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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Halbheft 23.   1898.
Die Gartenlaube.


Illustriertes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Jahresabonnement (1. Januar bis 31. Dezember) 7 Mark. Zu beziehen in 28 Halbheften zu 25 Pf. oder in 14 Heften zu 50 Pf.


Montblanc.
Roman von Rudolph Stratz.
(2. Fortsetzung.)


6.

Während über Tetuan die Regenwolken sich schon mählich lichteten, strömte es noch unablässig, in feuchten Nebeln aus allen Klüften und Rissen des Atlas heranwallend, über den einsamen Bergkessel nieder, an dessen Rand das düstere Mauerviereck der Karawanserai El-Fondak thronte. Bis zum Mittag hatten die drei Schwestern gewartet, ob es nicht besser würde. Aber als auch dann noch die Welt grau in grau, naß und frostig dalag, mußte man sich entscheiden: entweder sofortiger Aufbruch nach Tetuan oder noch eine Nacht in El-Fondak.

Eine Nacht in El-Fondak! Die drei Damen sahen, sich stumm an. Ihre Mienen sagten genug. Diese zehn Stunden zwischen Abendgrauen und Morgendämmern, dies trostlose Nicken auf harten Holzschemeln bei flackerndem Stearinlicht, diese Nachbarschaft all der zweifelhaften braunen Viehtreiber und sonstigen Eingeborenen im Raum nebenan, dies Wasserrauschen und Sturmstöhnen draußen blieb ihnen in unverlöschlicher, schauernder Erinnerung. Nein, lieber in den Regen hinaus! Schlimmer konnte es schon nicht kommen.

Aber es kam doch noch schlimmer. Als man vor dem Abmarsch frühstückte, erschien der braune Hotelkurier mit einem leeren Napf und der lakonischen Meldung: „Die Soldaten wünschen Wein!“ Die beiden Turbanreiter hatten sich entschlossen, das Gebot des Propheten sträflich zu mißachten und auch ihren Anteil an den europäischen Genüssen zu fordern, und der Maure, der trotz seiner weit höheren Civilisation keinen Tropfen Wein in den Mund nahm, trug den beiden Kerlen den berauschenden Trank in dem Napf herüber.

Die Folgen blieben nicht aus. Als man nun endlich aufbrach, waren die beiden gestern so gleichgültigen und schweigsamen Soldaten wie umgewandelt. Sie überhäuften verbindlich lächelnd die Damen mit Aufmerksamkeiten, zwangen ihnen Muscheln und Blumen, die sie am Wege fanden, als Geschenk auf und fingen mit allen daherkommenden Eingeborenen Händel an. Das gurgelnde Geschrei und Gezänke erhob sich, solange man sich in Seh- und Hörweite befand, immer wieder von neuem. Dazwischen galoppierte das trunkene Paar im Wettlauf weite Strecken davon, kam, was die Pferde nur rennen konnten, von irgend einem Seitenhang wieder zurück und ließ in überströmendem Thatendrang die Ladung der langen Entenflinten krachend zum Himmel aufgehen.

Natürlich scheuten dabei die Maultiere alle Augenblicke und schlugen nach hinten aus, wenn die Soldaten sie unvermutet mit ihrem heiseren „Aerra!“ und einem Gertenhieb zum Traben bringen wollten. Den drei Damen, die angstvoll im Sattel saßen, war das Weinen näher als das Lachen. Anfangs hatte die düstere Gouvernante, die an den Verkehr mit wilden

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Soldatenkinder.
Nach einer Originalzeichnung von G. Mühlberg.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 709. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0709.jpg&oldid=- (Version vom 2.2.2023)