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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Bezirks so gewaltige Werte, daß man es kaum für möglich hält. Das geht aus einer interessanten Arbeit von Woldrich hervor, der sich die Aufgabe gestellt hat, nachzuweisen, welche Massen mineralischer Nährstoffe jahraus jahrein durch die Vegetation dem Boden, und zwar speciell des Ländergebietes von Böhmen, entzogen werden. Woldrich berechnete, daß alljährlich die Feldpflanzen Böhmens dem Erdboden wenigstens 563 Millionen Kilogramm mineralischer Stoffe entziehen, Wiesen und Weiden wenigstens 274 Millionen Kilogramm, Wälder und Gärten 25 Millionen Kilogramm, die gesamte Pflanzenmenge also mindestens 862 Millionen Kilogramm. Zum Transport dieser ungeheuren Menge würden 4310 Güterzüge zu je 20 Wagen, der Wagen zu 200 Centner Tragfähigkeit angenommen, nötig sein.

Die Pfingstlichteln in Berchtesgaden. (Mit Abbildung.) Altheidnische und christliche Sitte haben sich vereint, um an zahlreiche Zeitpunkte im Jahre gewisse Bräuche anzuknüpfen, die teils mit Wandlungen des Naturkreislaufes, teils mit den Erinnerungen an kirchengeschichtliche Ereignisse und Personen zusammenhängen. Als ein solcher Zeitpunkt erscheint auch das Pfingstfest. Die Zeit, um welche der Lenz in seine vollste Pracht eintritt, mag wohl bei unseren germanischen Vorvätern im grauen Heidentume noch eine viel dringendere Veranlassung zu festlicher Stimmung gewesen sein als heutzutage. Jene Festlichkeiten, welche da, wo sich noch alter Brauch im Volke erhalten hat, um Pfingsten gefeiert werden, lassen deutlich erkennen, wie in manchen Gegenden rätselhafte heidnische Ueberlieferung, anderwärts dagegen christliche Anschauungen den Grundzug der Festveranstaltungen bilden. Man wird solche Sitten immer am lebendigsten in rein ländlichen Gegenden finden, wo noch nicht die Aufklärung und die modernen Interessen einer industriellen Bevölkerung das Althergebrachte weggewischt haben. So ist es insbesondere in den verschiedenen Landbezirken Altbayerns der Fall. In den Ortschaften der zur Donau sich abdachenden Hochebene herrschen – oder herrschten wenigstens bis vor wenigen Jahrzehnten – Pfingstbräuche, die nur aus einer kaum mehr verständlichen heidnischen Ueberlieferung erklärt werden können. So namentlich der Umritt eines Zuges, dessen Hauptperson eine komische Figur, der „Pfingstl“, ist, welcher schließlich ins Wasser geworfen wird.

Die Pfingstlichteln in Berchtesgaden.
Nach Skizzen von F. Menter gezeichnet von F. Bergen.

Wo durch ein vielhundertjähriges Hausen unter dem Krummstabe die Bevölkerung veranlaßt worden ist, sich tiefer in das Christentum einzuleben, hat auch die Pfingstsitte ein christliches Gepräge angenommen. So in dem bergumschlossenen Berchtesgadener Ländchen, dessen Volk seit achthundert Jahren von den Pröbsten und Mönchen des Berchtesgadener Stiftes in christlicher Sitte erzogen ward. Hier hat sich die schöne Sitte der „Pfingstlichteln“ bis in die neueste Zeit erhalten. Zur Erinnerung an die Ausgießung des heiligen Geistes über die Apostel werden hier Kerzchen angezündet, die entweder von Kindern durch die Straßen getragen oder auch auf Balkongeländern, Brüstungen und Planken befestigt werden. Manchmal sieht man zwölf solcher Kerzen nebeneinander auf einem Balkon oder Mäuerchen brennen; dahinter sitzt dann gewöhnlich, in einem Gebetbuche lesend, eine alte Frau, die außer ihrer Freude an den Lichtern auch zu sorgen hat, daß durch dieselben kein Schadenfeuer entsteht. Es macht einen eigenen Eindruck, diese kleinen Lichtchen im Kampfe mit der großen, auf die Felsberge des Thales niederstrahlenden Frühlingssonne zu sehen. M. H.     

