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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

der Stadt hemmen, der Bürgerschaft wohlhergebrachte Freiheiten kränken und sich zu ihren Obern und Richtern aufwerfen.“

„In der That,“ sagte Snitger, „Hamburg hat sich nie besser gestanden als in Freundschaft mit dem Hause Holstein; der Kaiser aber strebt nach dem Umsturz der Verfassung und der Privilegien.“

„Der dänische König,“ fügte Jastram hinzu, „ist der natürliche Schiedsrichter des Nordens; er hat uns im Pinneberger Vergleich unsere Neutralität, unseren Kommerz, unsere hergebrachten Rechte und Freiheiten gewährleistet.“

„Und steht dafür ein zu jeder Zeit,“ versetzte Paulli, und die Gläser klangen wieder fröhlich zusammen.

Jetzt nahm der dänische Geschäftsträger eine besonders wohlwollende Miene an, wie ein Preisrichter, der eine Prämie oder eine Belobigung erteilt, und zog zwei wohlversiegelte Dokumente aus der Tasche.

„Ich freue mich, für des Königs Freundschaft und guten Willen einen greifbaren Beweis erbringen zu können. Bei den bösen Anzettelungen gegen die besten Bürger Hamburgs stellt ihnen unser Herr und König hiermit zwei Schutzbriefe aus und hält damit seine mächtige Hand über sie.“

Paulli sah die beiden Volksführer prüfend an, doch sie griffen nicht freudig zu, wie er hoffte: sie zögerten und ihre Mienen verdüsterten sich.

„Viel Dank dem König für seine Gnade,“ sagte dann Snitger, „doch zunächst schützt Hamburg seine Bürger selbst und wir würden in große Fährlichkeiten kommen und man würde sagen, daß uns des Königs Gunst mehr gezeichnet als ausgezeichnet hat.“

„Viel Dank,“ sagte auch Jastram in seiner kurz angebundenen Weise, „doch wir sind noch nicht bankerott.“

„Für später dann,“ sagte Paulli mißmutig, indem er die Dokumente zusammenrollte, „doch daß ihr von den Lüneburgern arger Dinge gewärtig sein müßt, das habt ihr ja wohl erfahren; ich glaube, Herrn Snitger wird es nicht wohl zu mute gewesen sein, als er da gefangen im Armenhäuschen an der Fähre saß.“

Dann aber leerte Paulli wohlgefällig sein Glas und sagte mit schadenfrohem Lächeln: „Und auch die Herren Diplomaten von Celle-Lüneburg gehen nicht gerade fein säuberlich zu Werke – haha, davon wissen ja eure Herren Deputierten zu erzählen, die nach Wien gegangen sind, um die Sache beim Kaiser ins reine zu bringen. Mein liebwerter Kollege Mahrenholz, der beim Reichshofrat den Lüneburger Herzog vertritt, hatte ja kaum vernommen, daß eure Deputierten in Wien eintreffen würden, als er ihnen in Leopoldstadt entgegenritt mit vier Dienern, welche alle spanische Rohre trugen, und dann durch die Fenster der Karosse auf eure Abgesandten losschlug, während seine Diener die Bedienten derselben durchprügelten. Kaum mit dem blauen Auge sind die Herren davongekommen, und es wäre noch schlimmer abgelaufen, wenn das Volk sich nicht dazwischen gedrängt hätte. Das müssen wir Auswärtigen allerdings sagen, kunterbunt genug geht es im deutschen Reiche zu, und wir Diplomaten könnten etwas lernen, wie man seine Sache mit schlagenden Beweisen führt.“

Rat Paulli rieb sich vergnügt die Hände, dann nahm er wieder den Faden der Verhandlung auf:

„Seht, Freunde, das beste Mittel, die Ruhe der Stadt gegen schädliches Parteiwesen und fremde Intriguen zu sichern und ihr unnütze Ausgaben für Befestigung und Rüstung zu sparen, bleibt doch immer, das gute Vernehmen mit Dänemark zu unterhalten und dessen Gefallen zu suchen. Wir delogieren euch die Lüneburger aus dem Moorwerder und aus den Vierlanden!“

„Wenn Ihr das thut,“ sagte Snitger, „seid Ihr unseres Dankes gewiß, noch mehr: wenn Ihr die früheren Privilegien wegen des Sundzolles, wie sie jetzt Schweden und Holland haben, unserer Stadt einräumen wollet!“

„Da läßt sich viel thun, wenn wir überhaupt Hand in Hand gehn, ich habe ja schon den Hamburger Kaufleuten beim König die Befreiung vom Glückstädter Zoll erwirkt!“

„Doch wir müssen erst bei den Dreißigern fragen,“ sagte Snitger, „wir sind nicht allein die Herren, wenn auch der Rat jetzt nach unserer Pfeife tanzen muß: wir müssen sorgfältig die Gemüter stimmen und vorbereiten, denn das Volk ist mißtrauisch auch gegen Dänemark.“

