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(im Jahre 1282) trat in Köln am Rhein ein alter Mann auf mit dem Vorgeben, daß er der Kaiser Friedrich sei; er hätte aus Verdruß den Kaiserthron verlassen und sich dreißig Jahre lang auf dem Kyffhäuserschlosse verborgen gehalten, wolle jedoch jetzt die Regierung wieder übernehmen. Da er in der alten Bischofsstadt wenig Glauben und Vertrauen erweckte, so begab er sich nach Neuß, gründete hier seinen eigenen Hofstaat und spielte seine Rolle weiter und so vortrefflich, daß er wirklich einigen Anhang fand. Er soll nach den Berichten gleichzeitiger Geschichtschreiber dem verstorbenen Kaiser Friedrich II sowohl nach Gestalt und Gesichtsbildung, als selbst nach dem Gange und nach Gebärden bis zur höchsten Täuschung ähnlich gewesen sein. Sein eigentlicher Name war Thilo Kolup oder, nach anderen, Dieterich Holztisch. Da er mehrere Jahre am Hofe Kaiser Friedrichs II gedient und selbst die Person dieses Fürsten als Kämmerling bedient hatte, so hatte er sich eine sehr genaue Bekanntschaft mit der Lebensweise und den Gewohnheiten desselben sowie mit den Sitten am kaiserlichen Hofe angeeignet. Zu seinen Anhängern gehörten nicht allein die Bürger verschiedener Städte, besonders einiger Reichsstädte der Wetterau, sondern auch einige Reichsstände, mehrere Grafen und Fürsten des Reiches. Herzog Heinrich der Wunderliche von Braunschweig-Lüneburg, die Landgrafen von Thüringen, Friedrich mit der gebissenen Wange und Diezmann, und manche andere Reichsfürsten ließen es sich ansehnliche Summen kosten, um den „aus dem Kyffhäuser erstandenen Kaiser“ aufs neue zur Herrschaft zu bringen.

Mit einem zahlreichen Hofstaate siedelte der Pseudokaiser nach der Reichsstadt Wetzlar über, hielt hier ein glänzendes Hoflager und teilte großmütige Spenden aus, wodurch sein Anhang sich mehrte.

Als die Friesländer bei dem Pseudokaiser Friedrich eine Beschwerde gegen den Grafen Florenz V von Holland vorbrachten, ließ er diesen vor seinen kaiserlichen Richterstuhl laden. Der Graf aber war nicht willens, sich dem Schiedsspruche des Gauklers zu unterwerfen, sondern sandte ihm einen in lateinischer Sprache verfaßten Brief. Derselbe beginnt mit einem Gruße an das „unerwartete Gespenst, welches sich für den weiland Römischen Kaiser Friedrich II ausgiebt“. Darauf giebt der Graf seinem Verwundern über das erschollene Gerücht und das ruchlose Beginnen des Abenteurers und seinem Erstaunen über die Anmaßung desselben Ausdruck, „nämlich darüber, daß Du, da Du, dem ersten Ansehen nach ein Mensch, ja nur ein kleiner Mensch zu sein scheinst, Dich doch erkühnest, die Person und Würde eines verstorbenen Menschen zu mißbrauchen. Denn ein verstorbener Mensch ist aus natürlichen und philosophischen Gründen kein Mensch mehr, und auf einen Leichnam, aus dem die Seele geschieden ist, kann die Definition vom Menschen nicht mehr angewandt werden. Denn unwidersprechlich gewiß ist’s, daß Friedrich von Hohenstaufen, weiland Römischer Kaiser, von einer schweren Krankheit ergriffen, die Schuld der Natur bezahlt hat, noch vor seinem Ableben aber, der von ihm begangenen Bosheiten und scheußlichen Missethaten halber, welche den Artikeln der rechtgläubigen Lehre schnurgerade zuwider waren, vor den Richterstuhl der Römischen Kirche geladen, hier seiner Vergehungen überwiesen und auf einer allgemeinen Kirchenversammlung von der christlichen Kirche sowohl, als von Christo, ihrem Oberhaupte, wie ein verdorbenes Glied getrennt worden ist. Du also – um hier das Allerwidersprechendste, bei dem kein Mittelweg stattfindet, zu unterstellen – bist entweder dieser Friedrich oder Du bist er nicht. Bist Du dieser Friedrich nicht, so bist Du nichts als ein frevelhafter Lügner. Bist Du aber jener Friedrich, so bist Du schon erwähntermaßen abgelöset von der christlichen Kirche und bist des Reiches nach vorhergegangener reifer Beratung verlustig erklärt. Erwache also aus Deinem Taumel und bitte den Papst um ein gedeihliches Mittel zur Heilung Deines Wahnes! Vor allen Dingen wende Dich an die deutschen Fürsten, welchen die Kaiserwahl nach dem römischen Rechte zusteht, und berate Dich zuvörderst mit denen, die nach Friedrichs Entfernung drei Könige zu Häuptern des Reiches gesetzmäßig erkoren haben, welche auch vom Papste bestätigt worden sind! Jetzt ist sogar schon der vierte Nachfolger am Reiche, der König Rudolf, von eben diesen Fürsten einmütig erkoren und hat die päpstliche, durch seine Tugenden verdiente Bestätigung erhalten. Diesem unserem dermaligen Herrn haben wir uns mit Leib und Leben unterworfen und ihm unter den schuldigen und gewöhnlichen Feierlichkeiten gehuldigt. Deine Befehle sind uns daher nicht bloß gleichgültig, sondern wir verachten sie, und das ist unsere Pflicht“.