Mörtel der ägyptischen Pyramiden. Wer je in den Katakomben Roms oder in den altrömischen Amphitheatern gewesen ist, der hat sich wohl auch gewundert über die ungeheure Festigkeit des Mörtels, durch den die aufeinanderlagernden Steinmassen in diesen mehrere tausend Jahre alten Bauten unauflöslich verbunden erscheinen. Man hörte darum und hört auch heute noch oft die Behauptung aufstellen, so fest verständen wir jetzt nicht mehr zu bauen. Da ist es denn interessant, zu wissen, daß chemische Untersuchungen des Mörtels dieser alten Bauten ergeben haben, daß er genau so zusammengesetzt ist wie unsere heutigen Mörtel. Noch viel älter als diese römischen und griechischen Bauwerke sind nun die Pyramiden Aegyptens, die trotz ihres hohen Alters nicht die geringsten Spuren des Verfalls zeigen und an denen wohl noch viele weitere Jahrtausende vorüberziehen werden, ohne sie zu Fall zu bringen. Das Bindematerial, das die alten Aegypter benutzten, muß also wohl noch besser gewesen sein. In Amerika hat man nun Mörtel von der ältesten und größten, der Cheopspyramide, untersucht, und siehe da, er stimmte in der Zusammensetzung mit unseren besten Mörteln nahezu völlig überein. Daraus geht hervor, daß wir, wenn wir nur wollen und unser bestes Material nehmen, wohl mindestens ebenso fest bauen können, wie es den alten Aegyptern und Römern möglich war. Dr. –dt.     

Am Hochsitz. (Zu dem Bilde S. 317.) Auf der Jagd spielt der Wind eine Hauptrolle. Man kann sich noch so gedeckt ansetzen und so vorsichtig als nur immer möglich pirschen – hat der Jäger keinen Wind, das heißt, zieht die Luft von ihm nach dem Wilde hin, so wird er wenig Glück haben: es wittert ihn, bevor er es sieht oder schußmäßig heran ist. Deshalb baut sich der Jäger, um vom Winde nicht abhängig zu sein, Hochsitze oder Kanzeln, und der Künstler, Albert Richter, zeigt uns auf seinem Bilde eine solche, in deren Nähe sich eine „Körnung“ befindet. Seit Jahren wechselte in der „Dresdener Heide“ ein „Eingänger“, ein Hauptschwein, und als dasselbe eine aus Kartoffeln, Eicheln und Mais angelegte Körnung angenommen hatte, forderte der Oberförster an einem schönen Maitag den Künstler auf, sein Glück mal zu versuchen und vom Hochsitz den prächtigen „Eingänger“ zu skizzieren. Da aber auch Dam- und Rotwild auf die Fütterung kam, hatte der Forstlehrling zwei am Morgen erlegte junge Füchse neben dieselbe gelegt, die das Wild „vergrämen“ sollten, den Schwarzkittel aber, der ja auch „Luder“ annimmt, wohl kaum von der Körnung abhalten würden. Als es dämmerig wurde, knackte es in der Dickung, aber statt des Keilers zog ein Kolbenhirsch heran, vorsichtig schleichend, hin und herwechselnd, als bekäme er Wind von den Füchsen, könnte aber trotzalledem seine Sehnsucht nach der Körnung nicht bemeistern. Plötzlich aber warf er sich herum uno stürmte polternd und prasselnd durch die Dickung zurück. Diesen auf der Kanzel erlauschten Vorgang hat dann unser Künstler in seinem Bilde wiedergegeben. K. B.     

Passionata. (Zu unserer Kunstbeilage.) Ist es eine Erinnerung an Beethovens „leidenschaftliche Sonate“, welche dem Künstler vorschwebte, als er diesen dunkelschönen Frauenkopf schuf? Stürmisch wie dort die Töne, sich verschlingend, brausen, hat es hier in der jungen Seele gewittert: Haß und Liebe, heißes Verlangen und treuloses Abwenden haben sich wie Wellen der Sturmflut übereinander hingewälzt, bis endlich die Kraft erschöpft war, die heißen Thränenströme versiegten und schwermütige Ruhe an Stelle der Verzweiflung trat. Nun klingen die Töne ernst und trauervoll, von süßer Erinnerung sehnsüchtig durchwoben, so wie hier der Blick der Augen sich tief und schwermutsvoll in die Ferne richtet. Festgeschlossen bleibt der Mund, der von höchster Wonne und großen Schmerzen zu reden vermöchte, die Hand vergräbt sich in die dunklen Haarwellen und träumerisch ruht das schöne Haupt weit vorgeneigt, als lausche es den klagenden Stimmen, die von gestorbener Liebe und bösen Schicksalsmächten singen. Nur in den Angen glimmt es noch leise wie ein unheimlicher Funken, der nicht verlöscht und des Augenblicks harrt, da ein plötzlicher Windstoß ihn wieder zur verzehrenden Flamme anfacht. Auf dem Marmortisch vor der Schönen aber liegen, achtlos hingestreut, halbentblätterte Rosen, ein Sinnbild eines kurzen, nun zerstörten Liebesglücks.


Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart. Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0324.jpg&oldid=- (Version vom 24.4.2024)