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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

in die „Fürstenzimmer“, wie Kluibenschädl mit nachdrücklichem Respekt betonte.

Und da gab es für den Fürsten eine Ueberraschung, die ihm Freude machte. In seinem Stadtpalais in Wien befand sich ein kleines Jagdzimmer, in dem er sich mit Vorliebe aufzuhalten pflegte – und die Einrichtung dieses Zimmers fand er fast bis in das kleinste Detail hier nachgebildet, als sollte ihm der trauliche Raum zum Willkommen sagen: Fühle dich hier zu Hause von der ersten Stunde an! Das war der gleiche Holzplafond, in hellem und dunklem Braun gehalten. Die gleiche Ledertapete mit eingepreßten Tierbildern, der gleiche Waffenschrank – sogar die beiden Jagdstücke von Snyders, die im Stadtpalais den kostbaren Wandschmuck seines Lieblingszimmers bildeten, fand er hier durch zwei treffliche Kopien ersetzt. Auch der gleiche Diwan und die gleichen, mit Seehundsfell bezogenen Lehnstühle. Nur zwei Möbelstücke des Stadtzimmers waren hier durch andere vertreten: statt des Spieltisches ein Schreibtisch, und statt eines Schrankes, der eine Sammlung Ridingerscher Holzschnitte und alter Stiche nach berühmten Jagdbildern enthielt, stand hier eine kleine Bibliothek mit ein paar hundert Bänden.

Und noch etwas war anders als in der Stadt: die Luft, welche frisch und würzig hereinströmte durch die zwei offenen Fenster, und der Ausblick, den diese boten.

An eines der Fenster war der Fürst getreten. Er blickte hinaus über Wald und Berge und preßte die Fäuste auf seine Brust, die sich wölbte unter einem tiefen, durstig trinkenden Atemzug. Lange stand er so, in ernstes Sinnen versunken, als vergliche er das Bild, das in sonnigem Frieden vor seinen Augen glänzte, mit dem Wirbel des Lebens und allem Sturm der Leidenschaft, der hinter ihm lag. Er nickte vor sich hin, und ein müdes, bitteres Lächeln zuckte um seine Lippen.

Geduldig stand der Förster neben der Thür und wartete.

Lautlose Minuten vergingen, bis ein Geräusch den Fürsten aus seinen Gedanken weckte. Verloren blickte er auf – Martin hatte das anstoßende Schlafzimmer geöffnet und sich wieder entfernt.

Der Fürst wandte sich vom Fenster. „Verzeihen Sie, lieber Förster … und ich bitte …“ die Worte versagten ihm.

Kluibenschädl wurde dunkelrot über das ganze Gesicht. „Aber Duhrlaucht, jesses na,“ stammelte er scheu und mit gedämpfter Stimme, „ich hab’ ja eh schon g’merkt, daß ich überflüssig bin, und gern hätt’ ich mich schön stad nausdruckt zur Thür … aber wie ich Duhrlaucht so sinnieren hab’ sehen, meiner Seel, da hab’ ich mich nimmer z’rühren ’traut!“

Dieses so schlicht und unbeholfen sich äußernde Zartgefühl schien den Fürsten warm zu berühren. Lächelnd reichte er dem Förster die Hand. „Sie sind ein lieber, guter Mensch! Und ich danke Ihnen für alle Mühe, die ich Ihnen heute schon verursacht habe. Morgen früh – um 9 Uhr – bitt’ ich Sie, mit mir zu frühstücken. Dann machen wir zusammen einen Orientierungsmarsch durch das Gaisthal. Ja?“

„Dank der Ehr’, Duhrlaucht! Und werde pünktlich zur Stelle sein!“

Das Gesicht des Fürsten noch mit einem scheu prüfenden Blick überhuschend, schob sich Kluibenschädl zum Zimmer hinaus. Als er draußen stand und die Thüre zugezogen hatte, spitzte er gedankenvoll die Lippen. „Psssss … mir scheint, mir scheint! Entweder ich kenn’ mich net aus, oder den hat ein Frauenzimmer in die Klupperln g’habt!“ Bedächtig griff er sich an die Nase. „Mannderl, Mannderl, das laß dir wieder zur Warnung sein!“

Draußen im Hof traf er mit dem Praxmaler-Pepperl zusammen, der um die Hausecke geschossen kam, die beiden Arme mit Weinflaschen vollgepackt. „Da schauen S’, Herr Förstner!“ rief der Jäger mit Zwinkern und Schmunzeln. „Da hab’ ich was Kühls für ein hitzigs Züngerl! Den trag’ ich nunter zu der Burgi … die andern sind schon drunten … Da müssen S’ mithelfen!“

„Dank schön!“ erwiderte Kluibenschädl mit Würde. „Machts eure Dummheiten allein! Und beim Weintrinken, da bin ich Filosoff … das heißt auf deutsch: ein Freund der stillen Genüsse.“ Sprach’s, zog dem Praxmaler-Pepperl eine Flasche unter dem Arm hervor und ging der nächsten Jägerhütte zu.

