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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

geschrieben und ihm Valahora zum Kauf angetragen hatte: „Den Preis soll der Papa durch seine Beamten bestimmen lassen. Die müssen wissen, wieviel es ihm wert ist; Herrn Bornholm ist es wenig wert. Er stellt nur zwei Bedingungen. Das Zimmer, in dem seine Mutter gestorben ist, soll gleich vermauert werden, und Bartolomäus soll, so lange er noch lebt, Kastellan von Valahora bleiben, man soll das alte Raubnest nicht früher zerstören.“

„Man soll’s gar nicht zerstören, man soll’s erhalten!“ rief Charlotte dazwischen.

„Es ist einmal die Heimat, die Welt des Alten; er wüßte nicht wohin mit sich, wenn er sie nicht hätte, schreibt Herr Bornholm.“

„Sehr schön, ja man dürfte es sogar edel nennen,“ bemerkte Heideschmied, „daß er dem Bartolomäus, der dazu beigetragen hat, ihm sein Haus zu verleiden, ein Zuhause sichert.“

Elika nickte ihrem Lehrer freundlich zu: „Dann kommen noch einige geschäftliche Angelegenheiten. Schwierigkeiten werden sich kaum erheben. Herr Bornholm verläßt sich ganz auf Papa und auf Joseph, dem er alle möglichen Generalvollmachten mitgeben wird.“

„Eine genügt,“ versetzte Heideschmied in rücksichtsvoll unterweisendem Tone.

„Also bald Herr von Valahora,“ sagte Renate. „Ich gratuliere.“

„Wir gratulieren alle,“ setzte Elika hinzu. Wie sie sich Gewalt anthun mußte, um heiter und unbefangen zu scheinen, sah Luise allein.

Dem Kinde war es ja klar, so gut wie ihr, was der Verkauf Valahoras für Bornholm zu bedeuten hatte. Ein Abbrechen seines Zeltes, ein Scheiden für immer.

„Weißt du noch, Tante Renate,“ fragte Kosel, „was Emilie immer gesagt hat? … Valahora gehört zu Velice wie … nun weißt du noch, was sie immer gesagt hat?“

„Wie die Poesie ins Leben.“

„Ja – wie die Poesie ins Leben! … Und sie würde sich freuen …“ Er hielt inne. Ja – jetzt war es wieder nicht gut, daß sie nicht da war.

Der Frühlingsnachmittag war sonnig und warm, man ließ den Kaffee im Garten im offenen Pavillon unter den großen Nußbäumen servieren. Elika nahm den Arm Luisens; sie ließen die andern vorangehen und folgten ihnen langsam.

„Es ist noch etwas in dem Briefe Bornholms, das wir dir bei Tische nicht sagen konnten, Papa und ich, weil es niemand angeht als dich,“ sprach Elika. „Er möchte die Antwort auf seinen Vorschlag telegraphisch erhalten, innerhalb der nächsten Woche. In Sidney wartet er darauf und schickt die Adresse, an die das Telegramm zu richten ist. Dieses Telegramm soll aber, weißt du, Liebste, nicht nur die eine Antwort enthalten, nicht nur die auf seinen Brief an Papa, sondern auch auf den da.“ Sie tippte mit dem Zeigefinger auf das Couvert, das Luise noch immer nicht eröffnet hatte, das sie vor sich hinhielt und sinnend betrachtete.

„Die Schrift, nicht wahr, Luise? Hast du schon eine so ungleiche gesehn? und eine so unbeholfene … einmal laufen die Buchstaben einer vor dem andern davon, dann treten sie einander auf die Fersen … einige sind steif wie Holz, andere ordentlich schwungvoll … Im Brief sieht man das alles noch viel besser als auf der Adresse. Lächerliche Schrift – der ganze Bornholm … aber lies doch, lies! du brennst ja drauf!“ rief sie mit plötzlichem Ungestüm.

„Sieh, wie ich brenne,“ erwiderte Luise und steckte den Brief in ihre Tasche.

Kosel hatte den Direktor kommen lassen, der ihn versicherte, daß es nichts Ueberflüssigeres gebe als das Einberufen einer Kommission zur Schätzung Valahoras. Er kannte jeden Baum, jedes Feld, jede Wiese des benachbarten Gutes genau und getraute sich, seinen Wert an und für sich auf Heller und Pfennig, „auf die Prise Tabak“ zu bestimmen. Der Wert, den es als Arrondierung Velices hatte, war natürlich, gering gerechnet, der doppelte.

Das war also eine ausgemachte Sache, alles, was der Direktor da gesprochen, hatte er Bornholm schriftlich mitzuteilen; Wie leicht ein Geschäft mit ihm sich abschließen ließ, hatte man beim Verkaufe Hansls erfahren.

„Und – ja – was die telegraphische Antwort betrifft,“ sagte Kosel und richtete einen Verständnis suchenden Blick auf seine Tochter.

