Seite:Die Gartenlaube (1898) 0564.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

und Luft dem armen Mariechen helfen können, so würde ich, wenn ich mich weigerte, bei jedem Schnupfen, der das Kind bis in sein 70. Jahr befällt, meinen Geiz und meine väterliche Barbarei anklagen hören, mit einem ‚siehst Du wohl, ach wenn das arme Kind hätte die See gebrauchen können!‘“

Jene kurze Ruhepause nach Schluß des Erfurter Parlaments, in welchem er noch gegen die Einheitsbestrebungen des liberalen deutschen Bürgertums ankämpfte, fand am 8. Mai 1851 ein Ende durch Bismarcks Ernennung zum Rat bei der preußischen Bundestagsgesandtschaft in Frankfurt a. M., welcher bald, am 15. Juli, seine Erhebung zum Bundestagsgesandten an Stelle des Herrn von Rochow folgte. Nach dieser Beförderung konnte Bismarck auch seine Familie nach Frankfurt nachkommen lassen, und bald entfaltete sich in der schönen Villa nahe dem Bockenheimer Thore, welche er jetzt einem Rothschild abmietete, ein reges gesellschaftliches Leben. Es fiel auf, daß an diesen Gesellschaften nicht bloß Diplomaten von Fach und hohe Offiziere teilnahmen, sondern auch Musiker, Schriftsteller und Künstler. Eine derartige Weitherzigkeit war nicht gewöhnlich unter den Vertretern der deutschen Staaten am Bunde. Die Bekanntschaft mit den künstlerischen Kreisen hatte besonders der von Bismarck sehr hochgeschätzte Maler Jakob Becker vermittelt, der mit seiner Gattin und seinen schönen Töchtern zu dem engeren Kreise des Hauses gehörte, und von dessen Hand das Bild Bismarcks als Bundestagsgesandter stammt, welches wir in dem Holzschnitt auf S. 563 wiedergeben.

Bismarck im Jahre 1870 vor der Kriegserklärung.
Nach einer Aufnahme von Hofphotograph H. Thomas in Koblenz und Ems.

Datei:Die Gartenlaube (1898) b 0564 b 1.jpg

In Frankfurt a. M. wurde auch – am 1. August 1852 – Bismarcks zweiter Sohn geboren, der seinen Rufnamen Wilhelm keinem Geringeren verdankt als dem damaligen Prinzen von Preußen und späteren Kaiser Wilhelm I, welcher eine Patenstelle bei ihm übernommen hatte. Derselbe weilte in jener Zeit wiederholt in Frankfurt, und gleich nach der ersten Begegnung hatte er eine sehr günstige Meinung von Bismarck gewonnen.

Diese Jahre der Frankfurter Wirksamkeit gehörten, wenn auch nicht zu den aufregendsten, so doch zu den unruhigsten, welche Bismarck erlebt hat. Die Arbeit, welche ihm sein Amt verursachte, war nicht eben groß, aber dasselbe wurde ihm zur Vorschule zu der großen staatsmännischen Thätigkeit, für welche ihn das Schicksal zum Heile der deutschen Nation berufen hatte. Die Sitzungen des Bundestags eröffneten seinen scharfen Augen den Einblick in das Intriguenspiel, welches Preußens berechtigte Ansprüche schmälerte, ließen ihn die kleinliche dynastische Eifersucht erkennen, welche das Elend der deutschen Zustände gewirkte. Die Eindrücke, die er in Frankfurt empfing, gaben ihm den Anlaß zu jenen ausführlichen Berichten an seinen König und den Ministerpräsidenten, in welchen immer lebhafter die Ueberzeugung zu Tage trat, daß die deutsche Frage nur gelöst werden könne durch einen Entscheidungskampf der beiden rivalisierenden Großmächte, daß nur ein auf ein starkes Heer sich stützendes Preußen berufen sei, den Einheitstraum des deutschen Volks, den das Frankfurter Parlament nicht hatte verwirklichen können, zur lebendigen Wahrheit zu machen. Zugleich beseelte ihn der Drang, den politischen Zustand Europas aus eigener Anschauung zu studieren, im Verkehr mit den Personen, die auf die politische Gestaltung entscheidenden Einfluß übten. Zahlreiche Reisen, teils dienstlicher, teils privater Natur, die Bismarck fast in ganz Europa umherführten, boten ihm dazu die reichste Gelegenheft. Bald fährt er mit Freunden oder mit der Gemahlin den Rhein hinab, dann begleitet er in diplomatischer Sendung den österreichischen Hof bis nach Ofen und unternimmt tagelange Ausflüge in die ungarischen Steppen zwischen Donau und Theiß; unzähligemal ruft ihn der Dienst nach Berlin, ein andermal die Aufmerksamkeit seines Königs zu den Jagden nach Letzlingen; dann wieder finden wir ihn teils zur Erholung, teils in amtlichem Auftrag in Ostende und Holland, in Westfalen, in Norderney, am Genfer See, in Oberitalien, in München und Stuttgart, mit dem Könige auf Rügen, in Paris beim Kaiser Napoleon, auf Jagden in Dänemark, Schweden und Kurland – kurz, diese Jahre waren rechte Wanderjahre, und auch nach seiner Versetzung von Frankfurt nach St. Petersburg (1858) wie während der kurzen Zeit seiner Pariser Gesandtschaft hat er große Reisen in Rußland und Frankreich unternommen.

Das Reichskanzlerpalais in Berlin.
Nach einer Photographie von Sophus Williams in Berlin.

Datei:Die Gartenlaube (1898) b 0564 b 2.jpg

Das Bedürfnis nach Häuslichkeit, nach dem Zusammensein mit der Gattin, fand natürlich bei dieser Art von Leben nicht immer seine Rechnung. Bald fühlt Bismarck Gewissensbisse, daß er so viel Schönes allein sehe, bald meint er, in Ermangelung des gewohnten häuslichen Behagens werde er noch das Spielen anfangen müssen. Leider war die Zeit seiner St. Petersburger Gesandtschaft durch bedenkliche Krankheitserscheinungen getrübt, die sehr schmerzhaft verliefen. Es waren die Folgen einer Beinwunde, die er sich zwei Jahre vorher durch einen unglücklichen Sturz auf der Jagd in den Einöden Skandinaviens zugezogen hatte, ein Leiden, das „zugleich rheumatisch, gastrisch und nervös war“ und auf das sein späteres Venenleiden zurückgeführt worden ist. Er fühlte sich auch noch nach der Genesung oft so

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 564. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0564.jpg&oldid=- (Version vom 8.12.2022)