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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

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Fliegende Alabtrosse.
Nach einer Skizze von Dr. A. Seitz gezeichnet von R. Koch.


Versunkenheit und stürzte auf die Straße; Dagmar suchte vergeblich sie zurückzuhalten.

Es war Abenddämmerung – Arbeiter zogen vorüber mit allerlei Gerät, mit Hacke und Spaten, sie drängte sich in ihre Reihen.

„Kommt, Leute, kommt! Jastram ist unschuldig, Snitger ist unschuldig!“

Das war dem Volk eine genehme Kunde, sie standen still, und von allen Seiten drängten andere nach.

„Ich bin des dänischen Residenten Tochter, mein Vater hat seine Papiere im Garten vergraben. Ich weiß, daß Jastram kein Verräter ist – kommt herein alle, alle, um seine Unschuld aus der Erde zu graben!“

Und sie folgten ihr mit jubelndem Zuruf – die Beete im Garten mit den bunten Herbstblumen wurden von der eifrigen Menge achtlos niedergetreten. Bald klirrten die Spaten – und die Kiste kam zu Tage.

Als Ingeborg, den Männern mit warmem Händedruck dankend, sie an sich nahm, unschlüssig, wohin sie sich damit wenden sollte, da trat ein ungeladener Besuch in den Garten, der Prätor Röver mit seinen Ratsmannen. „Ich ging vorüber – welch ein Tumult? Was geht hier vor?“

Der Prätor war ein roher Gewaltmensch, ein erbitterter Gegner der Volksmänner, obschon mit Snitger nahe verwandt. Als er den Stand der Dinge erfuhr, legte er sofort Beschlag auf die Kiste – das Volk murrte, doch Ingeborg beruhigte die Menge. Das alles gehörte ja in die Hände der Richter, damit sie Jastram freisprechen konnten.

Der ungeduldige Prätor ließ sogleich die Kiste öffnen, und während ihm die Ratsmannen mit ihren Laternen leuchteten, entfaltete er ein Papier Nach dem andern.

„Ei, ei – Abschriften der Relationen nach Kopenhagen – sieh, sieh, da spielen die Verräter ja eine herrliche Rolle! Und hier die Antworten von dort – man rechnet mit festem Vertrauen auf sie und auf die Uebergabe der Stadt. Und hier auch Briefe an Snitger und Jastram – das stimmt, das stimmt!“

Es dauerte geraume Zeit, ehe er manches entzifferte, was ihm lesenswert erschien – die Menge harrte aus, schweigend, regungslos! Er schimpfte auf das schlechte Licht der Laternen und die ungeschickten Träger derselben.

Mit vollem Behagen über den schönen Fund wandte sich der Prätor dann zu Jngeborg: „Schönes Fräulein! Das habt Ihr gut gemacht – wir vom Rat und Gericht sind Euch dankbar; denn wäre der Strick für Snitger und Jastram nicht schon so fest gedreht – jetzt gäb’ es ganz sicher kein Entrinnen mehr! Uns fehlten für vieles noch immer die Beweise – die Stadt Hamburg wird Euch eine Ehrensäule errichten, liebe Jungfer! Ihr habt Euch um sie verdient gemacht. Bisher wär’s beim Köpfen geblieben – Ihr habt für das Vierteilen gesorgt!“ Und hohnlachend schritt der Prätor mit den die Kiste tragenden Ratsmannen seines Wegs.

Ein lauter Aufschrei – krampfhaft sich den Weg bahnend, teilte eine lichte Gestalt die Menge – gespenstig im Mondschein schwebte das weiße Gewand durch die dunklen Reihen; dann flog’s durch die Gartengänge dem Pförtchen zu, welches hinaus nach der Alster führte. Die Menge blickte verständnislos auf das Mädchen – doch der Ruf: „Hilfe, Rettung!“ ertönte hinter ihr. Dagmar folgte in größter Erregung, allein das Volk machte ihr nicht so bereitwillig Platz; einige von ihr beiseite geschobene Arbeiter versperrten ihr ärgerlich den Weg.

„Rettet das Fräulein!“ rief sie angstvoll, „seht ihr denn nicht, daß sie sich ein Leids anthun will?“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 865. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0865.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2023)