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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Saum des Waldes grenzenden kleinen Güter Silk und Schönau dazu und baute sich das an die Stelle des einstigen Jagdhauses getretene bescheidene Wirtshaus zu einem durchaus nicht prächtigen, aber behaglichen Wohnhaus um. Wenn er in den letzten Jahren seiner Amtsführung Friedrichsruh vor Varzin bevorzugte, so mag der Grund hiervon in der leichteren Erreichbarkeit des ersteren gelegen haben; denn Friedrichsruh liegt unmittelbar an der Eisenbahnlinie Berlin-Hamburg. Die Gewöhnung aber mag dahin geführt haben, daß er auch nach seinem Rücktritt vom Amte hier verblieb, unberührt vom Getriebe der Welt und doch ihm nahe genug, um mit dem Strom der Ereignisse in Fühlung zu bleiben. Unsere Bilder zeigen uns den in einer Art Schweizerstil gehaltenen Bau des Herrenhauses von der Straßen-, bezw. Eisenbahnseite sowie von der Parkseite, umringt und überragt von den hohen Baumkronen des Sachsenwalds und sich spiegelnd in dem stillen Gewässer des Auflüßchens, von dessen idyllischem Charakter unsere Ansicht aus der Umgebung von Aumühle auf Seite 567 einen Begriff giebt. Sie zeigen uns auch die Schloßterrasse, an deren Fuße so manches Mal die Scharen der Verehrer vorüberzogen, die Musikkorps ihre Ständchen brachten, zu der so oft Fackel- oder Liedergruß sich emporschwang und auf deren Brüstung gestützt der Hausherr so manches Mal jene Reden an atemlos lauschende Hörer richtete, die für die ganze Welt von Bedeutung waren.

(Schluß folgt.)




Flügellahm.
Erzählung von Hans Arnold.
(Schluß.)

Am Tage nach dem erschütternden Auftritt mit Allan begab ich mich zum General, zu seiner Essenszeit – ich wußte, daß er da in seiner besten Laune war.

Er saß beim Dessert – Sinaide war schon vor ihm aufgestanden und fortgegangen. Ich frug nicht nach ihr, um nicht zu hören, daß sie wieder irgendwo mit Allan ihr Katz- und Mausspiel triebe.

Der alte Herr saß am Tisch – er aß spät abends, bei Lampenlicht und heruntergelassenen Gardinen. Im Glase vor ihm funkelte alter Rheinwein; er goß mir auch ein und zog mich liebenswürdig neben sich auf den Sessel, während er im Sprechen bisweilen aus der Obstschale auf dem Tisch eine oder die andere Frucht nahm.

‚Wie lange bleibt eigentlich Fräulein Sinaide noch hier?‘ frug ich nach einer Weile ziemlich unvermittelt.

Er lachte.

‚Hören Sie, das ist eine ungalante Frage – aber ich nehme sie Ihnen gar nicht übel, ich weiß, Sie mögen das Kind nicht! Sie meinen, daß sie ein herzloses Persönchen ist – zugegeben, aber warum stört Sie das? Ich habe auch nie an zu viel Herz gelitten und ich wünsche ihr den Ueberfluß gar nicht!‘

‚Er steht wohl auch nicht zu befürchten!‘ sagte ich hart.

Der General lachte wieder.

‚Nein – aber dafür hat sie eben andere Vorzüge, die sentimentaleren Dämchen abgehen – sie ist immer graziös und amüsant, sie würde auch mit einer gewissen Verve aufs Schafott steigen und sich die redlichste Mühe geben, auf dem Wege dahin ihrem Henker den Kopf zu verdrehen?‘

‚Und inzwischen ihrem Opfer!‘ sagte ich finster, ‚und das bringt mich auf den Zweck meines heutigen Besuches. Können Sie nicht dafür sorgen, daß sie den armen Jungen gehen läßt, Herr General? Können Sie es denn mit ansehen, wie sie ihn quält? Ich denke manchmal zu ihrer Rechtfertigung, daß sie gar nicht weiß, was sie thut – aber mir siedet das Blut, wenn ich es ansehen muß.‘

‚Mein lieber Freund,‘ sagte der General und schälte sich behutsam einen Pfirsich, ‚Sie sind ungerecht! Wir Menschen sind alle, wie wir sein müssen – nicht, wie wir sein sollten, oder möchten. Was verlangen Sie denn? Würden Sie einer Katze einen jungen Singvogel anvertrauen, nachdem Sie ihr vorher eine Moralpredigt über dessen Behandlung gehalten hätten, und würden Sie dann überzeugt sein, daß sie liebevoll mit ihm umgehen würde? Nein – Sie wissen ganz genau, daß sie ihm die bunten Federn, eine nach der andern, ausrupfen wird – nennen Sie sie meinetwegen Illusionen – Hoffnungen – Lebensmut – und dann wird sie ihn verspeisen und sich graziös und zierlich zusammenrollen und in die Sonne blinzeln – und denken Sie, daß sie das Gefühl haben wird, unrecht gethan zu haben? Sie folgt ihrer Natur – das ist alles, und das thun wir alle – warum giebt es Singvögel und warum Katzen?‘

Ich blickte schweigend vor mich nieder – es lag in dieser grausamen Philosophie ein Körnchen noch grausamerer Wahrheit.

