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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

zeigender jugendlicher Sünder ist auch der auf unserem Bilde dargestellte Reinhard, der auf dem gemähten Roggenacker die Fasanen äsen sieht. Allein so sehnsüchtig er auch hinüberäugt zu der begehrenswerten Beute, so wird ihm der Fang diesmal nicht gelingen: enttäuscht wird er den Abstreichenden nachsehen. K. B.     

Die Lambertusfeier in Münster. (Mit Abbildung.) Alljährlich, wenn im September die Welschnüsse ihre Hülle sprengen, findet in der Stadt Münster die Lambertusfeier statt. Früher im Anschluß an den Beginn der Abendarbeit bei Licht eine allgemeine Volksbelustigung unter Teilnahme aller Bevölkerungsklassen, hat sie sich in den Kreis der Kleinen und Kleinsten hinübergerettet, die in Gärten und Höfen den alten Brauch noch lebendig erhalten. Der Mittelpunkt der Feier, oder besser des Spiels, ist eine reifrockartig aufgebaute mit allerlei Flitterkram, mit Goldpapier, Fähnchen, Blumen, Tannenzweigen und dergl., verzierte etwa mannshohe Pyramide, die am Abend mit Lichtern, Kerzen oder Lampions geschmückt wird. Bei beginnender Dämmerung werden die Lichter angezündet: um die Pyramide bildet die Kinderschar, der sich öfters auch Erwachsene zugesellen, einen Ring; in der Mitte nimmt „der Buer“, eine verkleidete Gestalt, Platz, und nun beginnt ein Reihentanz mit Gesang. Den Anfang macht stets, nach einer bestimmten Melodie gesungen, das folgende Lied:

„O Buer, wat kost dien Heu? (wiederholt.)
O Buer, wat kost dien Kirmesheu,
Juchheiaa vivat Kirmesheu;
O Bner, wat kost dien Heu?“

Hierauf antwortet der Buer in derselben Weise:

„Mien Heu, dat kost ’ne Kron’!“

Dann fällt wieder der Chor ein:

„O Buer, dat is to tüer!“

Im Verlaufe des Spieles gesellen sich dem Bauer aus dem großen Kreise noch eine Frau, ein Kind, ein Knecht und eine Magd zu, bis das Spiel zu Ende geht. Dasselbe wird mehrere Abende wiederholt.

Ein ähnlicher Brauch besteht in Borken i. W., wo unter fast denselben Formen alljährlich eine Maifeier veranstaltet wird. Auch die Lieder sind dieselben. Beide Gebräuche dürften bis in die heidnische Zeit zurückreichen.

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Die Lambertusfeier in Münster.
Nach einer Originalzeichnung von E. Thiel.

Der junge Seemann. (Zu dem Bilde S. 621.) Klas Dierks hatte „die Welt und sieben Dörfer“ kennengelernt, und nun in seinen alten Tagen that er noch Dienste als Lotse. Und zwar als Lotsenältester. Unbegrenzt war das Ansehen des Alten bei seinen Standesgenossen, und ohne seinen Rat und seine Einwilligung geschah gewiß nichts von Bedeutung. Blitzblank sah es aus im Hause des alten Oberlotsen. Es war kein Herrenhaus, aber so wie es sein sollte und für ihn paßte, ohne Flitter und Verputz und Verblendung; alles echt und stark, wie es für einen alten Seemann sich schickt, der sein Schäfchen mit Ehren ins Trockene gebracht hat. Der große Eichenschrank im Wohn- und Herdzimmer glänzte nur so in dunklem Braun, wie er jeden Samstag fein säuberlich gewachst und mit Wolle abgerieben wurde. Der Herd und die Herdwand waren sauber mit bunten, blanken kacheln ausgelegt, und auf dem Herd selbst und auf dem Bort über ihm gleißte und funkelte das Geschirr aus Kupfer, Zinn und Messing, wenn die helle Sonne so recht in das trauliche Stübchen von der See her hineinschien, die draußen vor dem Häuschen am Strande rauschte und brandete. Bunte Matten aus Stabgeflecht schützten die Fliesen des Fußbodens, und der alte Klas achtete sehr darauf, wenn er von draußen kam, die Seestiefel abzuwischen und zu säubern, ehe er eintrat. Neben der Thür stand in ihrem schwereichenen Gehäuse die alte Uhr mit den blanken Gewichten und dem metallglänzenden Zifferblatt, und daneben hing der Kalender mit manchem frommen Spruch und Bild. Denn Klas Dierks war ein alter gottesfürchtiger Herr. Und so saß er oft, wenn er seine ruhigen Tage hatte, auf dem alten strohgeflochtenen Stuhle, wie sie von je Sitte gewesen waren in seinem Haus – das Neue liebte er nicht –, sah nachdenklich zu, wie der Perpendikel langsam hin und her schwang mit lautem Tick-tack. und dachte au die Zeit, die hinter ihm lag, und wie er übers Meer gefahren war in jungen Jahren, und dachte wohl auch an die letzte, lange Reise, die noch vor ihm lag. Neben seinem Stuhl saß, nachdenklich wie sein Herr, der gute weiße Spitz und hatte die Schnauze auf sein Knie gelegt und blinzelte ihn an.

