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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Neue Heilbäder.
Von Professor Dr. E. Heinrich Kisch.

(Moorbäder. – Mineralschlammbäder. – Fangobäder. – Elektrische Bäder. – Das elektrische Lichtbad. – Sonnenbäder. – Sandbäder. –

Das örtliche Heißluftbad. – Die künstlichen kohlensauren Bäder.)

Die Medizin der Gegenwart ist ganz besonders bestrebt, die Bezeichnung als Heilkunde zu verdienen und derart das höchste Ziel ärztlicher Wissenschaft zu erreichen: die Gesundheit des Menschen zu wahren, das Leben des Menschen zu erhalten. Und so wie sie dabei vor allem die Vorgänge jener merkwürdigen Naturerscheinung zu erforschen sucht, durch welche die Selbstheilung der Krankheiten erfolgt, so ist sie auch bemüht, alle Mittel anzuwenden, welche die Natur selbst bietet, um jene Vorgänge günstig zu beeinflussen. In diesem Sinne ist jeder wissenschaftliche Arzt ein „Naturheilkundiger“, und es ist ganz falsch, diese Bezeichnung im Gegensatze zum Heilkünstler für Personen in Anspruch zu nehmen, welche, bar jeden Wissens von dem Wesen der Krankheiten, diese nur durch „natürliche Mittel“ zu beseitigen vorgeben. Diese letzteren weiß jetzt jeder Arzt wohl ebenso wie die Medikamente, welche der Apotheker bereitet, zu würdigen und sieht sehr gut ein, daß in der Aenderung der Ernährung, im Wechsel der Lebensweise, in Regelung der körperlichen Bewegung, in Anwendung von kalten und warmen Bädern machtvolle Momente gegeben sind, um Blutbildung und Stoffwechsel, den Gesamtkörper und Einzelorgane wesentlich zu beeinflussen. Jede neue Errungenschaft auf dem Gebiete dieser natürlichen Heilmittel ist hochwillkommen, nur muß sie sorgfältig geprüft und darf nicht wahllos angewendet werden.

So hat in jüngster Zeit der altbewährte Heilschatz der Bäder manche beachtenswerte Bereicherung erfahren. Den Moorbädern reihen sich die Fangobäder an, den elektrischen Bädern die Lichtbäder, den Dampfbädern die Heißluftbäder, den natürlichen Säuerlingsbädern die künstlichen kohlensauren Gasbäder, und sie nehmen für sich, mehr oder minder berechtigt, ein großes Heilgebiet der Krankheiten in Anspruch.

Die Moorbäder, obgleich erst verhältnismäßig kurze Zeit in Anwendung, haben sich eine solche Wertschätzung in ärztlichen Kreisen wie bei leidenden Personen erworben, daß ähnliche Bäderarten mit ihnen den Wettbewerb, und nicht immer einen ehrlichen, anstreben. Das Mineralmoor, welches zu Moorbädern verwendet wird, ist eine aus verwesenden pflanzlichen Bestandteilen zusammengesetzte Torferde, welche durch einen außerordentlich langen Zeitraum, der sich oft auf Jahrtausende erstreckt, von Mineralwässern durchtränkt worden ist und hierdurch eigentümliche chemische Veränderungen erfahren hat; infolgedessen enthält das Mineralmoor heilkräftige Bestandteile, wie lösliche Eisenverbindungen, organische Säuren, welche dem gewöhnlichen Torfe fehlen. Durch diese innige Berührung mit den Mineralwässern hat die Natur den Torf zu einem Heilmoore veredelt. Die an Kohlensäure und schwefelsaurem Eisenoxydul sowie an Ameisensäure und Essigsäure reichen berühmten Eisenmoore der böhmischen Kurorte, die durch großen Reichtum an Schwefel, schwefelsauren Salzen und Schwefelwasserstoff ausgezeichneten Schwefelmoore Deutschlands werden zu Bädern benutzt, welche besonders kräftige Reize auf die oberflächlichen Nerven üben und durch ihre in mehrfacher Richtung charakteristischen, von denen anderer Mineralbäder abweichenden Eigentümlichkeiten sehr beachtenswerte Heilwirkungen erzielen.

Das zu Bädern bestimmte Moor wird den Moorlagern entnommen und, gehörig gereinigt und von gröberen Bestandteilen der Pflanzenreste befreit, auf eigenen Halden dem Verwittern ausgesetzt; aus diesem Material bereitet man die Bäder durch Vermischen mit warmem Wasser oder heißen Dämpfen, so daß eine dünne, dichte oder sehr dicke Breimasse zum Badegebrauche gelangt. Man nimmt die Bäder in einer hölzernen Wanne, neben welcher sich eine zweite mit erwärmtem Wasser gefüllte befindet, die dann nach dem Moorbade als Spülbad benutzt wird. In Kurorten, in denen gute Badeeinrichtungen sind, erhält, was eigentlich selbstverständlich ist, jeder Badende täglich ein frisches Moorbad bereitet; in Anstalten, in denen das Moor knapp zureicht, wird zuweilen die Badewanne für jeden Patienten erst nach jedem 4. bis 5. Tage mit frischem Moor gefüllt – ein verwerfliches Verfahren, das in dem Mangel an Moorerde keine ausreichende Entschuldigung findet. Das erste Moorbad ist für den Neuling, welcher in die schwarze dampfende Masse eintreten soll, namentlich für Damen, kein erquickliches, doch bald erscheint das Baden in dem warmen Breie behaglich, wie ein Einhüllen in einen schmeichelnden Pelz, und man harrt beruhigt der gerühmten Wirkung. Bei einer Reihe von Nervenleiden, Frauenkrankheiten, rheumatischen und gichtischen Erkrankungen haben die Moorbäder berechtigten Ruf erlangt.

