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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

er drunten in der Sennhütte angestiftet hatte, jetzt wußte er, daß es für diese Nacht vorbei war mit Schlaf und Ruhe.

Ob’s nicht am besten wäre, gleich alles dem Förster ehrlich zu beichten? Trotz dieser Einsicht zog Pepperl vor der Thüre die Schuhe herunter, um nur ja durch kein Geräusch den Förster aus seinem Schlaf zu wecken. Doch als er in das finstere Stübchen trat, hörte er dumpfes Stöhnen und abgerissene Worte, wie sie ein Kranker im Fieber redet. Erschrocken machte er Licht und leuchtete mit der Kerze über das Bett.

Kluibenschädl, welcher, halb entkleidet, mit der Lederhose auf der Matratze lag, hatte die wollene Kotze über die Kniee hinuntergestrampelt und arbeitete mit den Fäusten in der Luft herum. Sein Gesicht war dunkelrot, und röchelnd sprach er im Schlaf: „Raubersbuben! … Abfahren! … Laßts mir mein’ treuen Hund in Ruh’! … Abfahren, sag’ ich … oder es kracht. …“

Pepperl griff zu und rüttelte den von seiner Romanlektüre phantasierenden Förster, bis dieser sich nach der anderen Seite umkehrte, worauf er in ruhigen Schlaf verfiel. Der Jäger aber blies das Licht aus, legte die Joppe über einen Stuhl, streifte die Hosenträger von den Schultern nieder und kroch unter die Decke. Aber ihn floh der Schlummer; unruhig wälzte er sich auf dem Lager und kaute an einem Seegrasstengel, den er aus der Matratze gezogen hatte.

„Teufi, Teufi, Teufi! Morgen in der Fruh, bis ich heimkomm’ von der Birsch, da hat er mich schon verklampert!“ – Und der Fürst? Was der wohl sagen würde? – „Nobel, Pepperl, nobel! Fein hast dich aufg’führt!“ Er dachte sich diese Worte nicht, nein, er hörte sie, hörte so klar die ruhig ernste Stimme seines Herrn und sah so deutlich seine vorwurfsvollen Augen auf sich gerichtet, daß ihm vor Zerknirschung und heißer Reue der Schweiß aus den Schläfen brach. „Teufi, Teufi, Teufi! Was thu’ ich denn nur?“

Da fiel ihm der herrliche Vierzehnender ein, der in den Latschenfeldern über dem Sebensee seinen Standort hatte. Wenn es das Glück wollte, daß er den Fürsten auf diesen Staatshirsch zu Schuß bringen könnte – gleich bei der ersten Birsche! Solche Weidmannsfreude würde den Groll seines Herren gewiß besänftigen oder ihn doch in eine Stimmung bringen, in der sich Pepperl alle Reue über seine „rauschige Flegelei“ vom Herzen schwatzen und sich halbwegs verteidigen konnte.

Aber wie verteidigen? Daß ihm der Blick, mit dem der Kammerdiener die Sennerin gemustert hatte, wie Feuer ins Blut gefahren war – das konnte er doch dem Fürsten unmöglich sagen. Was hat sich denn ein Jäger um die Augen zu kümmern, die der fürstliche Herr Kammerdiener macht? Und dann – was ging den Praxmaler-Pepperl die Burgi an? Daß er von der was wollte … Gott behüt’! Das wär’ ja doch die reine Narretei! Wenn ein Jäger, der selber nicht viel mehr als seine Büchse hat, an so was denkt, muß er doch ein bißchen rechnen und schauen, daß er sich ein Bröserl einheiratet. Aber die Burgi! Ui jegerl! Wenn sich die nicht im Winter ein Paar Strümpfe strickte, konnte sie im Sommer barfuß laufen! Das Mädel eine blutarme Sennerin, der die Mutter längst schon gestorben, und der Vater ein alter Notnickel, der sich mit Tagelohn frettete und für fünfzig Kreuzer Monatszins in einem Stüberl hauste, in dem die Mäuse am Strohsack nagen mußten, weil’s was anderes nicht zu knuspern gab! Und was seine Mutter wohl sagen würde, wenn er eines Tages mit der Nachricht käme: „Du, Mutterl, ich denk’ mir, ich nimm die Burgi!“ Die alte Frau würde vor Schreck und Jammer die Hände über dem Kopf zusammenschlagen: „Ja Bub, ja Pepperl, ja bist denn narrisch, bist denn ganz verruckt? Hast selber nix zum Beißen … vierhundert Gulden liegen vom Vater her noch Schulden auf unserem Häusl … und da bringst mir so ein Weibsbild, das bloß ein’ einzigen Rock für Kirch’ und Arbeit hat!“

Gott bewahre! Für solch einen Narrenstreich war der Praxmaler-Pepperl viel zu gescheit! An die Burgi zu denken, das wär’ ihm auch im Traum nie eingefallen! Und überhaupt, wenn er an die Burgi hätte denken wollen – sie war ja doch auf der Tillfußer Alm schon Sennerin im zweiten Sommer – da hätte er doch nicht warten müssen bis heut’! Bis ihm der fürstliche Herr Kammerdiener die Nase auf das Butterlaibl stieß! Daß die Burgi ein mudelsauberes Mädel war, das brauchte sich Pepperl von keinem anderen sagen zu lassen, am allerwenigsten von so einem! Er hatte doch selber Augen im Kopf! Aber zum Heiraten gehört eben noch mehr als ein rotes Göscherl!

