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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

die Kranken in Verhältnisse bringt, unter denen die Heilung am leichtesten möglich ist.

In früheren Zeiten hat man gewöhnlich die Lungenschwindsucht für unheilbar gehalten; und es war dies annähernd richtig, wenn man unter Schwindsucht nur die sehr weit vorgeschrittenen Fälle verstand; die werden auch gegenwärtig nur selten geheilt. Anders aber ist es bei den Anfängen der Krankheit. Wir wissen jetzt ganz sicher, daß in unzähligen Fällen die Tuberkulose wirklich zur Heilung gelangt. Wir finden bei Menschen, die an ganz anderen Krankheiten oder die in hohem Alter gestorben sind, nicht selten die Narben oder andere Ueberbleibsel einer geheilten Tuberkulose der Lunge oder auch anderer Organe. Es ist wohl nicht zu weit gegangen, wenn man annimmt, daß eine Lungentuberkulose, wenn sie frühzeitig erkannt und sorgfältig behandelt wird, wenn ferner der Kranke in der Lage ist und sich auch dazu versteht, alles zu thun, was für die Heilung notwendig ist –, daß sie dann in der Mehrzahl der Fälle geheilt wird. Die Heilung erfolgt gewöhnlich in der Weise, daß in der Umgebung des Krankheitsherdes ein festes Narbengewebe sich bildet, durch das der Krankheitsherd ringsum abgekapselt und fest eingeschlossen wird, so daß die darin enthaltenen Bacillen auf den übrigen Körper nicht mehr einwirken können, sondern unschädlich werden oder auch allmählich zu Grunde gehen.

Die wirksame Behandlung der Tuberkulose wendet sich in der Regel nicht direkt gegen die Tuberkelbacillen, sie ist vielmehr eine indirekte, man könnte sie auch eine diätetische nennen oder ein Naturheilverfahren.

Dabei ist die Aufgabe des Arztes eine außerordentlich wichtige, aber auch eine schwierige; um sie erfüllen zu können, ist außer den allgemeinen Kenntnissen von dem Wesen der Krankheit und den natürlichen Heilungsvorgängen von der größten Bedeutung ein möglichst frühzeitiges Erkennen der ersten oft unscheinbaren Anfänge der Krankheit, eine genaue Feststellung ihres Sitzes und ihrer Ausdehnung, außerdem aber auch in jedem Falle eine sorgfältige Berücksichtigung der eigentümlichen Konstitution und der besonderen Körperbeschaffenheit des einzelnen Kranken und eine richtige Beurteilung der natürlichen Hilfsmittel, über die seine Lunge und sein ganzer Organismus noch verfügt.

Unter den Maßregeln, die gegen die schon bestehende Krankheit anzuwenden sind, kommen in erster Reihe wieder diejenigen in Betracht, welche die Widerstandsfähigkeit des Kranken erhöhen. Ein Kranker, der zu schwach ist, um den Kampf mit dem Feinde zu bestehen, kann oft noch zum Siege geführt werden, wenn es uns gelingt, ihn ausreichend zu kräftigen. Ueber die Art, wie dies auszuführen sei, möge eine Andeutung genügen. Bekanntlich besteht eine der auffallendsten Folgen der Lungenschwindsucht in der stetig fortschreitenden Abmagerung, und diese Abmagerung leistet wiederum dem Fortschreiten der Tuberkulose Vorschub; je schlechter die Gewebe des Körpers ernährt sind, desto weniger werden sie den zerstörenden Wirkungen der Bacillen widerstehen können. Wenn es uns dagegen gelingt, die Ernährung zu verbessern und den ganzen Körper zu kräftigen, so ist zu erwarten, daß alle seine Teile eher imstande sein werden, gegen die zerstörende Wirkung der Krankheitserreger sich zu behaupten und endlich sogar sie zu überwinden. Und in der That ist ja, wie allgemein bekannt, bei einem Menschen mit beginnender Lungenschwindsucht ein Zunehmen des Körpergewichts und eine allgemeine Zunahme der Körperkräfte ein Zeichen, das zu erfreulichen Hoffnungen berechtigt.

Wie eine solche allgemeine Kräftigung zu erreichen sei, darauf will ich hier zunächst nicht näher eingehen; es kommt dabei vorzugsweise an auf eine zweckmäßige Anordnung der ganzen Lebensweise und auf eine dem Zustande des Kranken vorsichtig angepaßte Ernährung. In letzterer Beziehung sei daran erinnert, daß eine Bevorzugung der eiweißreichen Nahrungsmittel, wie Fleisch und Eier, nicht die Wirkung hat, einen mageren Menschen fett zu machen, sondern daß dabei eher, wie die bekannten Erfahrungen mit der Bantingkur zeigen, die entgegengesetzte Wirkung eintritt.

