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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

auch die Brauerei aufgegeben und ihre Aecker verpachtet. Es sei aber ein sehr reinliches Haus, und auch mit der Küche würde ich zufrieden sein.

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Der Ort lag noch eine gute Strecke vom Bahnhof entfernt. Ein Bauer, der einen Wagen voll Kohlköpfen zum Verladen herangefahren hatte, machte mir den Vorschlag, mich und mein Gepäck nach dem Gasthof zu bringen. Ich zog es aber vor, zu Fuß zu gehen, lud meinen Handkoffer, Malkasten und Staffelei einem rüstigen Burschen auf die Schulter und wanderte sehr guter Dinge die Kastanienallee entlang, die in einem weiten Bogen nach dem Städtchen führte.

Es war eine köstliche Nacht, kein Mondschein, aber der Himmel hell von zitternden Sternen und jene reine scharfe Kühle in der stillen Luft, die mir nach der staubigen Fahrt unsäglich wohlthat. Als der Weg die letzte Biegung machte, sah ich zwischen den noch dünn belaubten Wipfeln die schwarze Silhouette der Burgtrümmer am silberweißen Hintergrund sich abzeichnen und unterschied deutlich die dünnen Stämmchen der kleinen Bäume, die oben auf dem Mauerrand aufgesprossen waren. Kein Laut weit und breit, als hin und wieder ein Hund, der aus dem Schlaf bellte. Auch mein Begleiter that den Mund nicht auf, und ich war so in meine helldunkle, sentimentale Stimmung versunken, daß ich keine gleichgültige Zwiesprach anknüpfen mochte.

Wir erreichten endlich das Thor, von dem nur noch ein zerbröckelnder Rest vorhanden war. In dem ehemaligen Stadtgraben zu beiden Seiten waren Gemüsegärten entstanden, deren Beete eben frisch angepflanzt schienen. Die Häuser, die die Straße bildeten, lagen unregelmäßig zur Rechten und Linken, dazwischen Düngerhaufen, die ein nicht eben liebliches Gedüft ausströmten; Ackergerät, Wagen und Pflüge, alles ließ erkennen, daß die Einwohner auf den Feldbau angewiesen waren. Ueber der Straße an Ketten aufgehängt Laternen, deren rote Petroleumflammen diese ganze kleinstädtische Dürftigkeit nur unvollkommen beleuchteten. Und in keinem der einstöckigen Häuser noch irgend Leben und Bewegung, kaum hie und da ein Licht hinter den kleinen Scheiben, vor den meisten aber ein Kasten mit den ersten Blumen des Jahres oder allerlei Grünzeug, das erst später blühen sollte.

Auch auf dem Marktplatz war’s still und dunkel, nur der Brunnen in der Mitte unter ein paar hohen Bäumen rauschte mit leisem Geplätscher, und aus einem der kleinen Häuser erklang ein unbeholfenes Geigenspiel. Die schwarze Masse der Kirche nahm die eine Seite des unregelmäßigen Vierecks ein, gegenüber stand ein sehr langgestrecktes Haus, einstöckig, mit dunklen Fenstern im Obergeschoß, während unten neben der breiten offenen Einfahrt Licht aus den Zimmern zu beiden Seiten schimmerte.

Da ist der Bayrische Löwe! sagte mein Begleiter. Er ging auf den Eingang zu und zog an einer Glocke, die einen stumpfen, klappernden Ton von sich gab. Nach einer Weile kam ein alter, etwas verwachsener Mann, mit einer blauen Küferschürze unter der kurzen Joppe, schwerfällig aus dem dunklen Flur herangehinkt, mit einer Stalllaterne, die er gegen mein Gesicht aufhob, da die beiden Flurlampen nur ein schwaches Licht gaben. Als er hörte, daß ich ein Zimmer wünschte, brummte er etwas in den grauen Schnurrbart, stellte die Laterne auf den Boden und ging in die Thüre zur Rechten, über der ich die Inschrift „Gastzimmer“ las. Ueber der linken Thür stand „Schenkzimmer“ geschrieben. Der Empfang war nicht gerade vielversprechend. Wenigstens hatten wir fünf Minuten in dem zugigen Thorweg zu warten, bis sich die Thüre rechts öffnete und eine weibliche Gestalt heraustrat, hinter ihr der Hausknecht.

Die Frau grüßte mich mit einem kurzen Kopfnicken, ich bat, mir ein Zimmer anzuweisen, da ich einige Tage hier zu bleiben gedächte, ich sei Maler und wolle in der Umgegend ein paar Studien machen.

Während ich sprach, sah ich mir die Wirtin, wofür ich sie hielt, genauer an. Eine hochgewachsene Figur, prachtvolle Büste, auf den schlanken Schultern ein noch jugendlicher Kopf mit dicken braunen Haaren und ein Gesicht, das ich mir gleich zu malen wünschte, etwas bäuerlich derb, aber mit der geraden Nase und den großen stahlgrauen Augen ungemein charaktervoll. Nur eine seltsame Unbeweglichkeit ihrer Mienen und die blasse Farbe der Wangen fiel mir auf, auch daß sie auf meine Worte nur wieder mit einem stummen Nicken antwortete, als ob ihr der Gast höchst gleichgültig wäre.

