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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

feinste Kleid für Hanna, den besten Anzug für Oskar über dem Arm und Stiefelchen und Schuhe und Strümpfe – alles so schön und so blank und so zierlich, wie es mir noch nie im Leben erschienen war.

Und dazu machte sie ein so verschmitztes Gesicht, daß ich ganz stutzig wurde.

Wie?! Sollte ich mich doch am Ende verraten haben?! Wollte sie mir andeuten, daß sie Mitwisserin meines ängstlich gehüteten Geheimnisses war?!

„Was wollen Sie mit den Sachen?“ fragte ich sie nicht ohne einige Befangenheit.

„Ich sollte die Kinder anziehen – die gnädige Frau wird gleich wiederkommen und sie abholen. Sie wollte einen Geburtstagsbesuch mit ihnen machen.“

Ich stand da – wie vom Blitze getroffen.

Horch! Ein lautes Schellen der Hausklingel – noch habe ich mich nicht von meiner Erstarrung erholt, da tritt meine kleine Frau ins Zimmer in feinster kleidsamer Toilette, so lächelnd und freundlich, wie ich sie schon lange nicht gesehen.

„Du schon hier, liebster Mann?! Das schöne Wetter lockte dich gewiß ein wenig früher von deinen Akten fort. Aber wie schade – nun kann ich nicht einmal mit dir spazieren gehen; ich muß mit den Kindern fort –“

„Wo willst du denn hin?“ frage ich und zwinge mich zu der harmlosesten Miene von der Welt.

„Nur einen kurzen Besuch, mein Schatz! Bei Tante Heim! Du weißt ja, daß sie uns erwartet.“

O weh! Meine schöne, wohlüberlegte Ausrede! Es bedurfte keiner geringen Anstrengung, um meine Ruhe zu bewahren.

Und während meine beiden Kleinen mit bewundernswerter Artigkeit sich in all die herrlichen Sachen einhüllen lassen, überlege ich krampfhaft, wie es möglich wäre, mich in die Lage zu finden, ohne meinen Plan aufzugeben.

„Weißt du,“ sagt meine Frau und knöpft dem Jungen den letzten Knopf an seinem Sammetjackett zu, „du solltest eigentlich mitkommen, Tante Heim würde sich jedenfalls sehr freuen.“

„Ich danke – danke,“ murmele ich zerstreut und grübele weiter. Ich muß zu einem Entschluß kommen – es ist die höchste Zeit, denn auch die Kleine ist inzwischen fertig geworden und sieht mit den frischgekämmten goldenen Locken, die ihr reizendes Gesichtchen umwallen, und in dem weißen Kleid mit den blauen Vergißmeinnicht, die Tante Heim darauf gestickt hat, so allerliebst aus, daß ich sie mit mehr neidischen als freudigen Gefühlen betrachten muß.

Endlich fasse ich mir ein Herz. „Wirst du lange bei Tante Heim bleiben?“ frage ich möglichst gleichgültig meine Frau.

„Nein, lange nicht – weshalb, liebster Mann?“

„Es ist sehr komisch, liebste Frau,“ beginne ich nun, „wirklich sehr komisch – die reine Gedankentelegraphie – wir begegnen uns heute auf demselben Wunsche.

Ich wollte nämlich auch mit den Kindern einen Besuch machen – zwar nicht bei Tante Heim, aber bei meinem Kollegen Müller! Du weißt, sie sind kinderlos und erst kürzlich hierher versetzt“ – glücklicherweise war mir unter meinen vielen Kollegen ein solches Ehepaar eingefallen – „sie hegen den großen Wunsch, unsere Kinder, die sie schon einigemal auf der Straße getroffen haben, bei passender Gelegenheit bei sich zu sehen und ihnen ihre große Sammlung ausländischer Vögel, ihren Stolz, zu zeigen. Erst heute bei dem schönen Wetter äußerte der Kollege diese Bitte; damit nun aus solchem Besuch nicht gleich ein großer Verkehr würde – ich weiß, du bist nicht dafür – versprach ich, vor Tisch allein mit den Kindern für einen Augenblick vorzukommen. Findest du das nicht auch richtig?“

„Gewiß, lieber Mann, sehr richtig – aber heute –“

„Nun – ich dachte, ich könnte die Kinder vielleicht von Heims abholen, da sie doch einmal angezogen sind, und dann gleich diesen Besuch abmachen.“

„Aber wo denkst du hin, liebster Mann – so bald kommen wir bei Heims denn doch nicht los – nein, du kannst ja morgen mit den Kindern zu Müllers gehen – doch nun Adieu, wenn du nicht mitkommen willst.“

*  *  *

Also morgen!

Das war nun meine letzte Hoffnung. Und richtig – als ich aus dem Bureau nach Hause komme, sind die Kinder auch schon fertig und geputzt.

Der Junge hat das blaue Sammetjackett an und die Kleine das vergißmeinnichtbestickte Kleid, und beide sehen so niedlich und sauber aus, daß mir das Herz im Leibe lacht.

„Grüße mir Müllers schön!“ ruft meine Frau mir nach, und endlich sind wir auf der Straße.

Nun schnell zum Photographen!

Zu welchem?

Es gab deren viele. Meine kleine Frau rühmte immer den am Kohlenmarkt am meisten – aber, nein, zu dem wollte ich nicht. Sie könnte bei einem Bekannten doch noch auf meine Spur kommen.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 822. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0822.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2023)