Außer der Erhöhung der Widerstandsfähigkeit besteht eine zweite und ebenso wichtige Aufgabe darin, den Kranken und insbesondere seine Lungen vor anderweitigen Schädlichkeiten zu schützen. Es giebt viele Fälle von beginnender Lungenschwindsucht, bei denen nicht die Tuberkelbacillen das schlimmste sind. Der Bacillen würde sich der Kranke vielleicht noch erwehren; sie könnten durch Naturheilung abgekapselt und unschädlich gemacht werden, wenn nicht anhaltend noch andere Schädlichkeiten auf die Lunge einwirken würden, die teils die weitere Ausbreitung der Bacillen in der Lunge befördern, teils an ihrer zerstörenden Wirkung sich beteiligen. Von solchen Schädlichkeiten führe ich an Erkältungen, durch welche Katarrhe und kleine Lungenentzündungen entstehen, in deren Gebiet die Weiterverbreitung der Bacillen erleichtert ist, dann aber ferner auch die Einatmungen von Staub, die in ähnlicher Weise wirken. Mit dem Staub werden zugleich noch mancherlei kleine mikroskopische Lebewesen oder deren Keime eingeatmet, verschiedenartige Bakterien und Kokken, und die schon kranke Lunge kann sie nicht mehr hinausbefördern. Viele von diesen Mikrobien sind freilich unschädlich, aber es sind darunter auch solche, deren Ansiedelung in der Lunge höchst nachteilig wirkt, indem sie die weitere Ausbreitung der Tuberkelbacillen erleichtern und vorbereiten, oder indem sie selbst zur Zerstörung der Lunge beitragen. Die schlimmsten Fälle von Lungenschwindsucht sind die, bei denen es sich um eine Mischinfektion handelt, bei denen außer den Tuberkelbacillen auch noch verschiedenartige andere Krankheitserreger in der Lunge ihre verderbliche Wirkung ausüben.

Wie wollen wir den Kranken vor solchen Schädlichkeiten schützen und besonders vor den schlimmen Mischinfektionen? Wie wollen wir es einrichten, daß er eine möglichst staubfreie und bakterienfreie Luft einatmet, ohne dabei sich der Gefahr einer Erkältung auszusetzen?

Die Luft im Zimmer enthält immer Staub; wir sehen ihn deutlich, wenn ein einzelner Sonnenstrahl eindringt. Also muß der Kranke sich möglichst viel im Freien aufhalten. Aber die staubige Stadt- oder Landstraße ist noch gefährlicher. Einigermaßen staubfrei ist nur die Luft auf der See, im Walde und auf ausgedehnten Wiesenflächen. Außerdem ist in unserem Klima während des größten Teils des Jahres die Witterung nicht so, daß der Kranke viel im Freien sein könnte. Der Winter ist schon schlimm; aber wenn Schnee liegt, ist wenigstens die Luft rein, und die Kälte an sich ist für den Kranken nicht schädlich, wenn er ausreichend bekleidet ist. Herbst und Frühling sind meist noch gefährlicher als der Winter.

Darum soll der Kranke, der während des Sommers in der Heimat oder in der Nähe an einem staubfreien Ort, etwa im Walde oder in mäßiger Höhe im Gebirge, sich aufhalten kann, für den Herbst, den Winter und den Frühling, wenn es möglich ist, ein günstigeres Klima zum Aufenthalt wählen. Das Fortgehen vom Hause, die sogenannte Luftveränderung, hat ja auch noch so viele andere günstige Wirkungen: der Kranke ist damit aus seinen Geschäften entfernt, er ist allen den mannigfachen geselligen Verpflichtungen enthoben, er hat wirklich Muße und kann ganz seiner Gesundheit leben.

Den klimatischen Kurorten hat man von je her bei der Behandlung der Lungenschwindsucht eine große Bedeutung beigelegt. Schon im Altertum wurden die Schwindsüchtigen von Rom nach Aegypten geschickt; dabei war die damals noch lange dauernde Seereise eher von günstiger Wirkung. Und noch heutigestags bewährt sich die Wirkung des Aufenthalts im Süden bei zahlreichen Kranken. Wenn sie auch an den oberitalienischen Seen, an der Riviera oder in Sicilien nicht, wie mancher vielleicht erwartet hatte, den ewig heiteren Himmel finden, so können sie doch viel mehr, als es zu Hause möglich wäre, sich der freien Luft erfreuen. Besonders ein dauernder Aufenthalt im Süden ist für den vom Norden kommenden Schwindsüchtigen günstig. Ich kenne Aerzte, Apotheker, Kaufleute, die mit schon vorgeschrittener Lungenschwindsucht nach Sicilien, Tunis, Aegypten, Palästina ausgewandert sind, sich dort einen Wirkungskreis gegründet haben und sich seit Jahrzehnten dort einer guten Gesundheit erfreuen.

Auch der Aufenthalt an der See und besonders längere Seereisen sind von günstiger Wirkung. Außer der Reinheit der Luft kommt dabei vielleicht auch noch ihr Salzgehalt in Betracht, wie er sich bei unruhiger See z. B. bei dem, der eine Brille trägt, durch den Beschlag derselben mit kleinen Salzkrystallen deutlich macht. Freilich ist eine Reise mit unseren Schnelldampfern gewöhnlich so bald zu Ende, daß der Kranke kaum über die Unannehmlichkeiten der Seekrankheit hinauskommt und keinen großen Nutzen davon hat. Mehr zu empfehlen würde es sein, wie es

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 379. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0379.jpg&oldid=- (Version vom 6.5.2021)