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er droben …. Teufi, Teufi, Teufi, is das ein G’weih! Und den Schuß, den er hat! Im Nebel ein’ so ein’ Schuß machen … wie ’nauf’zirkelt aufs Blatt! Gelten S’, Duhrlaucht … gelten S’, der freut Ihnen? Gelten S’ ja? – Und schauen S’, Duhrlaucht … weil S’ jetzt g’rad’ die schönste Freud haben … jetzt muß ich aber auch gleich was ’raussagen! Gestern auf d’ Nacht, Duhrlaucht … meiner Seel’, es is wahr: da hab’ ich mich schon schauderhaft aufg’führt! Ein’ Rausch hab’ ich g’habt, daß ich mich selber schenier’! Und … und im Rausch … no ja, da bin ich halt mit ’m Herrn Kammerdiener z’samm’g’wachsen und hab’ ihm schieche Sachen ins G’sicht ’neing’sagt … schieche Sachen, ja, Duhrlaucht, schieche Sachen!“ Er schnaufte, wie ein von schwerer Bürde Erlöster. „Jetzt is ’s heraußen! Gott sei Dank!“ In Zerknirschung blickte er an seinem Herrn hinauf. „Ich bitt’ schön, Duhrlaucht … thun S’ mir halt gnädig verzeihen! G’schehen soll’s nimmer … da leg’ ich mein’ Hand dafür ins Feuer! Thun S’ nur halt verzeihen! Gelten S’, ja?“

Lächelnd hatte Ettingen die so stürmische und bei all ihrem Ernst so drollig wirkende Beichte angehört. Nun klopfte er den Jäger freundlich auf die Schulter und sagte: „Ja, Pepperl, die Sünde soll vergeben und vergessen sein! Aber seien Sie klug und nehmen Sie ein andermal Ihren Durst in festere Zügel! Ja? Und nun sagen Sie mir … hat Ihnen Martin Ursache gegeben, daß Sie grob gegen ihn wurden?“

Eine dunkle Blutwelle schoß dem Jäger ins Gesicht, aber er sagte entschieden: „Na na, Duhrlaucht, g’wiß net! Der ang’fangt hat, der bin schon ich g’wesen!“ Ein Glück, daß sich Ettingen zu dem erlegten Hirsch wandte, um das Geweih zu betrachten – denn länger hätte Pepperl den forschenden Blick seines Herrn wohl kaum ertragen, ohne in ernstliche Verlegenheit zu geraten. Nun aber, da ihm Ettingen den Rücken kehrte, atmete er erleichtert auf, kreuzte die Fäuste über der Brust und that einen dankbaren Blick zum Himmel wie einer, der sagen will: „Gott sei Dank, jetzt bin ich wieder g’sund!“ Dann warf er die Joppe ab und zog das Jagdmesser, um an dem erlegten Hirsch das weidmännische Handwerk zu üben.

„Das seh’ ich nicht gerne,“ sagte Ettingen „bei dieser Arbeit laß ich Sie lieber allein. Ich steige zum See hinunter und warte dort, bis Sie nachkommen.“

Die Büchse zurücklassend, folgte er einem Almensteig, der in Windungen durch das Latschenfeld zum Seeufer hinunterführte.

Als er zu den lichter stehenden Bäumen kam, vernahm er den süßen Schlag einer Ringdrossel. Er lächelte. Der zärtliche Vogelschlag erweckte in ihm die Erinnerung an jenen ersten Abend – an jene seltsame Begegnung im schweigenden Walde.

In Gedanken versunken folgte er dem Pfad und blickte erst wieder auf, als er den See erreichte. Still und schimmernd lag die grüne Flut zu seinen Füßen, durchsichtig wie Glas … die glatte Oberfläche war durchzogen von langen Silberstrichen und spiegelte mit reinen Linien und grün behauchten Farben alle Felsblöcke des Ufers, die Bäume und einen sonnbeglänzten Berg. Durch eine tiefgeschnittene Bergscharte blickte schon die Sonne herein ins Seethal und durchleuchtete am Ufer einen breiten Streif des Wassers. Große Forellen, die dem Licht und der Wärme nachgezogen waren, sonnten sich hier am Ufer und standen so dicht am Spiegel, daß ihre sacht spielenden Rückenflossen halb aus dem Wasser ragten.

Ettingen blickte auf; er hatte bei diesem Schauen und Schlendern am Ufer den Pfad verloren und konnte nicht mehr weiter. Ein hoher, überhängender Felsen stieg vor ihm aus dem Wasser auf und versperrte den Weg. Aber die Nische, die der mächtige Steinblock bildete, bot ein liebliches Plätzchen zum Rasten – und das mußte auch schon ein anderer gefunden haben, denn unter dem Fels war eine Bank aus Steinen zusammengetragen und mit Fichtenzweigen und Moos belegt.

Er ließ sich nieder, und während er träumend in die stille grüne Flut blickte, spann er heiteren Sinns die Gedanken weiter, die ihn begleitet hatten, seit er den Schlag der Drossel vernommen.