Praxmaler lachte und eilte zur Sennhütte hinunter. Man hörte das laute Hallo, mit dem er von seinen Kameraden empfangen wurde.

Eine Weile später trat der Fürst aus der Thür des Jagdhauses. Als er die Stimmen hörte, die von der Sennhütte heraufklangen, lehnte er sich mit den Armen über den Zaun und lauschte eine Weile dem lustiger als harmonisch klingenden Gesang.

„Glückliche Menschen! Ohne Wunsch und ohne Sorgen!“ Müd’ lächelnd murmelte der Fürst diese Worte vor sich hin und wanderte langsam über den Fahrweg hinunter und durch den schmalen Waldstreif, der das Almfeld umschloß. Er kam zu einer weiten Blöße, die schon im Schatten lag; doch durch die Lücken, welche sich zwischen den Wipfeln in den Waldkamm senkten, warf die Sonne noch lange, schimmernde Goldbänder über das Weideland und die jungen Fichten hin. Weiße Kühe mit leise bimmelnden Glocken zogen weidend durch das niedere Gesträuch, andere lagen zerstreut im Gras und wandten nur träg’ die Köpfe, wenn der einsame Spaziergänger an ihnen vorüberschritt.

Ziellosen Ganges wanderte Ettingen über die Lichtung, bald mit stillen Augen die klare Schönheit des Abends und der leuchtenden Lüfte trinkend, bald wieder versunken in brütende Gedanken, die ihn der Umgebung und des Weges nicht achten ließen.

Auf lindem Rasen schreitend, merkte er nicht, daß er den schmalen Pfad verlor und aus farbiger Dämmerhelle in tieferen Schatten trat. Als er, aus seinem Brüten erwachend, einmal aufblickte, sah er, daß er mitten im Hochwald stand, der eine Strecke sich eben hinzog und dann sacht zu steigen begann.

„Wie still dieser Wald! Wie schön in seinem Schweigen!“

Zwischen den Wurzeln einer mächtigen Fichte ließ sich der Einsame zur Ruhe nieder. So saß er still, den Kopf an den Stamm gelehnt, die Hände um das Knie geschlungen. Lächelnd, im Genusse der Ruhe, die auch seine Seele umfing, staunte er mit träumenden Augen hinein in dieses wundersame Waldesschweigen. Kein Halm zu seinen Füßen, kein Zweig zu seinen Häupten bewegte sich, auch nicht der leiseste Lufthauch atmete durch den Wald. Stark und ruhig, mit schlankem und ungeschädigtem Wuchse, stiegen die hundertjährigen Bäume zum Himmel auf, jeder ein König in seiner sturmerprobten Kraft. Alle kleinen, niederen Gewächse waren verkümmert und gestorben im Schatten dieser Großen; sie allein bestanden, und bescheidenes Moos nur webte zwischen ihren weitgespannten Wurzeln seinen grünen Sammet über Grund und Steine. Sogar vom eigenen Leibe hatten die Riesen alle niedrigstehenden Aeste abgestoßen und gesundes, saftiges Leben nur den strebenden Zweigen bewahrt, die sich aufwärtsstreckten bis zur Höhe des Lichtes. Das flutete goldleuchtend um die Wipfel her, ließ selten einen verlorenen Schimmer niedergleiten in den Schatten, der zwischen den braunen Stämmen lag, und dort nur, wo der Grund zu steigen anfing, brach es, einer Lichtung folgend, mit breiter, brennender Welle quer durch den Wald.

„Wer das so könnte wie der Wald: alles Schwächliche und Niedrige von sich abstoßen, nur bestehen lassen, was stark ist und gesund – so stolz und aufrecht hinaussteigen über den Schatten der Tiefe und die Helle suchen, die hohen reinen Lüfte! Wer das so könnte! …“

Langsam glitt der Blick des einsamen Träumers über einen der Stämme empor zum grünen Wipfel, der sich in der Sonne badete. Da huschte pfeilschnell ein kleiner Schatten durch den Sonnenglanz, in der Höhe schwankte ein Zweig, wiegte sich eine Weile sacht und kam wieder in Ruhe. Ein paarmal ließ sich ein leises Schnalzen vernehmen, und dann schallte ein süßer Vogelruf durch das Schweigen des Waldes. Nach kurzer Stille wiederholte sich der Ruf, und spielend kam der Vogel über die Zweige niedergeflattert, immer tiefer, bis zu den dürren Stümpfen der abgestorbenen Aeste – ein grauer Vogel von der Größe einer Amsel, mit weißem Streif um die Kehle. Es war eine Ringdrossel, diese lieblichste Sängerin des Bergwaldes. Hurtig drehte sie das schlanke Körperchen, guckte mit den kleinen Aeuglein emsig nach allen Seiten und flötete immer wieder ihr schmachtendes Liedchen. Plötzlich hob sie aufmerksam das Köpfchen und streckte sich – fast im gleichen Augenblick huschte sie auch davon und schwang sich schräg hinauf in die sonnigen Wipfel. Dort, wo der rote Schein den Schatten des Waldes durchbrach,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0007.jpg&oldid=- (Version vom 27.2.2022)