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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

einer Besprechung bereit zu halten, was der Direktor auch pflichtgemäß gethan hat. Erwiesenermaßen ist aber Herr von Hofmann an jenem Tage gar nicht auf der Oelmühle gewesen; man hat vergebens von Stunde zu Stunde auf sein Erscheinen dort gewartet, wie das gesamte Personal, in Uebereinstimmung mit dem Direktor, ausgesagt hat. Zwischen elf und zwölf Uhr ist der Mordanschlag verübt worden, kurz vor ein Uhr haben die beiden bäuerlichen Besitzer den umgestürzten Schlitten gefunden. Das Riemenzeug des Pferdes ist durchschnitten gewesen, doch hat man das Tier in der Nähe der Unglücksstelle getroffen und eingefangen. Von den Banknoten fand sich bei Herrn von Hofmann nichts vor. In welcher Verpackung er sie bei sich trug, ist nicht festzustellen. Ihr Herr Vater hat, wie das seine Gewohnheit war, mit niemand von dem hiesigen Personal über diese Summe und ihre Verwertung gesprochen, er hat es nicht einmal jemand mitgeteilt, daß er überhaupt nach der Oelmühle hinüberfahren wollte, viel weniger noch, zu welchem Zweck.“

„Auch Herrn Oberingenieur Harnack nicht?“ warf Alix, die mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört hatte, ein.

„Nein, auch ihm nicht! Warum meinen Sie, daß es geschehen sein könnte, gnädiges Fräulein?“

„Aus keinem andern Grunde, als weil Herr Justizrat Ueberweg diesen Herrn die rechte Hand meines Vaters nannte. Ich dachte, er könnte mit ihm eine Ausnahme gemacht haben.“

„Herr Ingenieur Harnack war mit eine der ersten Personen, die in der Angelegenheit verhört wurden. Er hat die Aussage zu Protokoll gegeben, daß während seiner zweijährigen Anwesenheit in Josephsthal Herr von Hofmann niemals mit ihm über Zahlungen an seine anderweitigen Etablissements, über einlaufende oder zu verausgabende Gelder gesprochen hat. Es war sein besonders streng durchgeführtes System, jedes der ihm zugehörenden Werke mit seinen Einkünften und Ausgaben zu specialisieren.“

Der Gerichtsrat schwieg, und nachdenkliches Schweigen lagerte auch über den andern.

Endlich sagte Alix in gedrücktem Flüsterton: „Also doch – doch ein Raubmord!“

„Zweifellos! Und geschickt genug in Scene gesetzt! Dadurch, daß die sehr kostbare Uhr und Kette, die Ringe und das gemünzte Geld bei Herrn von Hofmann vorgefunden wurden, konnte ein solcher Verdacht zunächst nicht aufkommen.“

„Mußte aber der Mörder nicht fürchten, daß der Direktor der Oelmühle von der Absicht meines Vaters unterrichtet sei?“

„Wohl wahr! Allein der Raubmörder konnte ebensogut wissen, daß eine solche Benachrichtigung nicht zu den Gepflogenheiten Ihres Vaters gehörte. Jedenfalls hat er um seine Absicht gewußt. Es waren auch deutliche Spuren dafür da, daß die Taschen des Opfers in aller Eile umgekehrt worden sind, was darauf hinweist, daß man das Notizbuch, das er meistens bei sich zu tragen pflegte, bei ihm gesucht hat.“

„Also in aller Eile?“ fragte Korty.

„Offenbar. Das Taschenfutter war nach außen gekehrt, ein seidenes Tuch achtlos auf den Weg geschleudert. Daß es dem Räuber nur um die große Geldsumme und um nichts anderes zu thun gewesen ist, beweist schon der Umstand, daß nicht alle Taschen durchsucht worden sind, der gezogene Revolver steckte unangerührt in einer Seitentasche des Pelzes. Auch daß das hilflose Opfer nicht vollständig getötet wurde, giebt zu denken! Der Schwerverwundete konnte doch noch für eine kurze Zeit zum Bewußtsein kommen und den Thäter nennen – es war nicht sehr wahrscheinlich, aber keineswegs unmöglich. Mir liegt die Annahme sehr nahe, daß den Mörder entweder unmittelbar nach seiner That und der Beraubung des Opfers eine sinnlose Angst gepackt hat, die ihn zur Flucht trieb, oder daß irgend ein Geräusch in der Nähe ihn einen Zeugen seiner Blutthat vermuten und eiligst aufbrechen ließ …. denn in großer Eile muß er gewesen sein, alle Anzeichen sprechen dafür!“

Korty nickte bestätigend.