Man sieht, daß der Verfasser dieses Schreibens bei allem Bemühen nach einer logischen Widerlegung des Betrügers doch eine gewisse Vorsicht beobachtet, die aus der Befürchtung entspringt, daß der angebliche Kaiser Friedrich ein Gespenst sein könne, eine Befürchtung, die übrigens in den Anschauungen der Zeit wohlbegründet war. Bald aber kam einer, der mit dem Gespenste nicht verhandelte, sondern kräftig zugriff.

König Rudolf, der sich gerade im Lager vor Kolmar befand, als er die ersten Nachrichten von dem Auftreten des falschen Friedrich in Wetzlar erhielt, hatte anfangs darüber gelacht und das Ganze für einen Mummenschanz gehalten. Da empfing er ein Schreiben von jenem Manne, in welchem er ihm befahl, die Krone niederzulegen und ihm zu huldigen oder seine Ahndung zu befürchten. Diese Dreistigkeit reizte des Königs Unwillen. Er zog mit seinem Heer vor Wetzlar und forderte die Stadt auf, ihm die Thore zu öffnen und den Betrüger auszuliefern. Die Wetzlarer weigerten sich anfänglich, Folge zu leisten. Als aber König Rudolf Anstalten traf, die Thore stürmen zu lassen, hielten sie es doch für besser, nachzugeben, und lieferten den falschen Kaiser an den rechten aus. Auf der Folter bekannte der Betrüger nun seinen wahren Namen und daß er veranlaßt worden sei, die Rolle des Kaisers Friedrich zu spielen, weil er bei einem Besuche auf dem Schlosse Kyffhausen für denselben gehalten worden sei.

König Rudolf hielt strenges Gericht über den Betrüger und ließ ihn darauf mit zweien seiner getreuesten Anhänger nahe der Stadt in einem Thale, welches noch heutigen Tages der „Kaisersgrund“ genannt wird, auf dem Scheiterhaufen öffentlich verbrennen. Die Städte, welche sich für ihn erklärt hatten, wurden mit schweren Geldbußen bestraft. Die Stadt Wetzlar bat den König wegen ihrer Leichtgläubigkeit und ihres Verhaltens um Verzeihung, welche dieser ihr auch gnädig gewährte, indem er urkundlich versprach, daß er wegen der ihm widerfahrenen Beleidigung keinen alten Groll weiter gegen sie hegen wolle. –

Außer diesem Thilo Kolup traten mit der Zeit noch verschiedene andere falsche Friedriche auf. J. Chr. Olearius führt in seinen „Thüringischen Historien und Chroniken“ (Frankfurt und Leipzig 1704) außer den beiden bereits erwähnten noch drei andere Abenteurer auf. Der eine soll die Lübecker betrogen haben und „heimlich hinweg gekommen sein“. Der andere wurde im Jahre 1295 auf Kaiser Adolfs Befehl zu Eßlingen verbrannt. Weiteres wird von diesen beiden nicht berichtet, und auch ihre Namen werden von dem Chronisten nicht gemeldet.

Nur von dem letzten, welcher sich 1546 auf dem Kyffhäuser Berge in dem wüsten Schlosse sehen ließ, haben wir ausführlichere Nachrichten. Wir verweilen daher noch bei diesem insbesondere.

Es war in der durch die Reformationsbewegung, die Wiedertäufer und die Bauernunruhen tief aufgeregten Zeit, als sich im Thüringer Lande das Gerücht von dem Wiedererscheinen des 1250 verstorbenen Kaisers Friedrich II auf dem Kyffhäuser Berge verbreitete. Einige Hirten und Landleute aus der Goldenen Aue sahen eines Abends hinter den Tannen des Kyffhäuser Berges einen dichten Rauch aufsteigen. Da in der Gegend, woher der Rauch kam, kein bewohnter Ort lag, so wunderten sie sich darüber und meinten, das könne wohl nicht mit rechten Dingen zugehen, wie denn vom Kyffhäuser Berge manche wunderbaren und unglaublichen Dinge erzählt wurden, so die Sage von jenem Hirten, der einmal in das Innere des Berges gelockt worden, dort eingeschlafen war und beim Wiedererwachen die Welt um ein Jahrhundert gealtert fand. Die verwegensten von jenen Landleuten gingen nun doch auf die verdächtige Stelle, woher der Rauch kam, zu. Da sahen sie bei der Kapelle der alten Burg einen alten, phantastisch aussehenden Mann am Feuer sitzen, das einen flackernden Schein auf sein fahles Antlitz warf. Sein Haar war grau und weiß und hing in seltsamer Verwirrung über die Stirne herab. Der lange, rötlich weiße Bart reichte bis auf den Schoß herab. Bekleidet war er mit einem faltenreichen, weißen Mantel und mit ledernen Hosen. Neben ihm auf der Erde standen irdene Töpfe, in denen er einen Trank zu brauen schien.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0335.jpg&oldid=- (Version vom 1.5.2024)