Sie sagte dann dem Hausknecht etwas, das ich nicht verstand, er nahm dem Träger meine Siebensachen ab und stapfte mir voraus eine breite steinerne Treppe hinauf, die Laterne vor sich her tragend.

Oben in dem nur durch eine einzige Lampe erleuchteten Gang, der die ganze Länge des Hauses durchlief, führte er mich zu einer Thür, über der Nummer 1 geschrieben stand, öffnete sie und ließ mich in ein großes hohes Zimmer eintreten, in dem eine klamme, muffige Luft schwebte. Als er meine Sachen auf ein paar Stühle gestellt und eine Kerze auf dem Nachttischchen angezündet hatte, verließ er mich ohne weiteres, während ich nichts Eiligeres zu thun hatte, als beide Fenster aufzureißen und die dumpfe Luft hinaus- und die Frische der Mainacht hereinzulassen.

Ich sah mich dann, nicht eben erheitert durch den einsilbigen Empfang, in meinem Nachtquartier um. Die Inspektion fiel nicht allzu ungünstig aus. Es war ohne Zweifel das vornehmste Zimmer des Hauses, die Möbel gepolstert und mit weißen gehäkelten Schutzdecken überzogen, alle von tadelloser Sauberkeit, wie auch die mageren Tüllvorhänge an den Fenstern und dem Himmelbett; die Dielen blendend weiß gescheuert, das Gerät auf dem Waschtisch altmodisch wie alles übrige, aber blank wie aus dem Laden. Mit meiner Kerze leuchtete ich an den Wänden herum und betrachtete die wenigen Bilder, eine lebensgroße Mutter Gottes und einen heiligen Joseph in Oeldrucken, dazwischen eine Lithographie des Münchener Kunstvereins, den Abschied König Ottos vor der Abreise nach Griechenland darstellend. Auf der Kommode unter einem Glassturz ein wächsernes Jesuskind auf einem rotatlassnen Kissen, daneben zwei Leuchter aus Porzellan, ohne Kerzen. Vor dem gleichfalls sorgsam mit Ueberzügen bekleideten Sofa ein alter runder Tisch, dessen geschweifte Beine in vergoldete Löwenklauen ausliefen. Kurz, das Staatszimmer eines bayrischen kleinstädtischen Gasthofs in seiner althergebrachten Ausstattung, und nebenan der „Saal“, ein ganz leerer weiter Raum mit vier Fenstern, nur rings an den Wänden niedrige, mit schwarzem Leder bezogene Bänke. Offenbar fanden hier die Tanzvergnügungen und Hochzeiten des Ortes statt, und der alte Kronleuchter in der Mitte, mit Gaze überzogen und von Fliegenschmutz und Staub geschwärzt, mochte manche tolle Lustbarkeit mit angesehen haben.

Eben war ich daran, meine Köfferchen auszupacken, als an die Thür geklopft wurde und auf mein Herein! eine vierschrötige Magd von mittlerem Alter mit runden roten Backen und einem Doppelkinn eintrat, ebenfalls sehr sauber gekleidet. Sie bewillkommte mich mit einem treuherzigen Grüß Gott! und goß aus ihrem Blecheimer frisches Wasser in den Krug und die Flasche auf meinem Waschtisch. Dies dicke gute Geschöpf verscheuchte sofort das unbehagliche Gefühl, das mich in dem stummen öden Hause überkommen hatte. Ich bat sie um eine leichtere Decke auf meinem Lager und eine zweite Kerze, sie fragte, ob ich hinunterkommen würde, etwas zu essen, und als ich das bejaht hatte, schlurfte sie mit einem gutmütigen Nicken hinaus, um sofort mit der gewünschten zweiten Kerze zurückzukehren.

Nun fing es schon an, mir in der Löwenhöhle behaglicher zu werden, zumal ich an dem alten Ofen in der Ecke ein Meisterstück ehemaliger Töpferkunst entdeckte und an den erhabenen Schildereien auf den grün glasierten Kacheln meine Freude hatte. Sie genauer zu studieren verschob ich auf den nächsten Tag. Mich verlangte nach Speise und Trank, und so löschte ich meine Kerzen und stieg die Treppe hinab nach dem Gastzimmer.

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Es war ein weiter, niedriger Raum mit einer vom Rauch vieler Pfeifen und Cigarren schwarzgebeizten Holzdecke, der Fensterwand gegenüber die Küche mit dem Anrichtbrett vor der breiten, mit kleinen Scheiben verwahrten Oeffnung, sorgfältig gescheuerte Tische und Holzstühle der ganzen Länge nach aufgestellt, in der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0022.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)