Seite:Die Gartenlaube (1899) 0114.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


Die Weinprobe. 
(Zu dem Bilde S. 112 und 113.) 

Was für ein Bild, wenn tücht’ge Männer,
Wie es so viele giebt am Rhein,
Beisammen sind, damit als Kenner
Sie prüfen einen edlen Wein!

5
Ratsherrn und der Verwaltung Spitzen,

Die Richter selbst im Reichsgericht,
Wenn prüfend sie beisammen sitzen,
So ernst und würdig sind sie nicht!

O große, weihevolle Stunde,

10
Wenn in krystallne Becher träuft,

Was in des tiefen Kellers Grunde
Im Lauf der Jahre still gereift! –
Wenn dann das Glas wird hochgehalten,
Daß schön darin erglänzt das Gold,

15
Und jeder von den weisen Alten

Sein kenntnisreiches Urteil zollt!

Sich solche Kenntnis zu erringen,
Ist nicht so leicht auf dieser Welt;
Darin zu etwas es zu bringen,

20
Genügen längst nicht Durst und Geld.

Daß man, nur nippend an dem Glase,
Jahrgang und Wert sogleich erkennt,
Bedarf es einer Zung’ und Nase,
Die jeder nicht sein eigen nennt.

25
Drum solltest du einmal geraten

Als Laie in solch einen Kreis,
Zeig’ dich als klugen Diplomaten,
Der nie verrät, daß er nichts weiß.
Willst du geziemend dich betragen,

30
Geb’ ich dir im Vertraun den Wink:

Nimm dich in acht, etwas zu sagen,
Spitz’ deine Ohren, schweig und – trink!

  J. Trojan.




„Ritter Ewald.“
Novelle von Eva Treu.

Es ist nun schon undenkbar lange her – ich war damals noch ganz klein, gerade groß genug, um meine blauen Augen und mein krauses schwarzes Haar ein winziges Endchen über den Tischrand empor zu recken, da hatten wir einmal ein Dienstmädchen, das hieß Engel.

Ich bitte sehr um Entschuldigung. Ich bin wohlerzogen genug, um zu wissen, daß es im allgemeinen nicht für guten Ton gehalten wird, von seinen Dienstboten zu sprechen. Es läßt sich aber wirklich diesmal nicht ganz umgehen, und dann war Engel ja eigentlich auch nicht mein Dienstbote; mein Vater hätte keinem von seinem halben Dutzend Sprößlingen raten mögen, der Magd etwas zu befehlen. Und endlich will ich mich über Engel keineswegs beklagen oder gar ihre Lebens- und Liebesgeschichte preisgeben, sondern ich will nur ganz wenig über sie schreiben.

Also – wir hatten einmal ein Dienstmädchen, das hieß Engel. Es trug diesen etwas verwunderlichen Namen nicht etwa wegen seiner hervorragenden Schönheit oder anderer himmlischer Eigenschaften, sondern war ganz ehrlich so getauft. Schön – nein, schön war Engel, so weit ich mich entsinnen kann, nicht, auch stand sie durchaus nicht mehr in der ersten Jugendblüte; wenn ich es mir jetzt nachträglich überlege, so muß sie „um die vierzig herum“ gezählt haben – aber wir Kinder hatten sie gern. Nicht, weil sie gut schrubbte und scheuerte, obschon sie dies mit allem nötigen Pflichteifer brav und wacker that, sondern weil sie nie schalt, wenn wir mit unseren schmutzigen Schuhen den eben sauber „gefeuelten“ Flur verunreinigten, weil sie uns manchen Riß im Kleide und manchen Fleck auf der frischen Schürze heimlich bei ihrer kleinen Küchenlampe sorgsam ausbesserte, ehe es uns einen Tadel von unserer vielgeplagten Mutter eintrug. Und dann konnte Engel auch singen.

