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Ein Schwerenöter.
Nach dem Gemälde von E. Louyot.


„Nich weinen, Tata!“ ruft die kleine Josepha.

Und in diesem Augenblick fällt draußen der Metallklopfer auf die Platte, ungestüm heftig, dreimal hintereinander.

Christel wundert sich – sollte Louischen? Aber das ist ihre Art nicht, zu klopfen. Wer nur sonst? Und plötzlich überkommt sie ein starkes Herzklopfen, so, daß sie nicht fähig ist, aufzustehen, und nur hinüber horcht nach dem Flur, von wo die eiligen Tritte Mariens erschallen, die zu öffnen geht. Wenn’s Heine wäre, der um die Kinder – – – ? Sie hat die Nacht vorher so schwer geträumt; sie suchte die Kinder und fand sie nicht, nur Oede und Stille ringsum – es war so schrecklich gewesen!

Die Thüre öffnet sich und Marie kommt herein. „Frau, da ist jemand, der Sie sprechen will, ein Herr; ich glaube, ’s wird wegen der Inspektorstelle sein. Ich hab’ ihm gesagt, wir hätten schon einen, aber er besteht darauf, er will die Frau sprechen.“

In Christels Herzen steht plötzlich die Gewißheit: Heine ist’s, der die Kinder holt. Sie richtet sich langsam auf, alles Blut ist ihr aus dem Antlitz gewichen. „Nimm sie mit hinaus, Marie, bringe sie nach oben,“ sagt sie tonlos, „und führe den Herrn hier herein. Er soll einen Augenblick entschuldigen, ich komme gleich. Folgt der Marie, Kinder, spielt hübsch oben; Lothar, sei nicht so wild – ich rufe euch bald.“

Sie geht in das Schlafzimmer, weil sie fühlt: sie muß sich erst sammeln, muß Kraft finden für das Unabänderliche. Es ist dunkel hier und kalt, hinter den Läden sind die Fenster noch offen. Sie sinkt auf einen Stuhl und holt tief und schwer Atem. Nun ist’s doch so weit, nun kehrt sie zurück in die alte trostlose Einsamkeit, in die Arbeit, die nur den Zweck hat, das Leben ihr erträglich zu machen, keinem andern etwas nützend. Sie wird nicht mehr die roten Lippen der kleinen Mädchen auf den ihren fühlen, die schon so etwas zärtlich Weibliches in ihren Liebkosungen haben, sie wird nicht mehr die stürmischen Umarmungen des Jungen abzuwehren brauchen, der so eifersüchtig ist auf die Schwesterchen – allein wird sie bleiben, allein alt werden, alt und müde, müder noch als sie sich augenblicklich fühlt.

Nebenan geht ein Männerschritt hin und wider. Sie muß hinaus zu dem, der ihrer wartet. „Mut!“ spricht sie sich selber zu, „es ist vielleicht doch eine ganz andere Angelegenheit!“ Aber nach diesem Sturm, der eben in ihr getobt hat, da sagt sie sich auch, daß sie es nicht lange mehr aushalten wird so – daß ihre Nerven, ihr Herz nach Gewißheit schreien, daß ein Ende mit Schrecken besser ist als ein Schrecken ohne Ende, als dieses Zweifeln, Bangen und Fürchten.

Sie tappt sich hinüber nach der Thür und öffnet. Das Licht der Lampe blendet ihre Augen; sie erkennt im ersten Augenblick nur eine große, etwas gebeugte Männergestalt, die unweit von ihr stehend sich auf den Tisch stützt. Dann faßt auch sie, wie Hilfe suchend, nach einem Halt und starrt ihn an mit großen erschreckten Augen. Keines spricht ein Wort. Sie sehen nur staunend gegenseitig in ihre Züge, da hinein Sorge und Gram, die Sehnsucht nach dem verlornen Glück Runen gegraben haben während der Jahre ihrer Trennung, der sieben Jahre, die wie ein Strom zwischen ihnen dahinrauschten, über den keine Brücke führt.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0441.jpg&oldid=- (Version vom 3.8.2022)