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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

matt erkennbar ist, schlängelte sich über den Sternenhimmel hin wie ein lichter Silberstrom, unterbrochen von schwarzen Inseln. Zuweilen ging ein sanftes Hauchen durch die finsteren Bäume – es währte nur kurz und schwieg dann wieder – als hätte die Natur im Schlummer wohlig aufgeatmet. Und wenn es kam, dieses kurze linde Hauchen, trug es von den Almen den Wohlgeruch der Brunellen ins Thal herunter, einen süßen Duft, der an köstliches Gewürz erinnerte. Wie schön war diese Nacht! Eine von jenen wundersamen Sommernächten, deren Schönheit dem lauschenden Wanderer in die Seele raunt: ich will dich vorbereiten auf den kommenden Tag, dessen Sonnenzauber und lichte Wunder du schon ahnen sollst, wenn noch der Sammetmantel meiner Schatten dich umschmiegt.

Immer wieder verhielt Ettingen die Schritte, stand regungslos auf den Bergstock gestützt und lauschte hinein in das nächtliche Schweigen des Waldes.

„Wie schön! Und diese Ruhe!“ Als er leis diese Worte vor sich hin murmelte, zuckte es über die langen Bergwände der Munde wie ein falbes Leuchten. Das währte nur einen Augenblick, doch alle Farben des Waldes, der Felsen und Almen erwachten in dieser Sekunde, um mit der nächsten wieder in Schlaf und Finsternis zu versinken.

„Was war das? Der Himmel ist klar …“

„Weit draußen im Flachland muß ein Wetter stehn. Da draußen hat’s ’blitznet … das war der Widerschein.“

Ettingen lauschte, als müßte er den fernen Donner hören. Doch in den sternfunkelnden Lüften blieb’s still und ruhig.

Er lächelte. „Sturm und Wetter da draußen … und hier die Ruhe! Das Schweigen im Walde!“

Sie schritten weiter.

Zwei Stunden waren sie fast gewandert, und über den östlichen Bergen begann sich schon der Himmel zu lichten, als ihnen durch den Wald, in welchem der Weg immer steiler wurde, leichte Nebelschleier langsam entgegenschwebten.

„Das Wetter von da draußen schickt seine Vorreiter in die Berge herein,“ sagte Ettingen, „der Tag wird trübe werden.“

„Gott bewahr’, Duhrlaucht … ein’ schönern Tag haben S’ noch nie net g’sehen! Der Nebel da, das is ja bloß der Seedampf. Wissen S’, zwischen die gachen Felsen droben, da liegt viel Firnschnee umeinand’, da bleibt auch im heißen Sommer d’ Nacht schön frisch … und in der Fruh, da fangt der Sebensee allweil zum rauchen an. Das muß so sein, das is ’s beste Wetterzeichen.“

Es währte nicht lang’, und sie waren völlig eingehüllt von den ziehenden Dämpfen. Man konnte auf zwanzig Schritte kaum noch einen Baum unterscheiden. Daß in den Lüften der Tag erwachte, sah man nur an dem Grau des Nebels, das immer lichter und lichter wurde.

„Wie lange haben wir noch zu steigen?“ fragte Ettingen.

„Ein Viertelstünderl noch … da is schon der See.“

Aber vom See war keine Spur zu gewahren. Nur ein paar grobe Felsblöcke des Ufers hoben sich in dem weißlichen Rauch mit verschwommenem Dunkel ab, man hörte das leise Geplätscher, mit dem das Wasser die Steine umspülte, und tief aus dem Ehrwalder Thal herauf summte das Brausen des Wasserfalles, der den Abstrom des Sees hinunterwarf über turmhohe Wände.

Der Pfad stieg immer mehr und verlor sich in ein steiles Latschenfeld. „Jetzt müssen wir schon die Füß’ ein bißl in acht nehmen. Weit haben wir nimmer zum Hirschen.“

Lautlos kletterten die beiden Jäger zwischen den Latschen hinauf. Je höher sie kamen, desto häufiger schüttelte Pepperl in Unruh den Kopf: der Nebel wollte nicht weichen.

Sie hatten im steilen Latschenfeld einen Rasenbuckel erreicht, als Pepperl seufzend im Klettern innehielt. „Jetzt können wir nimmer weiter! Der Hirsch muß wo umeinanderstehn auf den schönsten Schuß. Was machen wir jetzt? Wenn nur der Teufel gleich den ganzen Nebel kreuzweis reiten möcht’!“

Als wäre der fromme Wunsch des Jägers an die richtige Adresse geraten, so fuhr im gleichen Augenblick ein scharfer Windstoß über das Latschenfeld herunter und riß die wallenden Schleier entzwei.

„Mar’ und Josef!“ stotterte Pepperl. „Duhrlaucht … der Hirsch!“

Kaum hundert Schritte von den Jägern entfernt, kam der Hirsch gemächlich durch die Latschen gezogen und gabelte mit dem mächtigen Geweih wie spielend in die Büsche. Doch ehe Praxmaler die Büchse spannen und dem Fürsten reichen konnte, war der Nebel schon wieder zusammengeflossen, alles grau verhüllend.

