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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


Fräulein Johanne.
Novelle von Paul Heyse.
(Schluß.)


Seit jenem Tage, fuhr die Wirtin fort, hat niemand mehr das Mädchen lachen hören.

Im übrigen fand sie sich langsam wieder zurecht, zumal es bei ihr im Hause so viel zu thun gab, daß sie keine Zeit zum Spintisieren und Kopfhängen hatte.

Die Mutter erholte sich nicht wieder. Sie siechte noch Jahr und Tag so hin, dann losch sie aus wie eine Pfennigkerze. Ich brauche nicht zu sagen, daß ich dem armen Frauenzimmer nach Möglichkeit beistand, und – es mag Ihnen schlecht und unchristlich scheinen – eigentlich konnte ich nicht bedauern, daß alles so gekommen war. Nun war das Mädchen ja wieder frei, und wenn erst Gras über der traurigen Geschichte gewachsen wäre, würde sie, dacht’ ich, doch wohl einsehen, daß es ihr Unglück gewesen wäre, aus purem Mitleid den Mann zu nehmen, der nicht für sie paßte. Ich war eben Mutter, lieber Herr, und das Glück meines Sohnes ging mir über alles.

Ich hatte aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Denn freilich, nach dem Tode ihrer Mutter sah meine Pate ein, daß es das beste für sie wäre, mein altes Anerbieten anzunehmen und zu mir zu ziehen. Ich konnte sie nur allzu gut brauchen, da ich schon damals zuweilen von meinem Gebresten befallen wurde und dann keine treue Seele hatte, mich in der Wirtschaft zu ersetzen, die damals noch sehr gut ging, ehe unser Städtchen mehr und mehr heruntergekommen war. Mein Mann und der Franz hatten mit der Brauerei und der Oekonomie genug zu thun, Küche und Wäsche und die Bedienung der Gäste hatte ich zu besorgen. Ich war daher sehr froh, als die Johanne ihr mütterliches Gut verkaufte – sie war ohnedies auf dem Dorf gemieden, als ob sie selbst die beiden Schüsse abgefeuert hätte – und in gesunden und kranken Tagen mir zur Seite stand. Eine lustige Wirtin war sie freilich nicht, die mit den Gästen sich auf einen scherzhaften Diskurs einläßt und junge Leute ins Haus zieht. Da aber alle ihre Geschichte kannten und sie überdies so gut anzusehen war, nahm man ihr das stille Wesen nicht übel.

Am wenigsten mein Sohn Franz. Der war wie närrisch in sie verliebt, und da er’s endlich nicht mehr aushalten konnte, drang er in mich, bei ihr auf den Busch zu klopfen, was er zu hoffen hätte.

Was glauben Sie, daß sie uns zur Antwort gab? Der Franz sei ihr lieb und wert wie ein Bruder, und wenn eins nicht wäre, würde er ihr vielleicht auch noch mehr werden können. Nun aber sei’s eben unmöglich; die Frau Pate wisse ja selbst, daß sie schon einen Bräutigam habe, und wenn es auch noch Jahre bis zur Hochzeit dauern würde, ihr gegebenes Wort werde sie nicht brechen.

Ich starrte sie an, wie wenn sie mich zum besten haben wollte.

Redst du im Ernst, Kind? sagt’ ich. Auf den willst du warten, den unseligen Menschen, der Blut an seinen Händen hat? Einem Zuchthäusler willst du die Treue halten?

Er ist es um mich geworden, sagte sie ganz ruhig. Ich habe ihn zu der That getrieben, da ich ihm untreu werden wollte. Nun ist es meine Pflicht, ihm alles, was er jetzt leidet, zu vergüten. Sie wissen ja auch, Frau Pate, sagte sie, daß seine gute Mutter gestorben ist, auch aus Herzweh um ihren einzigen Sohn. Ihr Mann hat wieder geheiratet, eine liederliche Person, die ihm hilft, sein Gut durchzubringen und alles zu verwahrlosen. Es heißt, sie werden nächstens auf die Gant kommen. Wenn der Firmian seine Strafzeit abgesessen hat, ist er ein Bettler. Alle Leute werden ihm ausweichen, ein rechter Arbeiter ist er nie gewesen, und die lange Gefangenschaft wird ihn vollends träge gemacht haben. Wer soll ihm da wieder zu einem ordentlichen Leben helfen, wenn ich nicht zu ihm stehe? Uebrigens habe ich erfahren, daß er sich im Gefängnis sehr gut aufführt. Kommt er wieder frei, so darf man ihm nicht mehr vorwerfen, was er in der Verblendung seiner Leidenschaft verbrochen hat. Und er selbst ist auch damit einverstanden. Ich habe ihn wissen lassen, wozu ich entschlossen bin; das hält ihn jetzt aufrecht, alle Leiden und Entbehrungen zu ertragen.