„Die hat Zeit, Papa. Fast acht Tage Zeit. Vielleicht ist Herr Bornholm noch gar nicht in Sidney.“

Luise wechselte die Farbe, lehnte sich in ihren Sessel zurück und griff mit einer unwillkürlichen Bewegung nach dem Brief in ihrer Tasche. Er war den alten Tanten aufgefallen mit seinen überseeischen Stempeln; das Schweigen Luisens beunruhigte sie und sie vermißten schwer die erquickende Heiterkeit ihrer „Trostspenderin“, ihrer „Lichtbringerin“.

Beim Abschied zog Renate ihre Nichte an sich und fragte leise und kummervoll: „Was will er noch von dir, der unselige Mensch?“

Zu Hause angelangt, hatte Luise sich an den Tisch gesetzt, an dem Bornholm so oft ihr gegenüber gesessen, und seinen Brief entfaltet. Der flackernde Schein der Kerze fiel auf das mit großen Lettern eng und dicht beschriebene Blatt. Wenn sie emporsah, glaubte sie Levin vor sich zu sehen, wenn sie las, glaubte sie ihn sprechen zu hören. Jeder Satz redete zu ihr mit dem Klang seiner Stimme: „Vor einem Jahre habe ich Ihnen gesagt, daß ich nicht weiß, was liebhaben heißt, und vielleicht haben sich diese Worte, schon während ich sie sagte, in eine Lüge verwandelt. Ich weiß jetzt, was liebhaben, unaussprechlich liebhaben, heißt. Ein ungeahnter Reichtum ist in mein Leben gekommen, durch Sie, Fräulein von Kosel.“

Er fragte sie, ob sie seine Frau, die Frau eines Ausgewanderten werden wolle, ob sie ihm alles opfern wolle, woran ihr Herz hing, Heimat, Verwandte, und gleich darauf verspottete er sich, daß er der Narr und Frechling sei, eine solche Frage an sie zu stellen:

„Warum sollten Sie es thun, Sie haben ja gar keinen Grund. Ehrlich gestanden, wenn ich Ihr Bruder wäre, und ein zweiter Bornholm käme um Sie zu werben, würde ich Ihnen raten: Laß dich nicht vom feigen Mitleid hinreißen, von der weibischen Leidenschaft am Wohlthun, weis ihn ab, den Friedlosen, mit seiner verwüsteten Jugend. – O, Fräulein von Kosel! davon bin ich überzeugt wie von meiner Existenz. Das aber wäre ein karges Schicksal, das mir nur so wenig Gutes gönnen würde als ich verdiene. Ich bin vermessen, ich hoffe auf die Großmut des Schicksals und auf die Ihre.“

Eines mußte er ihr noch sagen und fand dafür gute, warme Worte: Nicht nur innigst lieben hatte er gelernt, auch Ehrfurcht empfinden.

„Entscheiden Sie,“ schloß er, „und das Mitleid leite Sie nicht! Wenn Sie Ja sagen, wird ein Mensch Ihnen seine Wiedergeburt zu danken haben, wenn Sie Nein sagen, immer noch sehr viel. Er wird von der Welt eine bessere Meinunmg haben, als er bisher gehabt hat, denn in dieser Welt ist er Ihnen begegnet.“

Ehe Luise den Brief Bornholms eröffnet hatte, war es ihr festgestanden: Wenn er um mich wirbt, nehme ich seine Werbung an. Einem Menschen, den man herzlich liebt, alles sein können – ist alles. Herzliche Liebe, das war ihr Gefühl für ihn, von gewaltiger Leidenschaft wußte sie nichts, sie hielt sich ihrer sogar unfähig. Aber treu verbunden in Freud’ und Leid mit dem teuersten Menschen durchs Leben gehen, dachte sie sich schön ...

Freilich die Trennung, die schwere Trennung vorher! Ihr war, als hätte sie gar nicht gewußt, wie sehr sie an den Menschen drüben in Velice hing. An allen, besonders aber an den zwei Tanten, den edlen alten Jungfrauen mit ihren mütterlichen Herzen. Und Elika, die ihren ersten Liebestraum geträumt und ihren ersten großen Schmerz erfahren hatte … arme kleine Elika! Bitter ist das Scheiden von dir und von allen und von allem. Auch von dem engen Daheim, dem armen, stillen Hause. – Statt des belebten Friedens, der in ihm herrschte und jedem, der es betrat, wohlthuend entgegen wehte, zieht bald starre Ruhe in seine Mauern ein.

In dieser Nacht suchte Luise den Schlaf nicht. Sie löschte die Kerze, rückte einen Sessel ans Fenster, öffnete es und blieb dort bis zum Morgen, und sah die Sterne funkeln in ihrer hehren, unaussprechliche Sehnsucht weckenden Pracht und sah sie verblassen und dachte: Auch von euch, die ihr mir geleuchtet, so lang’ meine Augen offen stehen, heißt es scheiden.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 511. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0511.jpg&oldid=- (Version vom 17.3.2021)