Und durch den Kopf des alten Mannes geht mancherlei. Frohes und Trauriges. Auch daran hatte es nicht gefehlt und nicht an den Sorgen. Das Schwerste war aber doch gewesen, als sie damals ihm die Kunde gebracht, daß sein Sohn Volker in Bahia am gelben Fieber gestorben. Da galt’s stark sein und die Schwiegertochter trösten und aufrecht halten und für die Enkelkinder sorgen, den Pieter und die Antje. Und er hatte es rechtschaffen gethan und gut hatten sie’s alle drei bei ihm gehabt: aber auch auf Zucht und Ordnung hatte er gehalten, wie sich’s gehört. – Sein Wille galt.

Und nun war der Pieter eingesegnet worden. „Junge, was willst du werden?“ hatte Klas ihn um Weihnachten gefragt. Da hatte der Schlingel gelacht und geantwortet: „Na, was anders als Seemann?“ Und der Alte hatte dazu genickt und die Mutter, die Wiebke, war hinausgegangen und hatte heimlich geweint. Aber sie wußte es: gegen den Alten und ihren Jungen zusammen kam sie nicht auf. Sie mußte sich drein geben.

So war der Tag der Abreise gekommen, früh im April. Die Bark „Marie Sandow“ lag seeklar draußen auf der Reede, und geschieden mußte sein, wie weh es der Mutter auch ums Herz war. Pieter war weniger gerührt. Er freute sich eigentlich über die Maßen auf die große weite Welt mit dem vielen Salzwasser auf ihr, und die Thränen wollten gar nicht kommen. Aber als die Mutter ihn zum letztenmal umarmte und ihm sagte: „Min leev oll Jung, nu vergeet ok nich, dat du ut ’n Christenhuus büst un wohr di vör all de Slüngels uu Verführers, un komm mi ok mit ’n gude Gewissen un blanke Ogen torügg!“ da hatte er sie groß angesehen und nur gesagt: „Darup verlaat di man, Mudder!“ – Dann hatte er Antje flüchtig die Hand gegeben: „Lütt Deern, holl di munter: ick bring di ok ’n lüttje Negerpopp mit!“, hatte seinen Kleidersack aufgeladen und war hinter dem Großvater hergetrottet, der still und bedächtig den Weg zum Strande, wo das Boot lag, hinunterging. Den Jungen wollt’ er an Bord bringen und dann draußen kreuzen, ob’s was zu thun gebe. Vom Fenster winkte die Mutter mit ihrem Tuch; aber Pieter sah es nicht vor dem großen Sack, den er auf der Schulter trug: und in der Thür stand Spitz und bellte. Von der See her wehte kräftige Brise, und die Brandung lief donnernd und rauschend auf den Strand – – Leb’ wohl!“ Heims.     

Einquartierung. (Zu dem Bilde S. 633.) Endlich erschallt das langersehnte Signal: „Das Ganze Halt!“ und verkündet, daß für heute die Waffen ruhen und die Stürme des „Kriegs im Frieden“ schweigen sollen. Da die Mittagsstunde schon herangerückt ist und die Sonne auch im Spätsommer noch recht heiß brennt, wenn es zur Abwechslung nicht etwa regnet, so freut sich alles, daß wieder ein Manövertag vorüber, und rückt vergnügt in die Quartiere ab. Der Feuereifer, der in der Frühe die Mannen beseelte, ist verraucht; setzt kommt der Mensch im Krieger zum Wort, und das einzige, was die nach allen Richtungen hin sich verteilenden Truppen gegenwärtig interessiert, ist die Frage, wie das heutige Quartier ausfallen wird. Zwar behauptet eine alte Soldatenregel, auch das schlechteste Quartier sei selbst dem schönsten Biwak vorzuziehen, allein die „Alten“ wissen es aus Erfahrung und die Neulinge lernen es sehr bald erkennen, ein wie großer Unterschied zwischen den verschiedenen Quartieren bezüglich der Verpflegung, Bequemlichkeit und Unterhaltung besteht. Im großen und ganzen werden die Manövergäste ja überall freundlich empfangen, und meist thun die Quartiergeber sogar viel mehr als ihre bloße Schuldigkeit, um die von den Strapazen der Uebung Ermatteten wieder zu erfrischen. Oft haben der Hausherr oder die älteren Söhne selbst gedient und fühlen sich durch das fürs ganze Leben vorhaltende Gefühl der Kameradschaft gedrungen, den jungen Kriegern nach Kräften eine gastliche Aufnahme zu bereiten. Die Mutter hat vielleicht auch einen Sohn, der gerade dient, und hofft im stillen, daß ihm das Gute vergolten werden möge, was sie seinen Kameraden erzeigt. Nur sehr selten kommt es vor, daß der Soldat auf Quartierwirte trifft, deren Miene und Gehaben ihn erkennen läßt, daß er als unwillkommener Gast erscheint. Bei alledem aber ist es doch ein besonderer Glücksfall, wenn die mit ihrem Quartierbillet anlangenden Marssöhne eine gleich auf den ersten Blick so einladende und anheimelnde Unterkunft finden, wie das bei den beiden Infanteristen auf H. Modersohns hübschem Bilde der Fall ist. Welche Aufnahme ihnen in diesem behaglichen Heim bevorsteht, das läßt das fröhliche Lächeln der beiden schmucken Mädchen,

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 643. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0643.jpg&oldid=- (Version vom 10.4.2023)