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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Ausschuß eingesetzt werde, der die Einberufung des Parlaments in Gemeinschaft mit dem Bundestag betreibe. „Freunde,“ rief er, „wir wollen, daß unsre Beschlüsse auch Kraft und Nachdruck haben. Sie können heute oder morgen, da oder dort eine kleine Revolution oder einen Straßenkrawall anfangen, allein darum gehorcht man Ihnen noch nicht in Sachsen oder in Berlin. Wir leben in einer Zeit der Not, wo die ganze Gesellschaft auseinanderfallen will und nach innen und außen Unordnung und Anarchie das Land bedrohen. In solcher Zeit ist es notwendig, das letzte Band des Zusammenhalts heilig zu achten.“ Bei diesen Worten unterbrach Beifall den Redner, dem sofort von den Galerien ein betäubender Lärm folgte. Doch Welcker fuhr unbeirrt fort: „Wir haben kein anderes gesetzliches Organ als den Bund und deshalb wiederhole ich, man muß sich daran halten.“ Leidenschaftlich erwiderte Hecker, daß es gerade seine Absicht sei, durch die Permanenz der Versammlung den Bundestag ganz zu beseitigen. Unter dem dröhnenden Beifall der Galerien hielt er, mit Robert Blum um die Wette, strenge Abrechnung mit dem alten Bund, dem Bundestag Metternichs. „Wenn der Bundestag,“ gab er Welcker zurück, „Arm in Arm mit dem Ausschusse geht, so ist die beste Maßregel des Ausschusses nicht nur verdächtigt im Volk, sondern in die Acht erklärt. Darum suchen wir uns, wir, das lebendig hier versammelte Volk, wir, die wir als Geschäftsführer der Nation aufgestellt sind, nicht an ein morsches, verfallenes Gebäude mit unserm Ausschuß anzulehnen!“ Vergeblich mahnten Gagern und Itzstein, man solle sich doch an den neuen Bundestag halten, der Metternichsche sei tot. Auch die „Vertrauensmänner am Bundestag“ – trotz Uhland, Jordan, Dahlmann – genügten Hecker nicht. Ihm trat Venedey entgegen, einer von denen, die erst kürzlich aus dem Exil heimgekehrt waren; er warnte davor, das Muster der Pariser Revolution nachzuahmen. Und schließlich drang die Ansicht des Hamburgers Heckscher durch, daß die Versammlung zur Verwirklichung ihrer Beschlüsse des Verkehrs mit den bestehenden Einzelregierungen des Bundestags gar nicht entraten könne. So wurde der Gegenantrag Gagerns, daß ein permanenter Ausschuß von 50 Mitgliedern den Bundestag bei Wahrung der Interessen der Nation und bei Verwaltung der Bundesangelegenheiten bis zum nahen Zusammentritt der konstituierenden Versammlung selbständig beraten solle, mit 368 gegen 148 Stimmen angenommen.

A. v. Soiron.
Nach der Lithographie von H. Hasselhorst.

Und noch einen dritten Versuch der „Entschiedenen“, ihr Ziel zu erreichen, mußte Hecker abgeschlagen sehen. Auf Vermittelung Itzsteins hatten sie sich am Abend des 1. April mit den gemäßigteren Demokraten, wie Blum, H. Simon, Jacoby, Vogt, zu dem Antrag geeinigt, daß der am nächsten Tage zu wählende Ausschuß der Fünfziger nur dann mit dem Bundestag arbeiten könne, wenn dieser sich zuvor von den verfassungswidrigen Ausnahmebeschlüssen der Jahre 1819 und 1832 ausdrücklich losgesagt und die Männer aus seinem Schoße entfernt habe, die zur Hervorrufung und Ausführung derselben mitgewirkt hatten. Die Republikaner gaben dem Antrag aber die Form, die Versammlung möge erklären: bevor der Bundestag die Gründung des Parlaments in die Hand nimmt, solle er sich in der bezeichneten Weise regenerieren, was, wie Itzstein dann in der Debatte hervorhob, wider die Abrede war. Bassermann bemerkte sofort die Absicht der ehemaligen Genossen und erklärte, nachdem Zitz aus Mainz den Antrag begründet, mit dem Geiste desselben sei er ganz einverstanden, aber die Fassung desselben sei nichts andres als ein neuer Versuch, die Permanenz der ganzen Versammlung zu erzwingen. Er wies darauf hin, daß, bevor der Bundestag die gewünschte Forderung ganz erfüllen könne, eine geraume Zeit verstreichen müsse. Er veränderte daher die Form, so daß der Antrag nur noch die Voraussetzung aussprach, daß der Bundestag, indem er die Gründung des Parlaments in die Hand nimmt, auch die Verpflichtung übernehme, die gewünschte Regeneration zu vollziehen. In der nun folgenden stürmischen Debatte sprach Uhland das beschwichtigende Wort: „Wenn der Frühling Sprossen treibt, fällt das alte Laub von selbst ab.“ Struve aber erklärte, der Antrag sei der letzte Versuch, ob er und seine Anhänger überhaupt noch weiter mit dieser Versammlung wirken könnten. Die Drohung half nichts; der Bassermannsche Antrag ward angenommen. Da erfolgte das Unerhörte. Wie der erzürnte Achill erhob sich Hecker und entfernte sich mit den „Entschiedenen“ aus der Kirche. Blum, Itzstein, Vogt, Wesendonck und viele andere, welche mit zu den Unterzeichnern des Antrags gehört hatten, blieben dagegen auf ihren Sitzen. Und mit stürmischem Beifall ward die Erklärung des Kölner Demokraten Raveaux aufgenommen: in diesem ernsten Augenblicke sei es für den Vaterlandsfreund heilige Pflicht, den Saal nicht zu verlassen.