‚In diesem Fall handelt es sich aber zufällig um mehr,‘ sagte ich dann. ‚Sie wissen, daß Allan verlobt ist, daß er glücklich war, ehe Fräulein Sinaide sich dazwischen stellte, und Sie wollen nicht durch ein paar nachdrückliche Worte an die junge Dame der Sache ein Ende machen? Nur ein paar Worte, Herr General – ich bitte wirklich nicht gern, und ich würde für mich nie bitten, aber der Junge ist mir lieb!‘

Der alte Herr sah zweifelhaft in das Licht der roten Lampe.

‚Sagen Sie ihr, daß sie abreisen soll!‘ fuhr ich lebhaft und dringend fort, ‚lieber heut’ als morgen!‘

Der General winkte abwehrend mit der Hand. ‚Nein, lieber Freund – nein, das können Sie nicht verlangen, dazu bin ich nun wieder zu sehr Egoist,‘ sagte er. ‚Und Sie machen sich wirklich ganz überflüssige Sorge – Sie nehmen so eine flirtation zu schwer, weil Sie ein solch ernsthafter Mustermensch sind! Lassen Sie doch den Jungen für sich selbst sorgen! Er ist drei Jahre Reiteroffizier gewesen – glauben Sie im Ernst, daß er da nie eine Herzensaffaire gehabt hat? Er wird dann später ein um so besserer Ehemann. Was fürchten Sie denn eigentlich so sehr?‘

Ich stand einen Augenblick im finstern Nachdenken – es wurde mir sehr schwer, das auszusprechen, was ich dachte, aber es mußte ja wohl sein!

‚Ja, sehen Sie denn alle nicht, daß er stirbt?‘ sagte ich endlich hart und langsam.

Der alte Herr fuhr zurück und verfärbte sich einen Augenblick.

‚Bah,‘ sagte er dann und griff wieder nach der Weinkaraffe, ‚Sie sehen zu schwarz, lieber Freund, viel zu schwarz – das liegt in Ihrem Beruf. Man stirbt an ansteckenden Krankheiten, aber nicht an Passionen und Passiönchen. Und nun bitte, stören Sie mir meine Kur nicht mit solchen aufregenden Gesprächen – machen Sie das alles mit den jungen Leuten selber ab, aber mich lassen Sie aus dem Spiel! Ich habe zu viel Tragödien und Komödien mitgespielt im Leben – ich bin jetzt nur noch Zuschauer, lieber Freund – nur noch Zuschauer! Wenn Sie erst so alt sein werden wie ich, werden Sie auch lieber im Parkett sitzen als mitspielen! Darf ich Ihnen noch einen Chartreuse anbieten? Nein? schade!‘

Ich stand auf.

‚Ich will mich Ihnen empfehlen, Herr General!‘ sagte ich kühl – weiter nichts; er machte auch keinen Versuch, mich zurückzuhalten.

Es war mittlerweile Abend geworden. Der Mond stand sanft und klar über dem Meer, ein warmer Luftstrom strich über das schlaftrunkene Land.

Auf dem kleinen Vorplatz der Villa Bella lag Sinaide im Schaukelstuhl und summte ein altfranzösisches Liedchen vor sich hin – sie sah unglaublich schön und unglaublich gleichgültig aus.

Als ich sie kurz und ernsthaft begrüßte, blickte sie auf – der Mond schien ihr gerade in die Augen, und sie hielt einen großen, dunkelroten Fächer zwischen sich und das Licht.

Ich that, als sähe ich ihre auffordernde Bewegung, ihr gegenüber Platz zu nehmen, nicht, sondern sagte nur ziemlich kurz und kalt: ‚Mein gnädiges Fräulein, ich habe eine große Bitte an Sie!‘

Sie lächelte.

‚Sie – eine Bitte? Das ist ja ein halbes Wunder? Und worin besteht sie?‘

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 569. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0569.jpg&oldid=- (Version vom 13.5.2019)