„Da seid ihr Herren ja die besten Bürgen unserer wohlmeinenden Gesinnung,“ versetzte Paulli, indem er aufbrach, „aber zögert nicht zu lang’, bis euch das Messer an der Kehle sitzt. Ihr würdet mir ein hochwillkommener Gast sein, Herr Snitger, auch setzt mein Weinkeller mich in die Lage, mich für Euren Malaga zu revanchieren. Freund Jastram ist schon lange heimisch bei mir und mein Hauswesen läßt nichts zu wünschen übrig – dafür sorgt meine Jngeborg – nicht wahr, mein alter Freund? Mein Wagen hält weitab von hier; ich muß mich zwischen den Gartenmauern dahinschleichen. Wir müssen eben auf Schleichwegen gehn, wir Diplomaten, denn das ist unseres Amtes.“

Und Paulli verabschiedete sich mit dem überlegenen Lächeln des Weltmannes, der gelegentlich auch sich selbst zu verspotten weiß – er steht ja zu hoch, als daß dies bei anderen verfangen könnte.

Zu Hause angekommen, fand er sein Mädchen, die hochgewachsene, blondgelockte Jngeborg, in peinlicher Besorgnis um den Erfolg seiner Bemühungen; sie hatte etwas von einer Walküre und erschrak nicht vor Kampf und Schlachtentod; aber wenn ein Zerwürfnis eintrat zwischen dem Vater und den Hamburgern – was sollte dann aus ihrer Liebe zu Jastram werden? Und sie liebte ihn heiß, diesen Volksmann; er hatte es ihr angethan mit seinem unerschrockenen Sinn, seinem wilden Feuer, seiner ganzen trotzigen unerbittlichen Männlichkeit. In seinem Wesen war leidenschaftliche Glut, und mit feuriger Erwiderung gab sie seinen Küssen und Umarmungen sich hin. Ihre Mutter war längst gestorben, dem Vater war ihre stürmische Neigung nicht fremd; doch er sprach kein Wort der Mißbilligung. Wenig gelegen wäre dem königlichen Rat zwar an einem Schwiegersohn wie Jastram gewesen, der aus den Kreisen des Hamburger Gewerbes hervorgegangen war. Ein Färber seines Zeichens, der früher mit Indigo, Blauholz und Cochenille, den damals aus den anderen Weltteilen herübergekommenen Farbstoffen, hantierte, war Jastram neuerdings durch Erbschaft ein vermögender Schiffsreeder geworden; doch Paulli sah ihm noch immer auf die Finger, ob dort nicht blaue und gelbe Farbstoffe haften geblieben. Für die Zukunft hoffte er den Emporkömmling schon zu beseitigen und auch von seiner Tochter wegzudrängen; jetzt war ihm die Liebe willkommen, die den Volksführer an sein Haus band. Er sah in seiner Tochter eine Delila und kümmerte sich nicht darum, was sie dabei empfand; sie war edlen und stolzen Sinnes und würde sich nicht wohlfühlen im Dunstkreis des gewöhnlichen Bürgertums. Selbst auf ein Verlobungsringlein wäre es ihm nicht angekommen, wenn man nur Fäden hindurchziehen konnte, die Hamburg und Dänemark verknüpften. Jastram stand überdies auf einem sehr gefährdeten Posten und war nichts weniger als ein feuersicherer Bräutigam – da konnte man blinder Lieb’ etwas zu gute halten und getrost das Ende abwarten.

Er beruhigte die Tochter, alles gehe aufs beste und sie würden bald einig werden. Doch Jngeborg harrte tagelang auf Jastrams Besuch; er hatte draußen in den Vierlanden zu thun oder vor dem Moorwerder und Billwerder nach dem Rechten zu sehn. Ihrer Ungeduld konnte sie nicht Herr werden: sie eilte oft mit ihrer Magd auf die Straße und fragte diesen oder jenen, besonders die bewaffneten Bürgerführer, nach dem Stand der Dinge. Was sie da hörte, war zerstreute Kunde, und sie mußte sich’s mühsam zusammensetzen; sie wagte sich sogar in die neu eingerichtete Kaffeeschenke an der Zollerbrücke, wo die Avise des Herrn Thomas von Wieringen auslagen; aber die waren so vorsichtig redigiert, daß das Neueste nur schüchtern kundgethan war. Ueber die Scharmützel mit den Lüneburgern schwiegen sie sich aus, und vergeblich suchte Jngeborg Jastrams Namen. Dann aber, wenn der Mond über das Alsterbecken sein Licht ergoß, glitt sie über die Silberfläche im Kahn dahin: das Rudern war ihre Lust, und wie schön träumte es sich nicht von dem Geliebten, wenn sie in den Duft der Ferne sah, der über den Waldwipfeln der Außenalster schwebte.

Endlich, eines Tages erschien Jastram wilderregt, wie fast immer in dieser Zeit, wo ein so gewagtes Würfelspiel um Hamburgs Glück und Ehre gespielt wurde.

„Wir haben mit Lüneburg verhandelt,“ sagte er, „und es wäre zum friedlichen Abschluß gekommen, wenn nicht wieder Meurer mit einem kaiserlichen Mandat dazwischen gefahren wäre. Da giebt’s keinen Frieden, ohne daß er wieder in sein Amt

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 860. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0860.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2023)