Bei uns wurde überhaupt viel gesungen, und wenn am späten Winternachmittage, während nur das Ofenfeuer seinen roten, flackernden Schein über den Fußboden und Teppich warf und sonst alles dunkel war, mein Vater sich an das alte, tafelförmige Klavier setzte und mit seiner schönen, herzbewegenden Stimme sang, meine Mutter wohl auch dann und wann einfiel, da kauerten wir still und andächtig in Winkeln oder um das Feuer her und lauschten wie auf Himmelstöne. Aber wir hörten auch Engel gern zu, wenn sie in der Küche beim Abtrocknen der Schüsseln, oder am Waschfaß, während sie die mageren Arme tief in das schaumige Seifenwasser tauchte, vor sich hin sang. Denn Engel wußte so merkwürdige Lieder, wie wir sie sonst nicht zu hören bekamen, und die sie, selbst oft bis zu Thränen gerührt, unzähligemal wiederholte.

Es waren meistens Lieder vom Scheiden und Meiden, woraus ich schließe, daß Engels jungfräuliches Herz trübe Erfahrungen gemacht hatte. Am liebsten aber sang Engel in weihevollen Stunden die betrübsame Ballade vom Ritter Ewald und der Minna. Die war sehr schön und zum Herzbrechen traurig. Sie fing so an:

„In des Gartens dunkler Laube
Saß am Abend, Hand in Hand,
Ritter Ewald neben Minna,
An die Teure festgebannt.“

Dann kam etwas sehr Rührendes von Trennung und darauf eine erschütternde Strophe von einem „bleichen Leichenstein“, den man im Mondenscheine erblickte, und auf dem „in Marmor“ geschrieben stand: „Minna bleibt auf ewig dein!“ Schließlich ging Ritter Ewald in ein Kloster, und „eh’ die Rosen wieder blühten, gruben Mönche dort ein Grab!“

Nie habe ich später wieder jemand etwas mit so hingebender Wehmut singen hören.

Ja, es war wirklich poetisch und sehr ergreifend, und das beste dabei war für mich, daß das Lied von einer Minna handelte, denn ich hieß auch Minna, und selbstverständlich fühlte ich mich gehoben und geehrt durch dieses Zusammentreffen, nicht ahnend, daß es mir einst zum Verhängnis werden sollte.

Auch nachdem Engel uns nach mehrjährigen treuen Diensten verlassen hatte, um mit einem taubstummen Schuster, der sie durchaus heiraten wollte, nach Amerika auszuwandern, lebten Ritter Ewald und die Minna unter uns Kindern fort, obgleich uns die Singerei von Engels Liedern verboten war. Das wahrhaft Schöne läßt sich eben nicht ausrotten!

Die Jahre vergingen, und von Engel hörten wir nie wieder. Bei uns schrubbte bald eine Ebbe, bald eine Antje oder Schana den Flur, aber so schöne Lieder wie Engel wußte keine. Wir Kinder hätten auch nicht mehr so viel Gelegenheit gehabt, sie zu hören, denn wir gingen nun alle in die Schule.

Die großen Brüder trugen ihre bunten Schülermützen mit mehr oder weniger Stolz, die älteren Schwestern schleppten ihren Atlas in die Schule, lernten Englisch und konjugierten widerwillig unregelmäßige französische Verben. Meine schwarzen Haare wuchsen sich zu ein paar dicken Zöpfen aus, die mir sehr lang und wohl oft recht zerzaust über die von der Sonne gebräunten Schultern hingen, und wenn es durchaus sein mußte und sich gar nicht vermeiden ließ, übte ich Tonleitern in Dur und Moll und lernte Geschichtstabellen und Einwohnerzahlen auswendig, bei denen ich mir nicht das mindeste dachte. Um so mehr dachte ich mir bei jeder Blume, die am Feldrain blühte, bei jedem Vogel, der vor mir aufflatterte, bei jedem Vers, der – oft unverstanden – mit Wohllaut mein Kinderohr umschmeichelte, und meine verträumten Augen sahen, glaube ich, Dinge, die niemand sonst sah.

Ja – wer noch einmal wieder so sehen und hören könnte wie damals, so voll Glanz die Welt, so voll geheimen, flüsternden

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 114. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0114.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)