Ich war zu Tod erschrocken über diese Erklärung. Aber wie ich das Mädchen kannte, sah ich ein, daß es vergebene Mühe sein würde, ihr den wahnsinnigen Gedanken auszureden. Es kam ja auch das von ihrem Mitleiden her, das schon früher sie so halsstarrig an thörichten Entschlüssen festhalten ließ.

Und dann – was konnte nicht im Laufe der nächsten Jahre noch alles geschehen! Wenn der Sträfling an der schlechten Kost oder der harten Arbeit zu Grunde ginge –

Kurz, ich berichtete meinem armen Jungen nur, daß er sich gedulden müsse. Vorläufig sei nichts zu machen. Er war aber ein Hitzkopf, der von Geduld nichts hören wollte. Täglich mit ihr zusammen zu sein, ohne nur ein gutes Wort oder einen freundlichen Blick von ihr zu erhalten, das brachte er nicht übers Herz.

Und so ging er in die Fremde, und bald darauf starb mein Mann, und ich arme Witwe wäre auch nicht am Leben geblieben, hätte ich die Johanne nicht gehabt. Aber wie die mich pflegt – nun, Sie haben’s ja gesehen! So gram ich ihr darum war, daß sie durch ihren Eigensinn den Franz aus dem Hause getrieben hat, ich hab’ sie doch von Tag zu Tag mehr ins Herz geschlossen. Sie hat ihr Zimmer oben neben dem meinigen. Wie oft, wenn meine Schmerzen mich nicht schlafen lassen, steht sie mitten in der Nacht auf, mir Tropfen zu reichen oder auch nur neben meinem Bette zu sitzen, daß ich doch nicht so ganz verloren und verlassen vor mich hin stöhnen müsse. Und das soll nun auch bald vorbei sein! Wenn ich’s denke, ist mir’s, als ob ich meinen guten Mann und den Franz noch einmal verlieren sollte, und ich meine, diesmal könnt’ ich’s nicht überleben!

*      *      *

Das gute alte Gesicht sah so kläglich unter dem schwarzen Tuch hervor, daß ich mit der armen Frau das herzlichste Mitleid fühlte.

Seien Sie doch nicht so verzweifelt, liebe Frau, sagt’ ich. Es wird ja noch alles gut werden, wenn Ihr Sohn wieder bei Ihnen ist. Denn der kommt doch gewiß wieder zurück, wenn er Fräulein Johanne hier nicht mehr begegnen muß. Wie ist es denn aber zugegangen, daß jetzt schon von „Veränderung“ die Rede ist? Der arme Teufel, der Firmian, hat doch seine fünfzehn Jahre noch lange nicht abgesessen?

Die Frau wischte sich die Augen und sah zu mir auf.

Das ist’s ja eben, worüber ich mich abhärme, sagte sie. Hätte sie nur ruhig die Zeit abgewartet, wär’ alles vielleicht noch gut geworden. Aber denken Sie nur: vor etwa zwei Monaten kommt sie zu mir und bittet mich, sie nach München reisen zu lassen, nicht für lange, höchstens auf acht Tage. Sie müsse hin. Was sie da vorhatte, wollte sie mir nicht sagen. Was sollte ich thun? Ich konnte mir nicht von ferne so etwas denken, wie sie’s wirklich im Sinne hatte. Stellen Sie sich vor: sie hatte ein Gnadengesuch an den König aufgesetzt – damals lebte unser armer Herr noch auf dem Linderhof – und darin hatte sie gebeten, dem Firmian die letzten drei Jahre von seiner Strafzeit zu schenken, und hatte mit so schönen, kräftigen Worten alles erzählt und daß sie selber die Hauptschuld trage, von wegen ihrer Untreue, und was er dann gethan, in der blindwütigen Verwirrung seiner Sinne, das habe er jetzt zwölf lange Jahre bereut und sich so tadellos gehalten, daß ihm der Gefängnisdirektor und alle Wärter das beste Zeugnis gegeben hätten, – kurz, kein Advokat hätte die Schrift besser und eindringlicher abfassen können.

Nun überlegte sie, wenn sie selbst damit an den König ginge, würde dessen gutes Herz mehr gerührt werden als beim bloßen Lesen. Also mußte sie nach München. Da erfuhr sie freilich, zu Seiner Majestät höchstselbst könne sie nicht kommen, ruhte aber nicht, bis sie wenigstens Audienz beim Justizminister erlangte. Na und wie Sie sie nun kennen, mit ihrer stillen, großartigen Manier,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0060.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)