Die Folge dieses guten Rufes ist, daß jetzt allenthalben „Moorbäder“ auftauchen und angepriesen werden, auch dort, wo es überhaupt kein heilkräftiges Moor, sondern nur ganz gewöhnlichen Torf giebt, oder wo irgend ein Schlamm die einzige Aehnlichkeit mit dem Moore darin besitzt, den Badenden schmutzig zu machen. Ist doch jüngst ein findiger Kopf auf den Einfall gekommen, gemeinen Lehm zu solchen Bädern zu verwenden, mit der jedenfalls originellen Begründung, der Mensch sei aus Lehm geschaffen worden und daher seien auch zur „Naturheilung“ für menschliche Krankheiten Lehmbäder am geeignetsten.

In Wirklichkeit kommen den Heilmoorbädern, was ihre Zusammensetzung und Wirkung betrifft, jene Mineralschlammbäder am nächsten, welche aus dem Schlamme bereitet werden, der sich an starken Solquellen, heißen Schwefelwässern oder am Meeresgrunde bildet. Solcher Mineralschlamm enthält die Bestandteile dieser Mineralquellen sowie des Meerwassers, gemengt mit verwitterten Teilen der Gesteine und Erden der Nachbarschaft, sowie zersetzte pflanzliche und tierische Reste der Umgebung der Wässer. Hierdurch ist die Wirkung dieser Bäder, welche gleichfalls eine mehr oder minder breiartige Beschaffenheit haben, ähnlich der von Moorbädern, und es weisen namentlich Schwefelschlammbäder sehr günstige Wirkungen bei Nervenschmerzen, Lähmungen und Folgezuständen von äußeren Verletzungen auf. Gerühmt wird bei solchen Leiden auch der Seeschlamm, welcher sich vorzugsweise in Seebuchten mit thonigem Boden bildet, so in den schwedischen und norwegischen Seebädern und in den russischen Salzseen (Limanen). Bei den erstgenannten Schlammbädern wird der Seeschlamm eigenartig gebraucht; er wird nämlich, auf 31 bis 34 Grad Celsius erwärmt, auf den ganzen Körper vom Halse bis zum Fuße aufgelegt, die Haut dann mit einer Bürste gerieben und hernach der Schlamm mittels einer warmen Dusche wieder entfernt. Hierauf nimmt der Kranke ein heißes Wasserbad und wird in warme Tücher gehüllt, zuweilen auch mit frischen Birkenruten geschlagen und tüchtig massiert. In Norwegen bestreicht man noch überdies zuweilen den Körper der Leidenden mit Medusen, Seequallen, um die Haut durch die Nesselorgane dieser Tiere zu reizen.

Ganz besonders laut und allzu eindringlich angepriesen werden jetzt die Fangobäder. Fango ist ein vulkanischer Schlamm aus Battaglia in Italien, welcher dort, mit heißen Kochsalzquellen gemengt, aus mehreren Kratern dem Erdinnern entströmt. Dieser Schlamm, welcher stark exportiert und in versendetem Zustande zu Bädern benutzt wird, stellt eine gelbbraune, schmierige Masse dar, welche zum größten Teile aus unorganischen Substanzen besteht und im Gegensatze zu den Mineralmoorbädern wenig organische Bestandteile und Säuren besitzt, welch letztere gerade als heilkräftig betrachtet werden. Die Zusammensetzung des Fango ist also auch nicht annähernd so günstig wie die der bekannten einheimischen kräftigen Moorerden, und ich finde es nicht gerechtfertigt, für teueres Geld aus dem Auslande herbeizuschaffen, was wir billiger, näher und besser selbst besitzen. Indes wer sich aus diesem Umstande nichts macht und für wen der Reiz des Neuen und Fremdartigen mächtig ist, der kann immerhin als ein gutes Mittel, hohe Wärmegrade auf den Körper wirken zu lassen, ein Fangobad nehmen. Der Fango wird, erwärmt, auf eine am Ruhebette ausgebreitete Leinwand in dicker Lage aufgestrichen, der kranke Körperteil darauf gelagert, dieser auf der oberen Seite ebenfalls mit Fango bedeckt und nun der Leidende in die Leinwand, eine Gummidecke und Wolldecken eingeschlagen, so daß durch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0015.jpg&oldid=- (Version vom 17.11.2022)