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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Auge auf ihn geworfen. Er glaubt, daß er mein Liebster ist, und sagte es mir geradezu. Ich leugnete und hatte ja ein gutes Recht dazu. Heute nun kam dein Freund wieder; glücklicherweise hielt der Vater einen langen Nachmittagsschlaf, denn er hatte mittags mit guten Freunden gezecht. Ich konnte den Maler also unbemerkt in den Burghof geleiten; doch ich hielt’s für besser, ihn ganz zu verstecken, bis du kämst. Ich schloß ihn in den Turm ein und ließ ihn in seiner Gefangenschaft. Du solltest ihn erlösen. Allein es kam anders –“

„Nun? Rasch – rasch!“

„Robert kam mit zwei Offizieren aus Schreiberhau – die Burg soll nun wirklich Besatzung erhalten; sie wollten alle Räumlichkeiten besichtigen. O, wie war ich selig, ihn wiederzusehen, und ich konnte mir auch einen Kuß, eine Umarmung stehlen! Niemand hat’s bemerkt – es war da am Zwinger, wo früher die Falkonetts standen.“

„Deine Liebesgeschichten erzähl’ mir ein anderes Mal; ich kann mir das alles schon denken – weiter, weiter!“

„Das gehört alles zusammen, sonst verstehst du’s ja nicht. Ich ging immer an der Seite der Schreiberhauer Herren mit dem Schlüsselbunde; es gab noch hier und dort einen wenngleich verfallenen, doch verschlossenen Raum, wo der Vater allerlei Gegenstände der Wirtschaft stehen hat. Wir hatten schon den zweiten Hof durchschritten und näherten uns dem Turme – da fiel mir’s schwer aufs Herz, daß dort ja einer im Versteck saß. Der Angstschweiß stand mir auf der Stirn. Ich sagte, an dem alten Turme sei nichts zu sehen, die Treppe sei verfallen. Robert bemerkte mein Zögern, meine Verlegenheit; er wußte sich’s offenbar nicht zu erklären. ,Den Turm müssen wir sehen,’ sagte er; ,was baufällig daran ist, muß wiederhergestellt werden, wir brauchen ihn als Warte zum Ausspähen.’ Ich verfiel auf ein sehr thörichtes Auskunftsmittel; ich’sagte, ich hätte den rechten Schlüssel vergessen. Da griff eine Hand energisch nach dem Schlüsselbund; es war die meines Vaters, der sich uns angeschlossen hatte, ohne daß ich es merkte; er nahm den Schlüssel heraus, stieß mich erzürnt beiseite und öffnete die Thür.“

„Der arme Edmond! Das kommt von den Heimlichkeiten! Hätte er an seiner Staffelei im Hofe gesessen, es wäre ihm nichts begegnet.“

„Doch! Der Vater war seit gestern ganz in der Stimmung, ihm den Weg zu weisen. Das konnt’ ich nicht wissen, daß er so aus dem Regen in die Traufe kam und ich mit ihm. Der Vater sah mich mit einem durchbohrenden Blick an, als er den Maler erblickte. Und Robert, Robert – er erblaßte. Fast unheimlich war der Ausdruck seiner Züge. Mein Zögern hatte mich verdächtig gemacht; er mußte glauben und er glaubte, daß ich hier einen Nebenbuhler versteckt hielt. Noch waren Fremde zugegen: weder der Vater, noch Robert sagten ein Wort. Der Maler war gefaßt; er sei aus Versehen hier eingeschlossen worden, erklärte er und grüßte mit vornehmem Anstand. Mein Vater aber war seines Zornes nicht länger mächtig, er rief dem Fortgehenden noch in den Hof nach, er wisse ganz gut, was er hier suche, und bäte ihn dringend, seine Besuche endlich einzustellen.“

„O, das hat man davon,“ rief Leontine, „wenn man sein Schicksal in die Hände alberner Mädchen legt!“

„Leontine!“ rief Klärchen in höchster Erregung.

„Ich eile den Berg hinunter, ihm nach!“

„Das ist zu spät, jetzt ist er schon in Hermsdorf; und ich lasse dich nicht fort! Dank für meine guten Dienste verlange ich nicht, aber wie’s jetzt gekommen ist, bist du mir schuldig, mich nicht im Stich zu lasten. Du mußt sprechen, du mußt dich erklären, du mußt meine Unschuld beweisen!“

„Was soll es dir schaden, wenn man dich auch für schuldig hält? Ein Mädchen wie du hat immer seine kleinen Abenteuer.“

„Reize mich nicht, Leontine! Du bist in meiner Gewalt, doch wir wollen Freundinnen bleiben – es würde mir wehthun, wenn’s anders käme. Robert muß wieder an mich glauben – ein Wort von dir genügt. Ich mußte ja schweigen, halbe Hindeutungen würden ihm nicht genügt haben, und hätte ich von einer Freundin gesprochen, er hätt’s für Lug und Trug gehalten, wenn ich ihren Namen verschwieg.“