„Kommt mir gleichfalls sehr wahrscheinlich vor. Und die Kugel, die man aus dem Stirnbein hat entfernen können –“

„Sie werden sie ja sehen!“ sagte der Justizrat. „Kleines Kaliber, gewöhnliche Revolverkugel englischen Systems – bietet gar keinen Anhalt weiter!“

„Die Fußspuren waren verschneit, sagen Sie?“

„Leider ganz und gar. Ich bin sofort mit dem Aktuar nach dem Schauplatz der That hinübergefahren, aber wir konnten gar nichts mehr konstatieren. Ich bitte Sie, wenn es während zwei, drei Stunden ununterbrochen wie aus dem Sack schneit! Kaum die Stelle, wo der umgestürzte Schlitten gelegen hatte, war durch eine leichte Einsenkung markiert, an Fußspuren nicht zu denken. Wir versuchten, ganz vorsichtig etwas davon aufzudecken, aber es erwies sich als vollkommen fruchtlos. Selbst die Bauern, die eine gute Stunde vor mir dorthin gekommen waren, versichern, übereinstimmend mit dem Arzt, keine Fußstapfen gefunden zu haben, und das ist leicht zu begreifen! Vielleicht um halb Zwölf wurde das Attentat ausgeführt, kurz vor ein Uhr erst waren die Leute zur Stelle – dazwischen unausgesetzter Schneefall!“

Wieder folgte tiefes Schweigen. Jeder der Anwesenden versuchte die einzelnen Glieder dieser Kette von Vorgängen aneinanderzupassen, kombinierte so und so …. noch war und blieb alles in Dunkel gehüllt.

Da pochte es diskret an die Thür, der grauhaarige Diener trat ein.

„Die Herrschaften wollen verzeihen. Gnädiges Fräulein, Herr Whitemore ist soeben vorgefahren!“

„Ich komme!“ sagte Alix.

Gesenkten Hauptes, immer noch fruchtlos grübelnd, um den Schlüssel zu diesem traurigen Rätsel zu finden, durchschritt das junge Mädchen die angrenzenden Gemächer. In dem letzten derselben kam ihr raschen Ganges ein junger Mann entgegen.

In seinem praktischen und doch eleganten Reiseanzug, mit seinem frischen Gesicht, das Blondhaar kurz geschoren, an jeder Wange seitlich einen schmalen Bartstreifen, sah Mr. Cecil Whitemore so korrekt, so chic, so „englisch“ aus, wie Alix ihn bei ihrem Londoner Aufenthalt täglich hatte aus der City heimkehren sehen.

Von Müdigkeit, von Aufregung keine Spur. Im Blick der blaugrauen Augen lag viel Energie, in der Kopfhaltung ausgeprägtes Selbstbewußtsein.

„Liebe Cousine Alexandra, wie dankbar würde ich sein, wenn ich Ihnen in Ihrer gegenwärtigen traurigen Lage nützlich sein könnte!“

Das wurde ohne eine Beimischung von Sentimentalität in fließendem, wenn auch ausländisch klingendem Deutsch gesagt. Sie hatten des öfteren in London deutsch miteinander gesprochen, mehr aber noch englisch, daher das „Sie“ bei der Anrede, das keinem von ihnen einer Verwandlung in das vertrauliche „Du“ zu bedürfen schien. Auch erhielt Alix keinen Handkuß von Vetter Cecil zum Willkommen, ein kräftiges Handschütteln war alles.

„Haben Sie Dank, Cecil, daß Sie gekommen sind! Ich glaube, ich werde Ihrer sehr bedürfen!“ entgegnete Alix.

„Darf ich Onkel Hofmann sehen?“

„Gewiß. Er ist ganz ohne Bewußtsein geblieben, seit – seit das Unglück geschah. Möchten Sie jetzt gleich mit mir zu ihm gehen?“

„Ich möchte – falls es Sie nicht zu sehr aufregt!“

Um ihre Lippen zuckte es.

„Kommen Sie!“

Er ging stumm neben ihr her und betrachtete sie dabei. Welch schöne, vornehme Erscheinung sie doch war, diese deutsche Cousine Alexandra!

Für ihren Vater hatte der junge Mann immer viel Verständnis und Sympathie gehabt. Seine deutsche Mutter war ganz ohne Einfluß auf ihn geblieben, und ihr Tod, der in Cecils fünfzehntes Jahr fiel, bedeutete für ihn keinen schweren Verlust! So war er in englischen Grundsätzen erzogen worden und Herrn von Hofmanns kühles, gehaltenes Wesen, sein auf große, weitaussehende Ziele gerichteter praktischer Blick hatten ihm die größte Achtung vor dem klugen Geschäftsmann eingeflößt. Auch seinem Vater war es so gegangen.

Und hier lag nun der Mann, der Whitemore und Sohn so gründlich imponiert hatte, vor Cecil, hingestreckt von Mörderhand,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 523. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0523.jpg&oldid=- (Version vom 29.3.2022)