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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

über dies Stück, das einen Ausschnitt aus dem Kleinleben der Gesellschaft mit so viel Schärfe ohne Bitterkeit, so viel Wärme ohne Rührseligkeit wiedergab und mit so frischem Humor den Beweis für die Behauptung durchführte, die der „Held“ irgendwo im ersten Akt ausspricht: „Die bösen Zungen sind am Ende auch nur ein Teil jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft!“ Sogar in Grünau ist es vorigen Sommer von einer durchreisenden Truppe aufgeführt worden, die Grünauer haben es bejubelt, und wenn der Dichter noch in ihrer Mitte geweilt hätte, so wäre er einem Fackelzug und Festessen auf keine Weise entgangen.

Einige Wochen vor der Erstaufführung – ungefähr ein Jahr nach seiner Abreise von Grünau – traf der Dichter in der Residenz ein, um den Vorbereitungen des für ihn so wichtigen Ereignisses nahe zu bleiben. Er hatte dort eine sehr werte Freundin, eine reiche Kaufmannswitwe, die wegen ihrer Kunstliebe und Gastfreundschaft, nebenbei auch wegen ihrer Neigung zu scharfen und freimütigen Bemerkungen einen gewissen Ruhm genoß. In dem Salon dieser Dame entdeckte Franz Hertel einige kleine Bilder, die ihn außerordentlich zu fesseln schienen.

„Wie kommen Sie denn dazu?“ fragte er.

Frau Konsul Preusch – ihr Gatte war Konsul irgend einer mittelamerikanischen Republik gewesen – lächelte geheimnisvoll.

„Ihre Neugier macht Ihrem Geschmack alle Ehre, lieber Doktor,“ meinte sie. „Diese Blumenstücke sind wirklich etwas Großes in ihrer Art, nicht wahr? Besonders das mittlere, mit dem Heidekrautsträußchen. Man merkt ihnen die Dilettantenarbeit nicht an. Eine liebe jüngere Freundin von mir hat sie gemalt, eine Stiftsdame, das heißt, sie ist Mitglied eines adligen Jungfrauenstifts irgendwo in Norddeutschland, wohnt aber mit ihrer Mutter meist hier, draußen in der Humboldtstraße. Beiläufig bemerkt, das wäre vielleicht auch was für Ihr Lustspiel; ihr gegenüber hat sich ein älteres Fräulein eingemietet, eine entfernte Verwandte, deren noch ältere Schwester die nächste Anwartschaft auf die Pfründe meiner Freundin hat, sobald diese stirbt, sich verheiratet oder durch eine andere unvorsichtige Handlung ihren Besitz verscherzt. Die alte Dame sitzt nun den ganzen Tag auf der Lauer, um ihrer Schwester gleich zu telegraphieren, wenn so ein Glücksfall eintreten sollte, und das ist ihr Beruf. Ja, brummen Sie nur innerlich über meine berüchtigte scharfe Zunge, ’s ist doch wahr!

Aber um auf die Bilder zurückzukommen – sehen Sie, das ist auch eine merkwürdige Geschichte, wie meine Freundin gerade zu der Liebhaberei für diese Art Malerei gekommen ist. Es ist so recht etwas für Dichter – hören Sie nur! Die Mutter meiner Freundin, Frau Major von Berthen, ist die Witwe eines braven Offiziers, der aber den Seinen nichts hinterließ als die Ehre – und eine Pension, – ja, richtig, und dann noch für seine Tochter Maria die Anwartschaft auf eine Stiftspfründe, deren Inhaberin aber einstweilen noch lebte und die ganze zähe Lebenskraft besaß, die solchen Erbtanten eigen ist. Ich weiß nicht, ob Sie eine Vorstellung von der Schwere des Daseinskampfes in einer solchen Lage haben: verwitwet und verwaist, vor der Welt zu einem gewissen vornehmen Scheinwesen gezwungen – und nur auf eine Pension angewiesen. Ich kenne mehrere Fälle dieser Art … Hier aber kam nun noch hinzu, daß Frau von Berthen seit vielen Jahren durch Krankheit ans Zimmer gefesselt ist und eigentlich stetiger Gesellschaft bedarf, somit also für Maria auch noch die Möglichkeit, für sich und die Mutter zu arbeiten, fast ganz benommen war. Nun, sie haben sich durchgeschlagen, kümmerlich und tapfer, in allerlei kleinen Nestern, wo sie vor bekannten Gesichtern sicher waren; Beisteuer von guten Freunden wollten sie nicht annehmen, zeitweilig waren sie für ihre Bekannten ganz verschollen. Ich weiß, daß Maria manche Nacht durch, wenn sie glaubte, daß ihre Mutter schliefe, geschafft hat – Handarbeiten, namentlich kleine Malereien für Fächer und dergleichen; sie selber will es nicht Wort haben, aber die Mutter erzählt es mir oft genug unter Thränen der Rührung.