Und seltsam! Wie eine Erinnerung sich nur so lebhaft vor den Augen gestalten kann? Er glaubte wirklich zu sehen, was er dachte – als wär’ es aus seiner Seele herausgetreten in die Luft, vor seinen Füßen versunken im See! Ganz deutlich sah er es, wie zum Greifen wahr – das schöne „Schweigen im Walde!“ Zwischen dem Spiegelbild der Alpenrosen, die über den Saum des Felsens niederhingen, sah es aus dem Spiegel der Flut zu ihm herauf wie ein stilles ernstes Nixengesichtchen mit großen klugen Augen! Die lockig aufgelösten Haare, die das Gesicht umschwankten, schienen in der grünen Flut zu schwimmen und aus der Tiefe heraufzustreben. Da kam eine Hand und strich die Locken zurück – im gleichen Augenblick verschwand das Gesicht, und jählings erweckt aus seiner träumenden Märchenstimmung, fuhr Ettingen betroffen auf. Nicht seine eigenen Gedanken hatte er gesehen, sondern ein Spiegelbild der Wirklichkeit – und als er hinaufspähte zum Rand des Felsens, hörte er das Rieseln kleiner Steine und einen leichten Schritt, der sich entfernte. Dann war wieder Stille. Von den überhängenden Büschen flatterten ein paar Almrosenkelche wie rote Käferchen durch die Luft und fielen in die Flut.

„Das schöne Wunder geht um … auf jedem meiner Wege!“ murmelte Ettingen vor sich hin und wanderte am Ufer zurück, um den verlorenen Weg zu suchen.

Endlich fand er ihn. Er zog sich steil durch die Latschen hinauf, wo er zur Höhe des überhängenden Felsens führte. Aber da versperrte ihm eine lebendige Barriere den Weg – ein Esel, der von den dürren Aesten einer altersmüden Fichte die zarten Fäden der Bartflechte herunterschmauste.

„So? Bist du auch da? Guten Morgen!“ Ettingen streckte die Hand, um das Grautier zu locken. Aber der Esel machte scheue Augen, schüttelte trutzig die langen Ohren, schlug mit den Hinterfüßen aus und sauste durch die Latschen gegen den See hinunter.

Lachend sah ihm Ettingen nach. „Höre, du! Wenn deine märchenhafte Herrin nicht freundlicher ist …“

Ueber den Zweigen einer Erlenstaude sah er ein dunkelblaues, noch feuchtes Schwimmkleid und einen weißen Bademantel zum Trocknen ausgebreitet.

Besonders empfindlich und sehr verzärtelt war sie also gewiß nicht, diese schweigsame Waldfee! An solch einem frischen Bergmorgen in 1600 Metern Höhe ein Seebad mit zehn Grad Reaumur … das war ein etwas gruseliges Vergnügen, gegen das sich unter Umständen auch eine ganz gesunde Männerhaut energisch wehren konnte! Und nun gar solch ein knospenhaftes, zierlich schlankes Ding, das die Zwanzig noch kaum überschritten hatte. Schon überschritten? Nein! Aus diesen großen, ruhigen Augen blickte wohl ein klarer Lebensverstand, wie ihn frühe Jugend nicht besitzt – doch diese schmalen Wangen hatten etwas kindlich Unentwickeltes, auf diesen schönen strengen Lippen lag’s wie ein Hauch der unberührten Reinheit, aus ihnen redete eine stille heitere Mädchenseele, die gewiß nur Sonne erlebt hatte, keinen Sturm und Schmerz!

Wer sie wohl sein mochte? Und was suchte und trieb sie hier? Daß sie die Natur liebte, sich selbst genug war und sich wohl fühlte in der Einsamkeit – das war ein gutes Zeugnis für ihre Herzens- und Geistesbildung. Denn wer die Welt nicht nötig hat, ist immer reicher als die Welt – und die Einsamkeit verträgt nur jener, der sich selbst in jeder Stunde etwas zu sagen hat.

Wer sie war? Vielleicht die Tochter stadtmüder Leute, die dort unten im Ehrwalder Thal ihre Sommerfrische genossen? Nein! Wenn sie noch Eltern hätte – die würden ihrem Kinde solche Freizügigkeit nicht gestatten, auch nicht einem Kinde, das neben eigenen Gedanken auch Mut und eigenen Willen hat – denn Mut gehörte dazu, wenigstens für ein Mädchen, so einsam in menschenferner Felsenwildnis zu hausen. Aber wo hauste sie?

Aus dem dichten Latschenfeld war Ettingen auf ein freies, nur von wenigen alten Wetterfichten durchsetztes Plateau getreten, das einen weiten, herrlichen Ausblick bot über den See und gegen das Gaisthal hinaus, über den Sebenforst und das Ehrwalder Thal. Inmitten des Platzes erhob sich ein kleines Blockhaus, aus dessen eisernem Kaminrohr sich dünne, milchblaue Rauchwölklein emporkräuselten in die sonnige Morgenluft. Ueberall an den Balken der Hütte schlangen sich dichte Epheuranken bis unter das vorspringende Dach, bildeten über der halb offenen Thür eine kleine Laube und ließen von den Holzwänden nicht viel mehr gewahren als die beiden kleinen, mit grünen Läden versehenen Fenster, hinter deren blanken Scheiben rote Vorhänge schimmerten. Neben der Thüre zog sich an der Wand eine Holzbank hin, auf welcher eine Messingpfanne zwischen hölzernen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0071.jpg&oldid=- (Version vom 19.1.2024)