen vorzulesen, die mitunter erst in Wartau verfaßt waren. Mit einem Worte: sollte denn das ganze stolze Zukunftsschloß, das sie unter tausend Mühen aufgebaut hatte, unter der Laune eines unberechenbaren jungen Geschöpfes zusammenstürzen?

Sie setzt sich plötzlich wie gebrochen auf das kleine Sofa mit dem verblichenen Seidenbezug. Ein Königreich für einen rettenden Gedanken! Sie weiß ganz genau, daß ein einziger unfreundlicher Blick Ediths den stillen, ganz veränderten Mann dort unten zwingen wird, sich zurückzuziehen, sie zu lassen. Er ist der alte nicht mehr, er giebt sich so müde und gleichgültig, als ob seine ganze Spannkraft, seine Jugend von der scheidenden Frau mitgenommen wäre. Er ging all die Zeit umher wie ein Kranker, und wenn sie, Tante Tonette, nicht unaufhörlich von Edith gesprochen hätte, wäre der Name des Mädchens überhaupt nicht genannt worden. „Edith hat geschrieben, sie fragt nach Ihrem Ergehen, Mohrmann,“ hat sie einen um den andern Tag gesagt und mit Mühe und Not eine Antwort bekommen, ein halb geflüstertes „Sehr freundlich“ und „Wie geht es denn Fräulein Edith? Bitte, meine Empfehlung.“ – Und nun der andere Teil auch so grenzenlos abgekühlt, so plötzlich! Im vorletzten Schreiben war noch so viel die Rede vom „alten lieben Wartau, dem trauten Nest“, heute ist’s ein „Gefängnis, eine Brutanstalt für Langweile!“

Beim Mittagsessen sitzt sie Anton blaß gegenüber, erst zum Schluß des Mahles fragt sie: „Kann ich morgen abend den Wagen bekommen? Edith kehrt zurück.“

Ueber sein Gesicht fliegt eine plötzliche Röte; es ist, als könne er kein Wort aus der Kehle bringen. Er verbeugt sich nur stumm, und beim Aufstehen vom Tische fragt er endlich: „Zum Sieben Uhr-Zug, nicht wahr?“

„Ja! Und Sie verzeihen, wenn wir an diesem ersten Abend oben bleiben – Edith wird etwas ermüdet sein, und –“

„Selbstverständlich, Baronesse; ich bin ohnehin nicht zu Hause, ich hatte Namann versprochen –“

„Das paßt dann ja ganz schön,“ stimmt Fräulein Tonette zu mit Aufbietung ihrer letzten Kraft und geht.

Am andern Nachmittag bringt der Gärtner ein Körbchen voll Rosen, ein Willkommen des Herrn für Fräulein Edith. Tante Tonettes gequältes Herz schlägt freier. Wenn er nur noch derselbe, ihrer wird sie schon Herr werden! Und sie setzt das schöne Blumenarrangement mit einem lauten Seufzer der Erleichterung auf das Rokokotischchen in Ediths Zimmer. Dann schießt’s ihr durch den Kopf – Herrgott, einen Korb! Sollte er? Aber nein, dazu ist er zu gutmütig, er hätte ja gar nichts zu schicken brauchen.

Um sieben Uhr ist sie pünktlich auf der Station; der Altwitzer Wagen wartet bereits dort. Tante Tonette hat für die Gräfin einen köstlichen Strauß La France-Rosen in Bereitschaft, auf andere Weise kann sie vorläufig ihren Dank nicht bezeigen. Mit nur fünf Minuten Verspätung fährt der Lokalzug vor dem winzigen Bahnhofsgebäude an und die Reisenden steigen aus.

„Mein lieber verehrter Graf!“

„Ah, Fräulein von Wartau! Herzlich willkommen! Da ist das Kind, sieht’s nicht prachtvoll aus – wie?“

„Aufrichtigsten, innigsten Dank! Willkommen, Edith! Bitte, lieber Graf, bemühen Sie sich nicht.“ So klingt’s durcheinander, und dann wiederholt Fräulein von Wartau ihren vorläufigen herzlichen Dank und der Graf versichert, daß die junge Reisegefährtin immer außerordentlich charmant, ihnen die größte Freude gewesen sei, und endlich fahren die beiden Wagen hintereinander ab, nachdem der Graf dem lieben Reisetöchterchen einen väterlichen Kuß zum Abschied gegeben. Er wirft ihr auch noch, das Monocle im Auge, ein paar Kußhändchen zurück, die Edith lächelnd erwidert.

„Nun,“ fragt Tante Tonette, möglichst unbefangen, „hat sich deine Furcht um die Heimkehr gelegt?“

Das junge Geschöpf schmiegt sich, wie fröstelnd, in die Kissen des Wagens, und es ist Tante Tonette, als klapperten die weißen Zähnchen leise aufeinander im Fieberschauer.

„Bist du krank, Edith?“

„Ich glaube,“ ist die mühsam hervorgestoßene Antwort.

„Du gehst am besten gleich ins Bett, solch endlose Fahrt ermüdet sehr.“

„Ja – ich danke.“

„Mohrmann mußte leider in einer dringenden Angelegenheit verreisen.“

Edith atmet auf. „So?“

„Er läßt sich dir sehr empfehlen, hofft morgen früh auf ein Wiedersehen. Es thut ihm schrecklich leid, Edith – übrigens,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0214.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)