„Du hast wohl daran gethan,“ sagte Leontine; „wahren wir noch einige Zeit das Geheimnis; dann werd’ ich selbst den Schleier lüften und dein engelweiß Gefieder wird wieder im reinsten Schimmer leuchten.“

„Nein, ich ertrag’s nicht, jetzt, gerade jetzt so dazustehen! Sie werden die Burg besetzen, ich werde immer in seiner Nähe sein – und mit diesem schwarzen Fleck gezeichnet in seinen Augen! Der Krieg wird sich hierher ziehen, er wird mitkämpfen müssen, er wird in Gefahr kommen, o Gott, und wenn er im Kampfe fiele, wäre sein letzter Gedanke der an ein schlechtes Mädchen, das ihn betrogen!“

„Ich kann dir nicht helfen. Sage du was du willst – ich leugne! Für jetzt! Aber es wird, es soll bald anders werden. Nicht mein Wort – daran könnte man zweifeln, es könnte ein Freundschaftsstückchen sein – die That wird dich rechtfertigen!“ Damit verabschiedete sich Leontine und eilte den Berg hinunter, getrieben von ihren wilden, leidenschaftlichen Gedanken.

Klärchen blieb allein zurück – auch Robert hatte die Burg verlassen ohne Abschied, Groll im Herzen und beleidigende Zweifel. Wieder saß sie am Höllenschlund und maß den Absturz in die dunkle Tiefe. Doch die Hoffnung stirbt nicht in einem jungen Herzen. Märchens Blick wandte sich nach oben; der Stern der Liebe stand mit mildem Glänze am Abendhimmel, an welchem die Gluten des Sonnenuntergangs eben erloschen.


Graf Götzen, der Generalgouverneur von Schlesien, wollte den Krieg führen durch ein Aufgebot aller Volkskraft. Waffen und Munition kamen ihm von Oesterreich herüber; die Werbetrommel wurde gerührt in allen Dörfern der Gebirge. Noch hielt sich Glatz. Er hatte ein verschanztes Lager errichtet zum Entsatz der Feste und es in blutigen Kämpfen gegen die Franzosen verteidigt. Im Rücken der Franzosen hoffte er einen Volkskrieg zu entzünden, der von Schlesien aus weit hinein in die deutschen Gaue sich erstrecken sollte. Der wilde Vandamme aber war aufs höchste erbittert über den Widerstand, der ihm hier in Schlesien, das er schon als eine eroberte Provinz angesehen, auf Schritt und Tritt begegnete. Vor allem wollte er das Brutnest im Gebirge ausheben, aus welchem immer neue Freiwilligenscharen auskochen, und so sah man eines Tages große militärische Kolonnen sich im Zackenthal vorwärtsbewegen.

Es war begreiflich, daß Edmonds Gesuch um Abschied unter diesen Umständen abgelehnt wurde. Die ärztlichen Zeugnisse hatten nicht entschieden genug seine vollkommene Dienstunfähigkeit festgestellt. Man brauche jetzt tüchtige Offiziere, hieß es in dem Bescheid, und könne ihn nicht entbehren. So war Edmond wieder in sein Regiment eingetreten, das gerade in Hirschberg eingerückt war; er hatte Leontine mit wenigen Zeilen von dieser Wendung seines Schicksals in Kenntnis gesetzt.

Das war ein unverhoffter Schlag für sie – Geduld, immer nur neue Geduld – und das war ihr nicht gegeben! Jedes Wiedersehen war jetzt ausgeschlossen – jetzt trat er auf als der Landesfeind mit Wehr und Waffen. Wie, wenn seine Truppen ihres Vaters Besitzungen verwüsteten? Mit atemloser Spannung hörte sie jeden Bericht über den Anmarsch französischer Bataillone; ängstlich schlug ihr sonst so mutiges Herz – irgend ein Unheil lag in den Lüften.

Inzwischen wurde der Kynast kriegerisch bewehrt, Bergkanonen waren auf die alte Ritterburg heraufgeschleppt worden. Einmal schreckten sie mit ihren Probeschüssen das Echo im Höllenschlund auf und verkündeten weit hinein ins Thal dem anrückenden Feind, daß auch das Felsennest der Schaffgotsch bereit sei, ihm die Zähne zu weisen. Rekruten wurden in den Schloßhöfen einexerziert, doch war auch ein kleiner Stamm kriegstüchtiger Truppen hierher gelegt zu gelegentlichen Ausfällen.

Robert verweilte mit zwei Offizieren auf der Burg. Auch Klärchen hatte dieselbe nicht verlassen, der Vater brauchte ihre Hilfe. An Robert ging sie schweigend vorüber, wie er an ihr; nicht ohne tiefes Herzweh war es beiden möglich, sich so nah’ und doch so fremd zu sein.

An einem schönen Juniabend war Robert auf den Turm gestiegen, dessen Treppe notdürftig zurechtgezimmert war, indem hölzerne Stufen die steinernen ergänzen mußten. Er beobachtete von dort die Bewegungen der Feinde. Ein Teil der feindlichen Truppen schien einen Vorstoß gegen Schreiberhau machen zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0222.jpg&oldid=- (Version vom 30.3.2017)