Pepperl zitterte vor Aufregung an allen Gliedern und flüsterte: „Teufi, Teufi, Teufi, jetzt is g’fehlt! Jetzt hat er uns aber gleich im Wind … und nachher b’hüt’ dich Gott, Hirscherl!“

Aber da hörten sie in nächster Nähe das Brechen von Zweigen und den Schritt des Wildes. Wie ein großer, grauer Schemen tauchte dicht vor ihnen der Hirsch im Nebel auf – nun verhoffte er und wandte sich zur Flucht – aber da krachte auch schon der Schuß. Im Nebel war der Hall der Büchse dumpf und kurz, man hörte kein Echo, nur ein mattes Gepolter im Geröll, über welches der Hirsch gegen das Seethal hinunter flüchtete. Dann Stille.

Dem Praxmaler-Pepperl klopfte das Herz, daß man es hören konnte wie dumpfen Hammerschlag. Und die Hände um die Ohren höhlend, lauschte er thalwärts, als müßte er den Sturz des Wildes hören.

Scharf blies der Wind von den Felsen nieder. Der Nebel kräuselte sich um die Büsche und flatterte, er wurde lichter und lichter, und in der Höhe begann es schon zu schimmern wie mattes Blau und wie ein Rätsel des Sonnenglanzes. Da rissen die Schleier entzwei – wie sich ein Vorhang teilt, der ein heiliges Wunder verhüllte – leuchtende Matten sah man, ein steiles Latschenfeld in blauem Schatten, hier eine graue Wand und dort eine Reihe scharf geschnittener Spitzen, rosig angeflogen vom Schein der Morgensonne. Nur wenige Minuten, und die Höhe, auf der die Jäger ruhten, war völlig nebelfrei. In schweigender Größe dehnte sich rings um sie her die Felsenwildnis, in mächtigem Halbkreis umzogen von starrendem Gewänd – ihnen zu Füßen lag der Nebel ausgegossen, flach und weiß wie Milch, und drüben stiegen aus dem Meer dieser silbernen Dünste die Steinkolosse der Wetterschrofen auf, über deren wild zerrissenen Grat die goldleuchtenden Schneeferner der Zugspitze herüberblinkten. Schon sah man die Ehrwalder Alm, auf der sich mit dem fernen Gebrüll der Rinder die jauchzende Stimme eines Hirtenbuben mischte – schon stachen die Wipfel des Sebenwaldes schlank und spitz aus dem Nebel heraus – noch eine kurze Weile, und aus den in Luft und Sonne zerfließenden Dünsten leuchtete ein stilles grünes Wasserauge aus der Tiefe herauf: der Sebensee, ein kreisrundes Felsenbecken, erfüllt mit einer Flut von krystallener Klarheit. Steinfelder und flache Almgehänge umsäumten auf der einen Seite den See, und auf der anderen wurde sein Ufer gebildet durch mächtige Felsklötze, durch schroffe Wände und steile Latschenbeete, zwischen deren vereinzelten Zirbenbäumen und Fichten das Schindeldach einer kleinen Hütte leuchtete.

„Solch einen Morgen zu sehen … ist das nicht schöner als alle Jagd?“

Zum Glück für den weidmännischen Respekt, den ein Jäger vor seinem Jagdherrn haben soll, überhörte Pepperl diese stille, lächelnde Weisheit. Denn ehe der Fürst noch ausgesprochen hatte, war Praxmaler aufgesprungen, als hätte er plötzlich bemerkt, daß er auf glühenden Kohlen säße.

„Mar’ und Josef! Duhrlaucht! Der Hirsch! Da drunten liegt der Hirsch!!“ Die Freude schien Pepperl in einen Wahnsinnigen verwandelt zu haben. „Jesses Maria! Da liegt der Hirsch! Da liegt er ja! Da liegt er! Da liegt er!“ Ein Juchzer, daß alle Wände widerhallten von diesem jubelnden Schrei – und in der einen Hand den Bergstock, in der anderen die Büchse schwingend, sprang Pepperl über Büsche und Geröll hinunter, daß es anzusehen war, als müßte er sich bei jedem Sprung überstürzen, um Hals und Beine zu brechen. Jetzt verschwand er in den Latschen, doch ein heller Juchzer kündete, daß er mit gesunden Gliedern den Hirsch erreicht hatte.

Nun stieg auch Ettingen hinunter, und als er die Mulde betrat, in welcher der Hirsch, mit der Kugel im Herzen, verendet niedergebrochen war, kam ihm Pepperl schon entgegen, mit einem Sträußlein blühender Almrosen in der zitternden Hand. Die Augen des Jägers blitzten vor Freude, seine Wangen glühten vor Erregung. „Gratalier’, Herr Fürst! Gratalier’ zum ersten Hirsch bei uns daheraußen! Da kommen S’ her! Da, schauen S’ ihn an! Was das für ein Hirsch is! Ein G’weih hat

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0070.jpg&oldid=- (Version vom 15.4.2023)