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Photographie im Verlage von Franz Hanfstaengl in München.
Ein Ueberfall
Nach dem Gemälde von A. Roeseler.

Dunkelheit und eine geradezu erstickende Luft, er kann kaum atmen. Am Ende der Allee liegt das Schloß ohne ein einziges erleuchtetes Fenster; sein Anblick stimmt ihn noch mehr herab; die ganze Schwere einer solchen Heimkehr, wo niemand ihm mehr ein Willkommen bietet, befällt ihn mit doppelter Wucht.

Daß es so hat kommen müssen! Ach, er braucht wenigstens keine lächelnde Lüge mehr zu sehen und zu hören, das ist doch eine Wohlthat! Oede, öde wird es sein, aber klare Luft.


Wie das tobt in den Lüften auf einmal! Anton ist zuerst nach dem Wirtschaftshofe geritten, da braust plötzlich ein Wirbelsturm daher, der sofort eine Menge Ziegel von den Scheunen fegt und sie krachend auf das Pflaster schleudert. Der Knecht, der herzueilt, um das unruhige Tier zu halten, kann kaum Widerstand leisten gegen den Sturm.

Mit beiden Händen den Hut festhaltend, steuert Anton auf das Inspektorhaus zu und prallt mit Heine an der Thür zusammen.

„Nun geht’s los, Herr Mohrmann,“ sagt der, „es hat gerad’ noch geklappt mit dem Grummet, und nötig ist uns, weeß Gottchen, jeder Tropfen.“

„Wecken Sie die Knechte, lassen Sie die Pferde anschirren, die Spritze herausfahren,“ befiehlt Anton, „es ist ein schweres Wetter.“

Und es wurde wirklich ein schweres Wetter. In der Gesindestube des Inspektorhauses versammeln sich die aus dem Schlafe gescheuchten Knechte mit langen blassen Gesichtern, dafern sie nicht beim Vieh in den Ställen stecken, um dies zu beruhigen. Die kleine Frau Heine kauert in der Sofaecke, den Kopf in die Kissen verborgen, die Mamsell und die Mägde sitzen um den Tisch herum bei brennendem Licht und lesen im Gesangbuch und einige bemühen sich, die durch die geschlossenen Fenster dringenden Himmelswasser aufzutrocknen.

Die alte Stiftsdame im Schloß hat sich in das Kinderzimmer geflüchtet; die ganze Dienerschaft ist auf den Beinen. Der Herr des Hauses wandert in seinem Zimmer umher und horcht auf das Rauschen der Fluten, die unaufhörlich mit elementarer unglaublicher Gewalt vom Himmel stürzen.

„Ein Wolkenbruch,“ sagt Anton zu Heine, der eben mit blassem Gesicht, eine große wollene Decke umgeschlagen, eintritt, „sehen Sie, wie das Wasser aus dem Garten stürzt!“

„Herr Mohrmann, die Dotte ist aus den Ufern und fließt mitten durch die Dorfstraße,“ berichtet er, „die Bauern wollen Sturm läuten, die Brücke an der Mühle ist schon fort.“

„Lassen Sie den Fuchs für mich satteln und machen Sie sich auch fertig! Einige der Knechte auf die Ackerpferde, man muß versuchen, den Leuten zur Hilfe zu kommen! Sind die Ställe noch trocken?“

„Bis jetzt – ja, wir haben ein starkes Gefälle, aber drunten im Dorf wird sich die Geschichte wohl stauen.“

„Ich meine auch, hier ist vorläufig nichts zu besorgen, also vorwärts, Heine!“ Er geht nur noch einmal nach oben, um die geängstigten Frauen in der Kinderstube zu beruhigen, dann steigt er aufs Pferd und galoppiert, schon immer im Wasser, durch die Allee dem Dorfe zu. In der mit dem Fluß parallel laufenden Gasse steht die Flut schon einen Meter hoch; wie ein reißender Gebirgsbach kommt sie daher, die Fachwerkhäuser gefährdend, mit Trümmern bedeckt. Und der Regen strömt bei völliger Windstille mit unverminderter Schnelle und Dichtigkeit. Das Rufen und Schreien der Bewohner, das Brüllen des geängstigten Viehes mischt sich mit den raschen Schlägen der stürmenden Glocke, dabei herrscht die schreckhafteste Dunkelheit.

Wer kann da helfen?

In der Pfarre, die nebst Gottesacker und Kirche an der oberen Hauptgasse liegt, also vorläufig geschützt, ist alles hell; die Ziegen und die zwei Kühe sind trotzdem auf die etwas höher als die Ställe gelegene Hausdiele gerettet, deren untersten Tritt doch schon das Wasser bespült. Im Hause trägt eben eine große blonde Frau eine wimmernde Last mit Aufbietung aller Kräfte das steile Treppchen hinauf in den oberen Stock.

„Aber, Lotte, es ist ja gar nicht so schlimm,“ tröstet sie, „es hat sich bald ausgeregnet und das bißchen Wasser verläuft sich dann rasch. Jetzt lieg’ nur ganz still, und du, mein Junge,“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 309. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0309.jpg&oldid=- (Version vom 24.4.2024)