Wo also käme da die Eifersucht her? Zum Lachen! Eifersucht! Die Burgi und er, sie beide waren halt junge, lustige Leut’, und da sitzt man halt gern beisammen und kudert und lacht! Mehr will man nicht voneinander! Gott bewahre … auf Ehr’ und Seligkeit! Und das Lachen ist ja noch lang’ keine Sünd’! „’s Leben is eh’ nur lauter Plag … wenn man das bißl Lachen net hätt’, wär’ gar nix dran.“ Und aufs Lachen verstand sich die Burgi! Mit ihren Grübchen und ihren Blitzäugerln! „Wenn einer aufs Heiratsgut nicht anstehen müßt’ und könnt’ die Burgi nehmen wie sie geht und steht … Teufi, Teufi, Teufi! Der krieget ein lustig’s Leben! Der wär’ zum Neiden, ja!“

Er atmete schwer, und unter der wollenen Decke begann ihm immer schwüler zu werden. So viel wie in dieser nächtlichen Stunde hatte er schon lange nicht gedacht, und die ungewohnte Kopfarbeit machte ihm heiß.

Aber nach all dieser Gedankenmühe war er doch wenigstens zu der beruhigenden Ueberzeugung gekommen, daß er „von der Burgi nichts wollte,“ und daß es „helllichte Narretei“ war, wenn ihn seine Kameraden der Eifersucht ziehen. Was ihn in diese „rauschige Wut“ gegen den fürstlichen Herrn Kammerdiener versetzt hatte, das hatte mit der Burgi nichts zu schaffen – das war etwas ganz, ganz anderes! Der Praxmaler-Pepperl war eben mit einem „g’schamigen G’müt“ behaftet, und da hatte jener Blick des Lakaien auf ihn gewirkt, als hätte man ihm eine Handvoll Schmutz ins Gesicht geworfen! Das wäre auch so gewesen, wenn es sich um ein Nannerl oder um eine Stasi gehandelt hätte! Wenn Menschen so in der Einsamkeit auf einem Flecklein Erde nebeneinander hausen, da müssen sie füreinander einstehen in Not und Gefahr, jedes ist verantwortlich für das Wohl und Wehe des anderen! Nun hatte der Praxmaler-Pepperl allerdings eine recht armselige Kenntnis von den Tiefen und Untiefen eines weiblichen Herzens, aber es war ihm doch die billige Redensart geläufig: „Junge Madln, o du mein Gott, die sind ja so viel dumm!“ Und da sitzt nun solch ein junges, lebensfrohes, bildsauberes dummes Ding in der einsamen, unbewachten Sennhütte, ist an nichts anderes gewöhnt als an den gefahrlosen Verkehr mit „so unfirmigen Lümmeln“, wie der Praxmaler-Pepperl einer war – und da kommt nun so ganz ein anderer, so ein Pikfeiner aus der Stadt, mit silbernen Schnallen auf den Schuhen, mit seidenen Strümpfen und mit süßen Redensarten wie „Main scheenes Gindd!“ – Ja du lieber Herrgott, da ist ja ein Unglück geschehen, ehe man sich umschaut!

Und da sollte Pepperl nicht das Recht und die Pflicht haben, das zu verhindern? Das war er schon dem armen alten Vater schuldig! Wohl hatte der alte Brentlinger eine bedenkliche Vorliebe für den Doppeltgebrannten, aber er trug doch auch ein richtiges Vaterherz in seiner Brust! Und was wird er sagen, wenn er es einmal erfahren muß … das ganze schreckliche Unglück der Burgi! Er meinte ihn schelten und schluchzen zu hören – dem Pepperl kamen selber die Thränen in die Augen – so rührte ihn der Kummer des alten, braven Mannes. „Himmelkreuzteufi noch einmal!“ Er streckte drohend seine Arme in die Finsternis. „Zerreißen und schlitzen thu ich den Kerl in der Luft, wann er das Madl net in Ruh laßt!“ Schwer atmend schob er die wollene Kotze von seiner Brust. „Herrgott, hat’s da eine Hitz’ herinn! Na! Da steh’ ich schon lieber auf … schlafen kann ich eh’ nimmer heut!“

Achtsam, um den schnarchenden Bettkameraden nicht zu wecken, erhob er sich, strich ein Zündholz an und sah nach der Uhr. Ein paar Minuten fehlten noch bis Drei. „No also, es is ja eh schon Birschzeit!“ Sinnend, als sollte ihm ein besonders guter Einfall kommen, stand er in der finsteren Stube und starrte das Zündholz an, das sich im Erlöschen krümmte wie ein feuriger Wurm; dann packte er mit der einen Hand seine Joppe und die Schuhe zusammen, mit der anderen den Hut, die Büchse und den Rucksack und schlich auf den Fußspitzen hinaus.

Lautlos zog er hinter sich die Thüre zu und machte sich unter freiem Himmel in aller Hast zum Birschgang fertig.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0043.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)