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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Jordan gründete sich in Frankfurt a. M. ein Dichterheim, in welchem er kürzlich seinen 79. Geburtstag in voller Rüstigkeit gefeiert hat.

Ist Wilhelm Jordan der letzte aus der Paulskirche, der an dem begeisterten Vorgehen des Parlaments zur Gründung einer deutschen Flotte praktischen Anteil nahm, so hat die Nation in dem Bremenser Großkaufmann Hermann Henrich Meier einen Mann zu verehren, der, nachdem jene deutschen Flottenpläne kläglich gescheitert waren, aus eigner Kraft Großes für den gewaltigen Aufschwung der deutschen Schiffahrt gethan hat. H. H. Meier, der nur kurze Zeit in der Paulskirche saß – er wurde erst Anfang April 1849 Abgeordneter, als Ersatzmann für Dröge – schloß sich dort der Gagernschen Partei an. Als Gründer der mächtigen Dampfschiffahrtsgesellschaft „Norddeutscher Lloyd“, dessen Vorsitzender er seit 1857 ununterbrochen gewesen ist, als Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger hat er sich unvergängliche Verdienste erworben. Auch als Vertreter Bremens im Konstituierenden und im ersten Norddeutschen Reichstag, dann als Mitglied des Deutschen Reichstags hat er mit seinem energischen Geist stets dafür gewirkt, daß heute die deutsche Flagge auf den Meeren ebenso geehrt ist, wie sie vor fünfzig Jahren mißachtet war. Am 16. Oktober 1809 geboren, ist H. H. Meier der Nestor unter den heutigen Veteranen der Paulskirche.

Von den letzten Zehn der Erbkaiserpartei haben wir noch den Kurator der Universität Halle, W. Schrader, den Professor a. D. Backhaus in Görlitz, den preußischen Provinzialsteuerdirektor a. D. Schultze in Freiburg i. B. und den Gerichtspräsidenten a. D. Schorn in Bonn zu nennen. Wilhelm Schrader, der Sohn eines Dorfschullehrers der Provinz Sachsen, steht heute im 81. Jahre. Er war Konrektor des städtischen Gymnasiums in Brandenburg, als er daselbst in die Paulskirche gewählt ward. Wenige Jahre später wurde er zum Provinzialschulrat in Königsberg ernannt. Seine Leistungen, im besondern das Werk „Die Verfassung der höheren Schulen“, trugen ihm 1883 die Berufung zum Kurator der Universität Halle ein, in welcher Stellung er noch heute wirkt. – Professor Hermann Dietrich Backhaus, der 80jährige, stammt aus dem Fürstentum Waldeck. Er vertrat seine Heimat im Parlament als ein Mitglied des linken Centrums. 1849 bis 1851 leitete er die Verhandlungen der Ständekammer in Arolsen. Während der Reaktionszeit war er Oberlehrer an der landwirtschaftlichen Lehranstalt zu Beberbeck, dann praktischer Landwirt in Schlesien. 1872 folgte er dem Rufe als ordentlicher Professor nach Kiel, wo er 1877 auch die Vorlesungen über Volkswirtschaft an der Marineakademie übernahm. – Adolph Schultze ist zwar in Spandau geboren, wuchs aber in Schlesien auf. Nachdem er erst die Laufbahn des Richters eingeschlagen hatte, trat er 1840 in Breslau zur Verwaltung über. Als er 1848 in die Paulskirche gewählt ward, war er Oberzollinspektor zu Liebau in Schlesien. Später kam er als Rat ins Finanzministerium nach Berlin, 1865 wurde er preußischer Zollvereinsbevollmächtigter in Frankfurt a. M. und 1867 Provinzialsteuerdirektor für Hessen-Nassau in Kassel, welches Amt der jetzt 82jährige bis 1886 verwaltete. – Karl Schorn, der seine juristische Laufbahn als Landgerichtskammerpräsident zu Koblenz beschloß und heute im achtzigsten Jahr steht, gehörte zum linken Centrum. In seiner Heimat Essen wurde er als Ersatzmann Jakob Grimms gewählt, der frühzeitig aus dem Parlament austrat. Während des Kriegs von 1870/71 war er Präsident des Kriegsgerichts in Metz.

Es sind nur wenige, die als Veteranen der Paulskirche heute mit uns die Erinnerung an die Eröffnung des Parlaments feiern! Mit Wehmut werden sie dabei des morgenschönen Zukunftstraumes ihrer Mannesjugend gedenken. Aber wahrlich auch mit freudigem Stolz können sie auf ihre Teilnahme an dem ersten Deutschen Parlamente, das die deutschen Grundrechte feststellte und die Reichsverfassung vom 12. März beschloß, zurückblicken. Als eine großartige Kundgebung der Vaterlandsliebe wirkt es im Gedächtnis der Nachwelt fort, als ein begeisterndes Vorbild für jedes idealgerichtete Streben, dessen oberstes Gesetz das Wohl des Volkes ist!


