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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

übrigen Wohlfahrtseinrichtungen. Wir können daraus nur die in eigenen Pavillons untergebrachten Ausstellungen der Wiener freiwilligen Rettungsgesellschaft, der Kinderbrutanstalt, des Leichenverbrennungsvereins „Die Flamme“ und, was für jedermann von besonderem Interesse ist, die überaus gelungene Ausstellung der k. k. Pölizeidirektion hervorheben. Der Präsident und Organisator der Wohlfahrtsausstellung, dieses imposantesten Werkes der ganzen Ausstellung, ist der Sanatoriumsdirektor Dr. Anton Löw.

Von prunkvoller, überladener Architektur, aber von großer, dekorativer Wirkung ist der Pavillon der Stadt Wien, ein preisgekröntes Werk der Architekten Brüder Drechsler. Hier findet der alte Wiener tausend Anregungen für einen stillen, melancholischen Rückblick. Im Saale von Alt-Wien kann er stundenlang bei den zahlreichen Aquarellen mit Motiven aus vormärzlicher Zeit verweilen und mit heimlicher Rührung all die trauten Plätzchen aufsuchen, die einst den Schauplatz leuchtender Jugendträume bildeten. Die Basteien und Glacis, der Stadtgraben mit seinen Pappeln, das Wasserglacis mit seinem heiteren Kindertreiben und das „Paradeisgartl“! Da stehen sie vor ihm, die Männer mit der Nankinweste, den Stulpenstiefeln und dem Kastorhut und die Frauen mit dem „Wal“ und „Retikul“ und dem großdachigen Strohhut. Sie reden von „Backhändeln“ und süßem Wein und von der letzten Beleuchtung, und in ihren Beinen zappelt ein unerlöster Walzer von Strauß oder Lanner.

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Gebäude des Uraniatheaters.

Rechts vom Huldigungsfestsaal, der mit einer Kaiserstatue von der Meisterhand Rudolf Weyrs geschmückt ist, sieht man Neu-Wien mit bildlichen Darstellungen des jetzigen und des zukünftigen Wien, der Boulevards und der Stadtbahn. Auch das Bürgermeisterzimmer mit den Porträts der einstigen und der gegenwärtigen Stadtoberhäupter ist viel besucht. Die Gesamtthätigkeit der städtischen Verwaltung ist durch eine große Zahl sehr instruktiver Modelle, Pläne und Ansichten dargestellt. Nicht minder reichhaltig ist die benachbarte Ausstellung des Stadterweiterungsfonds, der Donau-Regulierungskommission und der Kommission für Verkehrsanlagen.

Die sehr ausgedehnten Bauten, welche die Bezeichnungen „Jugendhalle“ und „Bildung“ führen, dienen beide dem Zwecke, die Entwicklung und die Fortschritte aufzuweisen, welche das Erziehungswesen und die der allgemeinen Bildung dienenden Künste und Industrien während der Regierungszeit des Kaisers gemacht haben. Die Jugendhalle enthält auch einen Vortragssaal, in welchem populäre Vorlesungen und Skioptikon-Vorstellungen stattfinden.

In erhöhtem Maße noch trägt die „Urania“ dem Bildungsbedürfnisse Rechnung. Auf einer Bodenfläche von 13 000 Quadratmetern ist hier eine Anzahl von Gebäuden vereinigt, die verschiedenen wissenschaftlichen Zwecken dienen. Die Mitte nimmt das wissenschaftliche Theater ein; an dieses schließen sich im doppelten Halbkreis die Ausstellungssäle, die Sternwarte, der Projektionssaal und der Botanische Garten an. Das imposante Gebäude ist von dem Architekten Ludw. Baumann entworfen und mit modernsten Motiven ausgestattet. Dr. Aristides Brezina ist der Leiter des Unternehmens, das dem mustergültigen Vorbild der Berliner „Urania“ nachgebildet wurde. Im Theater werden im Laufe der Saison vier Stücke aufgeführt werden: „Das Eisen“, „Quer durch Oesterreich“, „Der Kampf mit dem Nordpol“ und „Fahrt durch den Gotthard“. Außerdem phonographische und kinematographische Produktionen und anderes mehr, so daß die Besucher den ganzen Tag in Atem gehalten werden. Die Aufzählung all der vielfachen Anschauungsmittel zur Erweiterung des Wissens auf allen Gebieten würde ermüden.

