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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

des 14. Jahrhunderts und als hochinteressante Figur ein Gigerl der damaligen Zeit mit Gugel und Schecke. Als ein weibliches Gigerl darf die Dame in Schellentracht gelten; auch das beliebte rote Zaddelkostüm war ein Auswuchs der Mode. Diese Trachten sind auf unsrer nebenstehenden Abbildung wiedergegeben. Alle Hof- und Bürgertrachten aus dem 15. Jahrhundert waren zu sehen; das 16. Jahrhundert war gekennzeichnet durch deutsche Patrizier und Landsknechte in Pluderhosen sowie durch französische Hoftrachten. Das 17. Jahrhundert vereinigte niederländische und spanische Hoftracht, Edelfrau und Magd zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges und die Hoftracht der Königin Elisabeth von England.

Deutsche Trachten.
Mann mit Gugel und Schecke.     Schellentracht.   Zaddeltracht. 

Ferner waren vorhanden Johann v. Werth, ungarische Magnaten aus der Mitte und Herrenkostüme vom Ende des Jahrhunderts, Herr und Dame aus den Zeiten Ludwigs XIV und Gustav Adolf von Schweden. Aus dem 18. Jahrhundert traten uns schwedische Offiziere König Karls XII in russischer Bojarentracht entgegen, französische Hofherren standen in steifer Grandezza neben Grenadieren Friedrichs des Großen; Seydlitz-Dragoner hielten Wache zur Seite Charlotte Cordays, und wir sahen die reizende Gruppe, welche eine französische Hochzeit unter dem „Direktorium“ darstellt und die wir gleichfalls im Bild (S. 461) wiedergeben. Ganz hervorragend sind die Figuren, welche die Auswüchse der Mode im Seinebabel vor hundert Jahren illustrieren. Die Kostüme Incroyable und Merveilleuse dürften an Extravaganz wohl unerreicht dastehen. Marie Antoinette und Ludwig XVI waren in Trianontracht dargestellt. Aus dem 19. Jahrhundert interessierten besonders die Trachten von 1830, darunter der „Mann aus dem Konsulat“ sowie die hervorragend schön zur Geltung gebrachte Dame von 1860. Eine Radfahrerin von 1898 beschloß die Abteilung der historischen Trachten. – Die Abteilung der Volkstrachten, deren rumänische Gruppen wir oben geschildert haben, war auch im übrigen äußerst anziehend und lehrreich. Aus nah und fern hatte man sie beschickt; ja es kamen aus Nicaragua und Surinam, aus Siam und Marokko, aus Japan und China Puppen, welche die dortigen Landestrachten treu veranschaulichten und von Eingebornen angefertigt waren.




Der Kampf gegen den „Schwammspinner“ in Massachusetts.

Von Professor Dr. Pabst.

Der sogenannte Schwammspinner oder Großkopf, Ocneria dispar L., dessen Raupe, ähnlich der von Liparis monacha L. (Nonne), in fast allen Teilen Europas zuweilen als Waldverderber und Feind der Obstkulturen auftritt, war bis zum Jahre 1869 in der Fauna der Vereinigten Staaten Nordamerikas nicht vertreten. Im Jahre 1870 aber berichtete Professor Riley, damals Staats-Entomolog von Missouri, daß im Sommer 1869 die Raupen dieses Falters von einem Entomologen in Massachusetts aus europäischen Eiern gezogen worden seien, und daß dieser dadurch unabsichtlich die Verbreitung des schädlichen Tieres in der Umgebung seines ländlichen Wohnsitzes, bei Medford, in der Nähe von Boston, veranlaßt habe. Bei der Zucht dieser ausländischen Raupen waren nämlich mehrere derselben aus dem mangelhaft verschlossenen Kasten, der am offenen Fenster stand, entwichen und hatten im Freien, außerhalb des Hauses, sehr schnell ihnen zusagende Nahrung gefunden. Obschon Riley den Namen jenes Züchters damals noch nicht erwähnte, war er ihm doch sicher bekannt; erst 20 Jahre später bezeichnete er einen Herrn Trouvelot als den unglücklichen Urheber der großen Kalamität.

Im Laufe der ersten zehn Jahre nach dem Entweichen der Raupen Trouvelots war der Schwammspinner nur vereinzelt in der Umgebung von Medsord und Malden bemerkt worden, und niemand außer Trouvelot hatte darauf geachtet; erst im Jahre 1880 machten sich die Großkopsraupen unangenehm bemerkbar durch den Schaden, welchen sie in Gärten und Baumpflanzungen anrichteten.

Der amerikanische Volksmund bezeichnete den Fremdling mit dem Namen „gypsy moth“, d. h. Zigeunermotte. Bestimmend für diese Benennung mag wohl das unstete nächtliche Herumflattern des Männchens gewesen sein, das braun von Farbe und kleiner als das weißlich gefärbte Weibchen ist. Unsere Bezeichnung Schwammspinner ist dagegen auf die Eihaufen des Weibchens zurückzuführen; denn diese sind mit einem vom mütterlichen Körper herrührenden wolligen Ueberzuge versehen und auf den ersten Blick dem Feuerschwamm ähnlich. Man konnte sich in Medford das plötzlich so massenhafte Auftreten des vorher fast unbekannten Schädlings nicht erklären; doch wenn man die Verhältnisse näher ins Auge faßt, so begreift man leicht, weshalb erst eine Reihe von Jahren verstreichen mußte, bis der Eindringling in der neuen Heimat festen Fuß fassen und sein ihm angeborenes, überraschend starkes Vermehrungsvermögen zur Geltung bringen konnte. Die Eier, aus welchen Trouvelot die Raupen des Großkopfes gezogen hatte, stammten nämlich aus dem südlichen Frankreich, und deshalb mußten die aus vererbter Neigung sehr frühzeitig ausschlüpfenden Räupchen im Freien in der Mehrzahl zu Grunde gehen, da in Nordamerika, ähnlich wie in Norddeutschland, auf eine sehr warme Frühlingsperiode nicht selten kaltes, stürmisches Wetter folgt. Erst allmählich paßten sich die wenigen überlebenden, mehr und mehr abgehärteten Individuen dem rauheren Klima an, bis von den weiter folgenden Generationen eine vollständige Acclimatisation erreicht war.

Im Jahre 1880 traten die Raupen zum erstenmal massenhaft auf; sie entlaubten die Bäume der Myrtle Street in Medford sowie die südlich von Medford der Eisenbahn entlang sich hinziehende Waldung, und schon im nächsten Jahre hatte der Schädling auch die nördliche Seite vollkommen in Beschlag genommen. In Medford selbst suchte man zunächst durch einen erbitterten Vertilgungskampf den Feind auf kleine Gebiete zu beschränken, aber da in den benachbarten Wäldern hierfür nichts geschah, wuchs die Raupenplage in der ganzen Umgegend von Jahr zu Jahr. Im Sommer 1889 standen sämtliche Bäume in Medford kahl, und da es den Raupen schließlich an Futter gebrach, wanderten sie in langen, breiten Zügen durch die Straßen, fraßen jedes grüne Blatt auf ihrem Wege und drangen sogar massenhaft in die menschlichen Wohnungen, Stuben, Keller, Bodenräume ein, um Nahrung zu suchen. Man stand ihnen machtlos gegenüber. Je mehr man vertilgte,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 462. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0462.jpg&oldid=- (Version vom 29.6.2022)