Antons Erben.

Roman von W. Heimburg.

 (9. Fortsetzung.)

Eine Stunde nach dem furchtbaren Auftritt zwischen Edith und den Tanten sind sie alle, mit Ausnahme von Josepha, in Mas Zimmer versammelt. Die junge Frau hat sich aufgerafft trotz ihres Kopfwehs und ihre ganz entsetzten Augen folgen Edith nach, die mit noch immer vor Aufregung gerötetem Gesicht und spöttisch lächelnd auf und ab geht. Es ist schon dämmerig in der oberen großen Stube, und es riecht nach englischem Lavendelsalz und Menthol. Durch die geöffneten Fenster dringt die schwüle Luft des Sommerabends herein. Aus dem Sessel, in dem Tante Tonette liegt, kommt von Zeit zu Zeit ein Schluchzen.

Im Hause und im Garten ist es sehr lebendig; die Vorbereitungen für die Taufe halten die ganze Dienerschaft in Atem. Alle Augenblicke kommt jemand, um irgend etwas zu fragen, Diener und Stubenmädchen, der Zimmermann, der das Tanzpodium im Garten legt, die Mamsell aus der Küche, die Wärterin aus der Kinderstube. „Fragt den Herrn!“ herrscht Edith endlich den Gärtner an, der ihr Urteil wünscht beim Arrangement des Taufaltars.

„Verzeihen gnädige Frau, der Herr ist vor einer Stunde ausgeritten.“

„Herrgott“, ruft Tonette, „so machen Sie’s doch allein, es wird ja schon recht werden!“

„Es wäre viel gescheiter, Tante Tonette, du ließest dein unnützes Weinen und bekümmertest dich lieber selbst darum.“

„Ich kann nicht; ich bin wie gelähmt! Ehe ich nicht weiß, wie die Sache abläuft, werde ich kein Mensch wieder sein,“ jammert die sonst so resolute Dame. „Du mußt abbitten, auf den Knien abbitten,“ fügt sie hinzu, „du mußt, Edith!“

Edith lacht spöttisch.

„Sage, du wärst gereizt worden, du habest ohne jede Besinnung gesprochen, sage was du willst, nur lege deine hoheitsvolle gekränkte Miene ab!“

„Ich fürchte nur,“ klingt Mas Stimme müde und hoffnungslos dazwischen, „er kann ihr nicht verzeihen.“

Edith lacht noch lauter. „Bitte, macht euch doch nur keine allzu tragischen Vorstellungen. Erst werde ich hier herauf gerufen wie zur heiligen Feme, dann wird ein rabenschwarzes Unglück prophezeit und schließlich kommen Verhaltungsmaßregeln, als sei ich ein Kind, das beim Lügen ertappt worden ist! Ich weiß ganz genau, was ich zu thun habe, ich kenne ihn besser als ihr alle.“

Tante Tonette erstickt einen Angstlaut in der Kehle; sie sieht wieder den Mann vor sich sitzen, seine zitternden Hände, den gekrümmten Rücken, als wollte er einen heftigen physischen Schmerz niederzwingen. „Edith, ich bitte dich,“ stöhnt das alte Fräulein.

„Di, mein Mann würde –“ fängt Ma an.

„Was dein Mann würde, ist ja hier gar nicht von Belang,“ unterbricht Edith sie, „meiner wird gar nichts thun, gar nichts, ich versichere euch. Ihr denkt wohl, er stellt mich in die Ecke, oder er straft mich mit Verachtung, oder weist mich hinaus? Dazu ist kein Grund, und dazu gehören zwei, besonders die eine, die da gehen würde – das ist so einfach nicht! Und nun reden wir nicht mehr davon! Eine Scene wird’s ja geben zwischen ihm und mir, natürlich; aber das ist meine Sache, und morgen werdet ihr nichts mehr davon spüren.“

„Nachdem du geschrieen hast: ich habe Mohrmann nie geliebt, liebe ihn auch heute noch nicht? Du habest mit ihm nur Komödie gespielt? Habest ihn nur aus Berechnung an dich gezogen?“

„O Gott! O Gott!“ seufzt Tante Tonette, „es ist zu entsetzlich! Und daß sie noch behauptet, sie sei damals zur besseren Einsicht gekommen, so daß sie ihn nicht mehr wollte, daß sie durch mich hineingestoßen worden sei in ihr moralisches Elend – das vergebe ihr Gott, ich kann’s nicht!“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 304. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0304.jpg&oldid=- (Version vom 24.4.2024)