Seite:Die Gartenlaube (1898) 0308.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

beginnt die Stiftsdame abermals, und man merkt ihr an, wie peinlich ihr diese Frage ist.

Er erhebt sich. „Baronesse, meine Frau ist an ein sehr luxuriöses Leben gewöhnt, sie hat dasselbe weiter geführt, trotzdem ich ihr des öfteren Vorstellungen machte wegen ihres Aufwandes. In diesem Augenblick aber möchte ich ihr keinerlei Zwang auferlegen; mein Bankier wird ihr also die Summe, die sie gebraucht, zur Verfügung stellen.“

Die alte Dame mit dem stillen hochmütigen Gesicht errötet noch stärker. Es ist, als ob sie sprechen will, aber sie bringt kein Wort über die Lippen.

„Wann gedenken Sie zu reisen?“ fragt er.

„Edith möchte heute abend reisen, wenn Tonette einigermaßen hergestellt ist bis dahin,“ erwidert sie, „Emma v. Lattwitz mit dem Fünf Uhr-Zuge gleich nach der heiligen Handlung, und ich – –“ wieder stockt sie, ihre Hände spielen nervös mit dem Taschentuch, „ich – das heißt, wenn es Ihnen recht ist, Herr Mohrmann, und vor allem, wenn ich imstande bin, Ihnen zu nützen durch meine Gegenwart – der Kinder wegen natürlich – ich möchte noch einige Zeit Ihre Gastfreundschaft – – “

Er bückt sich, faßt ihre Hand und zieht sie an die Lippen.

„Sie nehmen mir eine Last von der Seele, Baronesse,“ sagt er, „ich danke Ihnen!“

„Nur bis Edith wiederkommt. Sie erwarten jedenfalls, daß sie zurückkehrt, wenn auch nicht mit erheuchelter Liebe, so doch mit aufrichtiger Hochachtung vor Ihrem Charakter?“

„Baronesse,“ sagt er schneidend, „reden wir nicht davon – im übrigen – der Mutter meiner Kinder steht jederzeit dies Haus offen. – Haben Sie weitere Befehle für mich, Baronesse?“ fragt er, sich erhebend.

Sie schüttelt langsam und traurig den Kopf, wie sie ihm nachsieht. Mit einem tiefen Seufzer verläßt sie das Zimmer.

0000000000

Nach dem Taufakt, bei dem Edith und Tonette fehlen und der in seiner Einfachheit gar nicht paßt zu dem Prunksaal und dem mit Orangerie verschwenderisch verzierten Altar, steigt Anton aufs Pferd und reitet trotz des trüben schwülen Wetters nach dem Vorwerk. Unterdes kommt der Landauer zurück, der den Geistlichen wieder nach der Stadt gebracht hat, und fährt gleich wieder an der Rampe vor, um die Damen zur Bahn zu bringen.

Edith hat sich entschlossen, mit demselben Zuge abzureisen wie Frau v. Lattwitz. Sie will die erste Nacht in Leipzig bleiben, um eine anständige Reisetoilette und sonst noch verschiedenes zu kaufen, und sie bringt mit diesem Entschluß das ganze Haus in quirlende Bewegung. Was Hände hat, hilft packen seit ein paar Stunden; in den Zimmern der jungen Frau sieht es wie auf einem Jahrmarkt aus. Tante Tonette, mit anderthalb Gramm Migränin im Leibe, taumelt umher wie eine Schwerkranke und hat eine grünlichgelbe Farbe; sie hätte so gern erst eine Nacht ruhig geschlafen vor der Abreise. Ediths Jungfer heult zum Herzbrechen, weil sie das Abschieds-Rendezvous im Park versäumen muß, das sie mit einem Volontär von Heine verabredet hatte, sie wollte ihn so gern noch Treue schwören lassen. Nun, ohne diesen Schwur, darf sie nach ihrer Meinung wohl kaum auf seine Treue hoffen. Das Kindermädchen von Ma leistet ihr getreulich Gesellschaft im Weinen und läuft zum Aerger der jungen Frau beständig in die Küche hinunter, um noch einen Händedruck von Wilhelm zu erhaschen.

Edith hat keine Ruhe mehr, sie will fort, je eher je lieber. Sie sieht etwas angegriffen aus, trägt aber eine forciert heitere Miene zur Schau und macht Späße mit Tante Tonette, die dieselben nicht beantwortet, und sie erklärt in Gegenwart der Leute besonders laut, daß sie sich wie unsinnig freue auf Sankt Moritz und daß sie von dort aus im Herbst direkt nach Venedig gehen, der Seebäder wegen, und wenn möglich den Winter in Rom verbringen wolle. An ein langes Fernbleiben glaubt sie im innersten Herzen nicht, in vier Wochen spätestens, meint sie, hat sie einen sehnenden, verzeihenden Brief von ihm, in dem nichts weiter steht als endlose Variationen über das Thema: „Komm’ wieder, es ist alles vergeben und vergessen!“ Aber sie wird ihn ordentlich warten lassen zuerst, ja, das wird sie!