Aber auch der eifrigste Besucher wird früher noch als der bekanntlich stets „geneigte“ Leser des „trockenen Tones“ satt, und er sehnt sich hinaus „aus der Straßen quetschender Enge“, um sich im Freien zu ergehen und sich mit Tausenden von Gesinnungsgenossen des herrlichen Licht- und Farbenbildes zu erfreuen, das der Ausstellungspark und das fröhlich auf und ab flutende Publikum bieten. Und diese gegenseitige Selbstausstellung ist ein wichtiger Teil jeder Ausstellung.

Die ungemein große Zahl derer, welche die Ausstellung erst nach des Tages Last und Mühen besuchen können, macht keine langen Umwege, sondern sucht auf dem nächsten Weg die „Avenue der Ernährung“ auf, wo es Atzung in tausend lockenden Gestalten giebt. Während sich die Südavenue, die Avenue der Belehrung, zu einem eleganten Korso gestaltet, hat die „Avenue der Ernährung“ ein sehr wißbegieriges Publikum, das den einzelnen Objekten, wie „Wiener Brauherrenverein“, „Pilsner Brauerei“ und „Weißhappel“, Weinkosthalle und Kleinoscheggs Champagnerpavillon, dem Riesenfaß und wie die freundlichen Oasen alle heißen mögen, die gründlichste Beachtung schenkt. Ja, es giebt gewissenhafte Besucher, welche von einem Pavillon zum andern pilgern, um zu kosten und Vergleiche zwischen den einzelnen Bieren anzustellen. Das Hauptrestaurant und das Hauptcafé, welche die Mitte der Ausstellung einnehmen, bieten Tausenden Unterkunft. Hier spielt Musik, hier verkehrt das Publikum zwischen der Nord- und Südavenue. Wie mächtig und prächtig hebt sich von hier aus der Rotundenbau vom Firmament ab! Und wenn man Geduld hat, braucht man nicht einmal aufzustehen, um etwas zu sehen; denn die Ausstellungsobjekte fliegen auch in der Luft herum. Alle zehn Minuten steigt der Fesselballon, ein scheußliches Ungeheuer, „halb Molch, halb Drache“, etwa dreihundert Mieter in die Luft. Man kann dann manchmal eine todesmutige Luftseglerin im Korbe beobachten, welche für 10 Kronen das Gruseln lernt und mit ihrem Sacktuch eifrig von der Menschheit Abschied nimmt.

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Gebäude der Bäckereigenossenschaft.
Pavillon des Brauherrenvereins.

Von den hervorragendsten Objekten der Ernährungsausstellung seien hier der Wiener Brauherrenpavillon und der Pavillon für Bäckereiausstellung erwähnt. Im Pavillon des Brauherrenvereins, einem ausgedehnten Bau mit lustigen Lauben, bringen 16 Brauereien von Niederösterreich ihre Biere zum Ausschank. Die Wände der offenen Hallen sind mit Fresken geschmückt, welche Scenen aus dem Hopfenbau und der Bierbereitung darstellen.

Die Wiener Bäckereigenossenschaft hat sich von den weitbekannten Theaterarchitekten Fellner und Helmer einen Palast im Renaissancestil erbauen lassen, der aus zwei mit Arkaden verbundenen Flügeln besteht. Ueber den Arkaden läuft eine Galerie, die in eine prächtige Terrasse übergeht, auf der abends ein kühles und angenehmes Verweilen ist. Unter den Arkaden sieht man die feineren Erzeugnisse der Bäckerei sowie die der verwandten Gewerbe. Hier kann man die Erzeugung des Wiener Gebäcks, welches einen Weltruf genießt, in der nächsten Nähe beobachten.

Es gäbe noch unzählige Gegenstände, die eine eingehende Würdigung verdienten, so die Ausstellung landwirtschaftlicher Produkte, die Gartenbauausstellung, die Spezialausstellung der Bukowina; doch das würde den Umfang eines orientierenden Artikels weit überschreiten. Soviel kann heute schon gesagt werden, daß die Ausstellung den Wienern und sichtlich auch den Fremden gefällt. Die schönen Tage Mitte Mai wiesen eine Besuchsziffer von 30000 bis 50000 Personen auf. Wien, die immer jünger und schöner werdende Kaiserstadt, schmückt sich gar prächtig zum goldenen Hochzeitsfeste mit ihrem Herrn, und eine Reihe glänzender Feste, wie das fünfte österreichische Bundesschießen, der Huldigungsfestzug der Kinder und andere Jubelakte, wird den Ruf des alten fröhlichen Wien aufs neue befestigen.




Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0398.jpg&oldid=- (Version vom 22.3.2024)