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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

ihn freilich ein Heer von Amtssorgen und Amtspflichten begleitete. Und als ihm das preußische Abgeordnetenhaus aus Anlaß seiner Verdienste um den preußischen Staat nach dem siegreichen Krieg 1866 eine Dotation von 400000 Thalern überwies, da erwarb er sich für diese Summe am 23. April 1867 in der pommerschen Heimat seiner Frau die Herrschaft Varzin, auf welcher er bis in die Mitte der achtziger Jahre allsommerlich oft Monate zubrachte. Varzin liegt an der Eisenbahn von Stolp nach Rummelsburg, etwa in der Mitte zwischen beiden, in der Nähe der Station Hammermühle, nicht weit von dem ehemals Puttkamerschen Gute Reinfeld, das nach dem Tode von Bismarcks Schwiegereltern ebenfalls in seinen Besitz übergegangen war. Das ältere, niedrige Hauptgebäude ist wie auch ein neuerer Anbau des Fürsten äußerst schlicht in Ausstattung und Möblierung; wenig deutet darauf hin, daß diese Räume dem Kanzler des Norddeutschen Bundes und dann des Deutschen Reiches so vielfach erfrischende Zuflucht geboten haben. Nur das Arbeitszimmer des Fürsten trägt ein im Verhältnis zu dem übrigen etwas luxuriöseres Gepräge. Mit den Erweiterungen, welche Bismarck dazu kaufte, mag der gesamte Varziner Besitz etwa 30000 Morgen umfassen. Der Grund und Boden ist aber zum großen Teile nicht besonders fruchtbar und hat Stellen, welche sich selbst zur Bepflanzung mit Kiefern nicht eignen; die Feldwirtschaft tritt gegen die Waldwirtschaft zurück. Der Stolz von Varzin ist der prächtige Park, er bildete stets einen Lieblingsaufenthalt des Fürsten. Stattliche Buchen, Birken und Eichen, an einigen Stellen auch Gruppen rotstämmiger Tannen mit schirmartig sich ausbreitendem Geäst erheben ihre Kronen über das Unterholz der Hügel oder über das Gras und Moos der lichteren Senkungen. Schön gewundene Wege ziehen sich über Thal und Höhen.

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Aumühle bei Friedrichsruh.
Nach einer Photographie im Verlag von Strumper & Co. in Hamburg.

Hier in Varzin fand Bismarck, in den Jahren der großen Entscheidungskämpfe seiner Politik, immer wieder die Frische zurück für den Kraftaufwand, den sie heischten. Hier konnte er seinem starken Familiengefühl und -bedürfnis Genüge thun, im Sinn jener Worte, die er nach seiner Silbernen Hochzeit an Kaiser Wilhelm richtete: „Mit Recht heben Eure Majestät unter den Segnungen, die ich Gott zu danken habe, das Glück der Häuslichkeit in erster Linie hervor.“

Die Worte tiefschmerzlicher Resignation, welche in seinen Briefen öfter wiederkehren, waren eben doch nur der Ausfluß von Stimmungen, denen er ja wie alle stark empfindenden Naturen zeitlebens zugänglich war. Es stehen ihnen andere Aussprüche, auch aus der Zeit seiner Vereinsamung in Friedrichsruh, die ganz anders lauten, gegenüber. Und die schönste Auslösung der sein Gemüt bedrängenden Gegensätze war dann sein Humor, von dem er mitten unter den Erregungen des Feldzugs und im Drange der Geschäfte, die zum stolzen Tage der Kaiserverkündigung in Versailles führten, wie im Feuer parlamentarischer Kämpfe aus vollem Kraftgefühl heraus immer aufs neue die köstlichsten Proben gegeben hat. Aber Bismarck hat wirklich viel Undank erlitten: das wissen und fühlen vor allem die, die ihn einst verkannt und dann erkannt haben. Wie tief, wie bis in die innerste Seele hinein ihn der nicht immer in die schonendsten Formen gekleidete Widerstand gegen seine politischen Maßnahmen kränkte, das mögen wohl nur wenige geahnt haben. Gewiß waren die Rücktrittsgesuche, die er wiederholt – am 17. Dezember 1874, am 27. März 1877, am 6. April 1880 und vielleicht noch öfter – an seinen kaiserlichen Herrn richtete, mehr als eine bloße Form. Und wie wollte man über schwarzsichtige Stunden rechten mit einem Manne, dem zweimal eine mörderische Hand nach dem Leben trachtete, zweimal gerade in solchen Augenblicken, als er am schwersten mit sich selber rang um Klarheit darüber, ob das, was er that oder wollte, auch wirklich das Richtige sei, als seine ganze Seele gleichsam wund war von Zweifeln, die auf ihn einstürmten.

Wir wollen die Geschichte der beiden Attentate auf Bismarcks Leben heute nicht wiedererzählen; es genüge, daran zu erinnern, daß das eine ihn traf, als er in Berlin am 7. Mai 1866 in den schwülen Tagen vor Ausbruch des Krieges mit Oesterreich vom Vortrag bei König Wilhelm zu Fuß nach Hause ging. Der Angreifer, Ferdinand Cohen-Blind, der Stiefsohn des badischen Flüchtlings Karl Blind, nahm sich im Gefängnis das Leben, noch bevor eine Untersuchung eingeleitet war. Und das andere Mal, am 13. Juli 1874, geschah’s in Kissingen. Damals hat der fanatisierte Böttchergeselle Kullmann den Anschlag auf das Leben des Fürsten gemacht, den er mit 14 Jahren Zuchthaus büßen mußte. Beidemal wurde die glückliche Errettung Bismarcks Anlaß zu den überwältigendsten Kundgebungen der Teilnahme und der Verehrung.

Kein Tag aber hat dem Fürsten, so lange er am Ruder war, wohl mehr gezeigt, wie sehr er trotz aller Anfeindungen und Verfolgungen einem großen, sehr großen Teile seines Volkes ans Herz gewachsen war, als die Feier seines siebzigsten Geburtstags am 1. April 1885.

3738 Glückwunschschreiben, 2644 Telegramme, 175 Adressen von Korporationen und Vereinen, 560 Geschenke, 3 Ehrenbürgerbriefe,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 567. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0567.jpg&oldid=- (Version vom 13.5.2019)