Der Abschied von den Kindern wird ihr nicht schwer. Lothar hat zwar furchtbar geschrieen, weil er nicht mit Hottofahren soll; da hat sie ihm rasch einen Kuß gegeben und ihn hinaufbringen lassen. Die Zwillinge schlafen; die alte Kinderfrau präsentiert die Taufkindchen mit ernster Miene und Edith lacht über die blonden kleinen Dinger, die sich so völlig gleichen. Die dicke Person geht mit den Kindern nach ein paar Minuten tief gekränkt ab, weil die Mutter ihnen einen Abschiedskuß zu geben nicht für nötig hielt, ihr kein Wort gegönnt hat, um die süßen Geschöpfe ihr besonders ans Herz zu legen.

Einzig und allein Josepha ist ruhig und sitzt unbeweglich droben am Fenster und starrt in das aufziehende Wetter. Edith unterläßt, ihr Lebewohl zu sagen; sie ist namenlos empört über die Friedensstörerin, die in ihr Hans brach, um eine Pulvermine zu entzünden, welche ja freilich schon lange gelegt war, die Edith schon lange kannte, aber nicht gefährlich wähnte bei seiner blinden Verliebtheit. Und nun muß er es hören, wie sie ihrem Herzen gerad’ mal Luft macht – zu dumm! Na – es muß auch durchgemacht werden und schließlich, es ist keine üble Sache, so auf Reisen zu gehen! Es kommt ihr vor wie in ihren Kinderjahren, wo sie wegen einer Unart aus den Augen ihrer Mutter verbannt wurde, aber sich dafür ihr Lieblingsgericht bestellen durfte. Ach, und Reisen ist ein Lieblingsgericht; einmal ohne die Menschen sein zu dürfen, mit denen man tagaus tagein leben muß, das ist erst recht keine allzu harte Strafe für sie!

Das alte Stiftsfräulein erwacht erst aus ihrem Sinnen, als es stiller und stiller geworden ist im Hause und als die fernen Blitze so blendend die Dunkelheit erhellen. Sie erhebt sich und tastet sich durch das Zimmer auf den Flur hinaus; dort brennen die Lampen, aber die breiten Treppen liegen verlassen vor ihr. Sie geht noch einmal zurück, holt eine Kerze, steigt hinunter und durchwandert die Zimmer des ersten Stockes. Dort ist schon alles wieder verhangen, die Orangerie aus dem Saale entfern, die Staubrouleaux hängen vor den Fenstern. In einer Ecke des Saales, neben dem riesigen Kamin, erblickt sie eine Menge Stäbe mit bunten Bändern, die bei dem Schäferfest heute eine Rolle zu spielen bestimmt waren; ein großer Karton voll Knallbonbons, Konfitüren und Schleifchen in allen Farben steht auf einem Tischchen, dutzendweise liegen Stöße von Servietten und Tischtüchern in einem großen flachen Korb, und wieder auf einem andern Tische das ganze reiche Silberzeug des Hauses, Schalen, Aufsätze und Bestecks. Josepha verschließt vorläufig sämtliche Thüren; morgen will sie Mohrmann um die Schlüssel bitten und die Sachen verwahren. Von dort tritt sie in Ediths Zimmer; auch hier ist schon alles fortgeräumt und zugedeckt, nur die Uhren ticken noch und der Duft von white rose, den Edith so liebt, schwebt in der Luft. Auch hier schließt die alte Dame die Thüren, und dann klopft sie an Mohrmanns Zimmer unten.

Niemand antwortet. Der Diener, der aus dem Tafelzimmer kommt, wo er den Tisch für das Nachtessen hergerichtet hat, sagt, daß der Herr noch nicht zurück sei. Josepha ordnet an, man solle ihr ein wenig kaltes Fleisch und Selterswasser nach oben bringen, ihr Couvert hier fortnehmen. Dann steigt sie wieder hinauf und guckt noch einmal in die Kinderstube, wo alle drei schlummern; die beiden Ammen liegen im Nebenzimmer und schlafen schon den Schlaf des Gerechten. Auf dem Tischchen an ihrem Bett stehen ein paar leere Bierflaschen. Die alte Kinderfrau sitzt bei einer mit grünem Schirm verdeckten Lampe und schreibt.

„Sie sind heute abend so ruhig, die Kleinen,“ bemerkt sie zu Josepha, „gnädige Baronesse können glauben, das macht, weil sie getauft sind; alle kleinen Kinder schreien bis zur Taufe, weil der Böse noch in ihnen ist. Gottlob, daß sie ruhen und noch keinen Verstand haben, sonst müßten sie sich ja heute die kleinen Seelen aus dem Leibe schreien.“

„Gute Nacht, liebe Klauß,“ sagt Josepha freundlich, die dieser Friede angemutet hat, „Gott behüte die Kinder!“

„Wird für uns keine zu ruhige Nacht sein, Baronesse, wir kriegen was, und das kann ein schweres Wetter werden, es war ja so heiß die letzte Zeit. Wenn sich gnädige Baronesse fürchten, kommen Sie nur herüber; wenn mehrere zusammen sind, da hat man ein bißchen Mut.“

Im Schein der Blitze und beim leisen Murren des heraufziehenden Wetters kommt Anton durch die Allee geritten, die auf das Gut zuführt; unter den dichten Bäumen herrscht tiefe

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0308.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2020)