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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)


Höhe. Oben auf dem öden Moorplateau stehen zum Trocknen kunstgerecht aufgebaute, luftige Torfringe oder hohe, schon trockne schwarze Torfhaufen. Ueberall reges Leben, emsige Thätigkeit! Alt und jung, Männer und Weiber, Knaben und Mädchen, alle sind bei der Arbeit.

Beim Torfgraben.
Nach einer Originalzeichnung von G. Bakenhus.

Hier steht ein knochiger Mann, schwere Stiefelholzschuhe an den Füßen, in der tiefen Torfgrube, sticht mit langem, schmalem Spaten die schmierigen Torflaibe los und wirft sie stöhnend hoch nach oben, wo ein anderer Mann sie mit einer Gabel aufnimmt und auf eine Schiebkarre legt, die ein hochaufgeschürztes Mädchen fortschiebt, bis zu dem Platze, wo die Torfsoden vorläufig zum Trocknen nebeneinander gelegt werden. Das ist eine schwere, mühsame Arbeit. Unser Bild stellt den oberen Teil der Torfgrube dar. Ganz oben ist eine Frau mit einer leichteren Arbeit beschäftigt, nämlich, den halb trocknen Torf in Ringe zu stellen. Ist der Torf ganz trocken, so wird er in runde Haufen geworfen oder zum sofortigen Transport in Schiffe gebracht. Wo die Moorschicht sehr tief sitzt, wird sie mit Maschinen herausgearbeitet, die gleich die Mischung besorgen und den braunen Moorkuchen an die Oberfläche befördern, wo er ausgebreitet, in Soden gestochen und in der bereits angedeuteten Weise getrocknet wird (vgl. das Bild S. 697).

Es liegt ein großer Reichtum, ein verborgener Schatz in unseren Mooren vergraben, der aber nur durch eine planmäßige, vom Staate ausgeführte Kanalisierung gehoben werden kann. Tausenden von Menschen, die jetzt im Elend verkommen oder zum Schaden des Vaterlandes auswandern, könnte hier noch eine glückliche Wohnstätte bereitet werden.




Als ich ’mal renommieren wollte.
Erinnerung aus der Schulzeit.
Von E. v. Wang.

„Wenn Gustav in diesem Jahre nach Sekunda kommt, werde ich ihn zur Belohnung ganz allein zur Großmama nach Berlin schicken!“ So hatte ich meinen Vater zur Mutter sagen hören, als ich gerade an der offenen Stubenthür vorbeiging. Die Wirkung dieser Worte auf mich war wunderbar. Eben war ich im Begriff gewesen, das Haus zu verlassen, um meinen neuen Weihnachtspaletot, meinen neuen Schlips, den so überaus kleidsamen neuen Filzhut und den zu einem schlanken Stückchen zusammengedrehten Schirm auf der Langgasse spazieren zu führen. Jetzt wandte ich mich im Nu auf dem Absatz herum und flog die Treppe in meine Giebelstube wieder hinauf. Ohne mich zu besinnen, entledigte ich mich der schönen, zum erstenmal ohne Zuhilfenahme von Papas alten Röcken hergestellten Garderobe und fuhr wieder in den alten Knabenkittel, dessen Aermel so abscheulich viel von meinen Handgelenken freiließen. Ich sah es wohl im Spiegel und bemerkte auch, wie mir der schnelle Kleiderwechsel all den Nimbus raubte, in dem ich mich wenige Minuten vorher gesonnt hatte, als ich in dem stattlichen dickwattierten Ueberzieher mit dem Stolzgefühl eines angehenden Bonvivants an derselben Stelle gestanden. Aber was that’s! Der Gedanke, bald „ganz allein“ nach Berlin reisen zu können, ließ keinen andern neben sich aufkommen!

Dann machte ich mich an die Arbeit, und sie geriet ganz gewiß besser, als wenn vorher in der Langgasse die Augen einiger „höheren Töchter“ sinnverwirrend auf mir geruht hätten. Und als ich fertig war, da dachte ich nicht mehr an die Langgasse, ich dachte an die „Linden“ Berlins. Ich schwelgte in der Vorstellung, so ganz, ganz allein, frei wie ein Vogel und unabhängig wie ein Student, von niemand gegängelt und gehindert, erst in die Welt hineinzufahren und mich dann in das Gewühl der Großstadt zu stürzen. Das Absteigequartier bei Großmama – hm, das mußte sein, das war ja die Voraussetzung der ganzen Reise! Ich freute mich ja auch aufrichtig auf Großmama! Ader wenn ich sie dann in ihrem traulichen Stübchen begrüßt haben würde, dann wollte ich hinauswandern in die große Stadt, um teilzunehmen an ihrem heißpulsierenden Leben und alles kennenzulernen, was sie interessant macht, ihre Licht- und ihre – Nachtseiten! Ich war ja noch ein ganzes Kind, aber von diesen „Nachtseiten“ hatte ich doch schon vernommen – was trifft nicht alles das Ohr eines heranreifenden, in die Welt hineinlauschenden Knaben, was kommt ihm nicht alles unter die Augen, und sei es auf dem Stück Zeitungspapier, in welches die sorgende Hand der Mutter harmlos das Frühstücksbrot für den Schulweg einwickelt! Freilich zu der angelesenen Weltkenntnis fehlte die deutliche Vorstellung – es schwebte mir nur die Ahnung von etwas schauerlich Schönem, das man „pikant“ nannte, vor. Eine Welt, angethan mit dem Zauber unangetasteten Geheimnisses – und diese Welt sollte mir nun bald die Reise entschleiern!

Das gab mir auch in den folgenden Wochen viel zu denken, zu träumen. Aber es hielt mich nicht ab, meine Schularbeiten mit Fleiß und Eifer zu machen und während des Unterrichts besser aufzupassen als sonst wohl. Ich mußte ja versetzt werden, um die Erlaubnis zu der Reise nach Berlin zu erhalten! Das feuerte an. Dann kamen die Tage der Prüfung, des letzten Kampfes um das diesmal mir so schön vergoldete Ziel. Und ich rang mich durch, ich wurde versetzt – der Tag war da, wo ich freudestrahlend den Eltern verkünden konnte, daß ich Sekundaner geworden.

Man hatte einen Pudding gebacken, den man, im Falle ich nicht versetzt wurde, kalt stellen konnte – nun dampfte er auf dem Tisch und daneben stand die Kirschsauce, und Vater und Mutter lasen Wange an Wange das Zeugnis, während ich weder an die Versetzung, noch an die durch sie verbesserten Aussichten für meine Zukunft dachte, sondern nur an den Pudding und an Berlin. Ich bat, heute einmal nur Pudding essen zu dürfen, und als das Mahl fertig war, saß ich da wie eine Boa constructor und nahm Papas längst erwartete Frage, ob ich am andern Tage Großmama besuchen wolle, deshalb mit so ruhiger Würde hin, weil ich fühlte, daß jede lebhafte Freudenäußerung meinem körperlichen Befinden im höchsten Grade unzuträglich werden müßte. Papa, der sich während seiner Frage zurückgelehnt hatte, um mich schlau lächelnd über die Brille anzusehen, hatte gewiß eine lebhaftere Freudenäußerung erwartet.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 700. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0700.jpg&oldid=- (Version vom 13.3.2023)