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Kinderstube und näht. Eine ganze kleine Aussteuer hat sie für die Würmchen schon fertig; es wird ja bald Frühling und die kleine Frau Heine wird während ihrer Krankheit kaum imstande gewesen sein, für Söckchen und Röckchen, Leibchen und Hemdchen zu sorgen.

Frau Wendlandt hat sich in die Nähe des Ofens gesetzt, ohne abzulegen, und betrachtet die drei Kinder. Der Junge baut auf der Diele ein Haus aus den roten und weißen Sandsteinen seines Baukastens, und die kleinen Mädchen spielen mit hölzernen Tierchen auf dem alten Teppich. Marie bringt einen Brief und fragt, ob der Postbote eine Tasse heißen Kaffee haben solle, es sei ein gar scharfer Märzenwind draußen.

Christel nickt. Sie wendet das Schreiben hin und her und fürchtet sich, es zu öffnen, es steht ja doch nichts weiter darin, als die Meldung von Heines Kommen, der die Kinder holen will. Endlich, immer unter der Schwester beobachtenden Augen, erbricht sie das Couvert, und ein paar Sekunden später sitzt sie auf dem Teppich neben den kleinen Mädchen und küßt sie unter Lachen und Weinen. So außer sich vor Freude ist diese große Frau, daß die Schwester ein halblautes: „Sie ist verrückt!“ murmelt und sich erhebt.

„Lothar!“ ruft Christel, „du bleibst bei mir, noch lange, lange!“

„Na, drum auch!“ murmelt Frau Louischen, „da gratuliere ich herzlich; hab’s ja gestern abend noch gesagt zu meinem Mann, die Heines wären blau, wenn sie die Last wieder nähmen. – Und wann kommt denn der Vater dazu?“

Was schert Christel das Gerede! Vorläufig bleiben ihr die Kinder, das überwiegt auch das Widerwärtigste; sie ist in ihrem Glücksrausch nicht fähig, sich zu ärgern. Sie nimmt eine Mark aus dem Geldbeutel. „Da, Lothar, trag’s dem Mann hinunter, der den schönen Brief gebracht hat.“

Der Kleine zieht ab mit seinem Geldstück in der Faust, ganz wichtig und glücklich.

„Na, dann will ich nur gehen,“ erklärt Louischen, „du hast ja doch wohl keine Zeit jetzt für mich?“ Auf der Treppe begegnet sie dem zurückkehrenden Jungen.

„Tante Ise böse ist?“ fragt er, als die Frau ihn ärgerlich ansieht. Aber er bekommt keine Antwort und trippelt ganz empört darüber wieder nach der Kinderstube, wo Christel,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 401. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0401.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2022)