Die Absicht der Ausgetretenen aber war, durch den dramatischen Vorgang auf das Volk zu wirken; sie erwarteten von diesem eine entschiedene Bewegung zu ihren Gunsten, welche die Auflösung der jetzigen Versammlung herbeiführen sollte, an deren Stelle sich dann die republikanische Minderheit als „Vorparlament“ in Permanenz erklären könnte.

Als am andern Morgen die Sitzung begann, war jedoch Mittermaier als Präsident bereits in der Lage, zu verkündigen: der Bundestag habe die Beschlüsse der Versammlung, die Wahl zum Parlamente betreffend, angenommen und ebenso die Bedingungen, unter denen der Fünfziger-Ausschuß mit ihm zusammen wirken wolle. Schon hätten die noch anwesenden Gesandten, die an den Reaktionsbeschlüssen und ihrer Ausführung beteiligt waren, ihre Entlassung eingereicht. Da bot sich „Vater“ Itzstein an, die Abtrünnigen zur Rückkehr zu bewegen. Sylvester Jordan, Stedmann und Venedey unterstützten den Antrag. Noch einmal verstand es der greise Führer, seine Macht über den „verlornen Sohn“ auszuüben. Das letzte Mal! Hecker kam mit seinem Anhang zur Wahl des Ausschusses zurück in die Paulskirche. Aber wenn er durch sein brüskes Auftreten die Durchführung seiner Pläne hatte erzwingen wollen, so erreichte er nur das Gegenteil des Erstrebten. In seiner Abwesenheit war, auf Betreiben Biedermanns, Venedeys und Jaups, eine Erklärung der Grundrechte und Forderungen des deutschen Volkes angenommen worden, die im Gegensatz zu Struves radikalem Manifeste das Mindestmaß deutscher Volksfreiheit bedeuten sollte. Als ein Produkt der Verständigung zwischen den Demokraten und Konstitutionellen gelangte ferner der folgenreiche Antrag des Mannheimers v. Soiron zur Annahme, daß die Beschlußnahme über die künftige Bundesverfassung einzig und allein der vom Volk zu wählenden konstituierenden Nationalversammlung zu überlassen sei, wobei es ihr freistehe, später mit den Regierungen eine Verständigung zu suchen. So war das Prinzip der Volkssouveränität ganz ohne Mitwirkung der „Entschiedenen“ von der Versammlung ausgesprochen worden. Und als dann, nach ihrem Eintreffen in der Paulskirche, die Wahlen für den Fünfziger-Ausschuß vollzogen wurden, in welchem sich unter dem Vorsitz Soirons, Blums und Abeggs mit vielen der süddeutschen Volksmänner, die wir in Hallgarten, Heppenheim, Heidelberg tagen sahen, zahlreiche Norddeutsche zusammenfanden, da erhielt weder Struve noch Hecker genügend viel Stimmen für die Mitgliedschaft – die ganze Gruppe der entschiedenen Republikaner ging leer aus.

Damit war für sie der Würfel gefallen. Struve und Hecker eilten mit den Ihrigen nach Hause, um den von Fickler im „Seekreis“ bereits zum Ausbruch vorbereiteten bewaffneten Aufstand im ganzen Großherzogtum zu organisieren. Doch schieden sie von Frankfurt nicht etwa mit dem Gefühl von Besiegten. Außerhalb der Paulskirche war Hecker der Held des Tages gewesen. Seine entflammenden Reden hatten in der Masse des Volkes stürmischen Wiederhall gefunden. Er schritt mit der Ueberzeugung zur Schilderhebung, daß – wie er später erklärte – der geplante Waffengang ein „wahrer Festzug“ sein und es keines Schwertstreichs, keines Schusses bedürfen werde, um dem bewaffnet sich erhebenden Volk den Sieg zu erringen. Ebenso war er fest überzeugt, daß ganz Deutschland dem Beispiele Badens, das ja bisher immer vorangegangen sei, auch jetzt folgen werde. „Es gehörte nichts dazu als der Mut der That zu dem Mut des Worts. Das stehende

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 257. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0257.jpg&oldid=- (Version vom 23.4.2024)