Von der Mutter habe ich nun auch die merkwürdige Vorgeschichte dieser Liebhaberei für Blumen in Aquarellfarben. Nämlich die alte Dame, wie das bei solchen Kranken oft geht, faßt von Zeit zu Zeit eine ganz bestimmte Neigung für irgend einen kleinen Schmuck des, Lebens, eine Art ästhetischer Leidenschaft, die dann um jeden Preis befriedigt werden muß, und so hatte sie – vor anderthalb Jahren mag es gewesen sein – ihre ganze Schwärmerei den Waldblumen zugewandt. Sie wohnten damals in einem kleinen winkligen Provinznest, und wahrscheinlich nicht in der besten Gegend: wie sollte die arme Maria da zu Waldblumen kommen? Aber siehe da, zufällig trifft sie eines Abends vor ihrer Wohnung einen Straßenjungen, mit einem ganz reizenden Waldblumenstrauß in der Hand. Sie kauft ihm den Strauß für ein paar Pfennig ab, verabredet mit ihm, daß er ihr nun für denselben Preis jeden Abend einen Strauß, frisch aus dem Walde, bringt – und der Mutter war geholfen! Dieser Straßenjunge muß aber ein wahrhaftes Genie in seiner Art gewesen sein; denn die Sträußchen waren, wie mir beide versichern, reizender als alles, was unsere großen Blumenbindereien auszusinnen wissen, und das will ja wohl etwas heißen. Jedenfalls aber hat er Marias Talent auf die richtige Bahn gebracht. Wenn sie so neben dem Sofa der Mutter am Tisch saß, vor sich den Strauß, überkam es sie unwiderstehlich – sie versuchte das Meisterwerk nachzumalen, kann sein, daß sie dabei auch an die Möglichkeit gedacht hat, sich einen neuen, kleinen Erwerbszweig zu schaffen, – nun, das war ja nicht mehr nötig, denn sie waren glücklich an der letzten Station ihres Leidensweges angelangt: die alte Tante hatte endlich ein Einsehen, ging ins Erbbegräbnis und räumte Maria die Pfründe ein, die ihnen mit der Pension zusammen ein leidliches Auskommen bietet, bis das Mädchen der alten Verwandten im Haus gegenüber die Freude macht, sich zu verheiraten. Ihre Lust am Blumenmalen aber hat sie beibehalten und es darin, wie Sie sehen, alsbald zu einer hübschen Höhe gebracht.

Nun, wäre das nicht ein ganz netter Stoff für eine Novellette? Etwa ,Der Straßenjunge als Mäcen‘, oder so ähnlich? Ich sehe, es hat Sie ordentlich ergriffen.“

„Sehr,“ versicherte Franz Hertel. „Bitte, können Sie mir nicht eine Photographie der – Stiftsdame zeigen?“

Die Frau Konsul erhob mit schalkhafter Drohung den Zeigefinger. „Nehmen Sie sich in acht, mein lieber Dichter! Sie machen sich möglicherweise eine falsche Vorstellung von einer Stiftsdame. Es giebt welche, die ein leichtverliebter Poet nicht ungestraft sieht. – Uebrigens die Photographie sollen Sie doch sehen. Schon um der merkwürdigen Sympathie willen. Denn ich will Ihnen nur verraten, daß meine junge Freundin zu Ihren stillen Verehrerinnen gehört, seit sie Ihre Photographie bei mir gesehen und Ihren Namen erfahren hat. Sie lobt Ihre Werke, sie liest sie sogar, ja noch mehr, ich glaube, sie hat sich sogar Ihre Gedichte gekauft. Welches deutsche Frauenherz kann die Verehrung für einen deutschen Dichter noch weiter treiben? – Da, sehen Sie, das ist sie!“

„Die schöne Florentinerin!“ murmelte Franz Hertel in entzücktem Wiedererkennen und Anschauen.

„Nun wird mir’s aber zu arg,“ rief die Frau Konsul. „Sie sind ja da draußen im Reich ein ganz gefährlicher Heuchler geworden! Läßt sich da die ganze Geschichte dieser jungen Dame als etwas Neues erzählen, und dabei kennt er schon den jüngsten Spitznamen, den ihr unser berühmter Historienmaler vor drei Wochen gegeben hat! Woher wissen Sie den nun auch schon?“

„O, verehrte Freundin, wir Dichter wissen alles schon im voraus,“ erwiderte Franz Hertel sehr fröhlich. „Nun aber bitte ich um Urlaub – ich habe wirklich noch einen sehr wichtigen Besuch zu machen …“

„Wohl wegen Ihrer Aufführung?“

„Ganz recht. Es ist nichts Geringes … Später erzähle ich Ihnen auch davon.“


9.

Etwas überrascht, etwas befangen, aber gar nicht erschreckt blickte die schöne junge Stiftsdame, als sie, Franz Hertels Karte in der Hand, in das kleine „Anspruchszimmer“ trat, wo der Besucher sie erwartete. In ihrer Erscheinung hatte sich eigentlich nichts geändert: dieselbe edle Haltung, dieselbe klare Anmut der Bewegungen, und auch die Kleidung war einfach gehalten wie damals; aber freilich kam ihre Schönheit hier, im Sonnenlichte des Tages und im gesicherten Heim, noch anders zur Geltung, als damals im Halbdunkel des Herbstabends – und der Sorgen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 888. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0888.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2023)