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4.

Nach zweijährigem Studium in Wien kehrte Eugenie in ihre Heimat zurück. Sie sollte nun das Gelernte praktisch verwerten. Auf Wunsch der Fürstin trat sie 1847 in Leipzig auf, und über dieses Debüt besitzen wir von Ernst Pasqué, einem der Mitwirkenden, der späterhin ebenso wie die Marlitt ein beliebter Schriftsteller wurde, einen hübschen Bericht (im Feuilleton der „Frankfurter Zeitung“ vom 10. Oktober 1884), dem wir folgende Einzelheiten entnehmen.

„Es war im März des Jahres 1847, ich wirkte damals als Bariton auf der Leipziger Bühne, da trat eines Tages unser Chef, Dr. Schmidt, als Direktor reicher an Sorgen wie an Freuden, in den Probesaal, und teilte uns mit, daß die Fürstin von Sondershausen in Leipzig angekommen sei, in deren Gesellschaft sich eine junge Sängerin befände, die sie ihrer schönen Stimme, ihres Talentes halber habe ausbilden lassen. Fräulein Eugenie John (sie führte damals nur ihren Familiennamen) habe in Linz mit Glück debütirt und wünsche nun hier in Leipzig als Gast aufzutreten. Er, Dr. Schmidt, kenne zwar die junge Dame als Künstlerin nicht, doch, von der Frau Fürstin empfohlen, könne und wolle er deren Wunsch nicht entgegen sein; die angehende Sängerin scheine ihm nur ein wenig zu ängstlich und deshalb empfehle er sie dringend den Herren des Personals, mit denen sie zu singen haben würde, sowie dem Herrn Kapellmeister. Ihre erste Rolle würde die Gabriele in Kreutzers ,Nachtlager‘ sein. Stegmayer, der damalige Kapellmeister, ebenso gutmütig wie jovial, meinte schmunzelnd, sie möge nur kommen, in unserem lustigen Künstlerkreise (und es ging damals bei der Leipziger Oper sehr, fast zu lustig zu!) würde ihr die Schüchternheit schon vergehen, und habe sie wirklich Talent, so brauche sie sich vor unserem Publikum erst recht nicht zu fürchten. Mir, der ich den Prinz-Regenten, also meistens mit ihr, zu singen hatte, empfahl Dr. Schmidt die junge Dame ganz besonders. Dann wurde die Probe sowie der Tag der Aufführung der Oper festgesetzt und die nötigen Vorbereitungen des Gastspiels waren getroffen.

Auf der Probe erschien ein einfach gekleidetes junges Mädchen (Frl. John zählte damals etwa 21 Jahre), von fast zierlicher Gestalt mit hübschen freundlichen, etwas gebräunten Zügen, schwarzen Ringellocken und dunklen Augen, deren Aufleuchten sich jedoch meistens hinter den halbgesenkten Lidern barg. Direktor Schmidt hatte nicht zuviel gesagt, als er sie schüchtern genannt. Vor dem Orchester stehend, bebte sichtlich die ganze Gestalt und kaum ein voll hörbarer Ton ihrer Arie, mit der die Oper beginnt, wollte sich ihren Lippen entringen. Es bedurfte der ganzen gutmütigen Freundlichkeit Stegmayers, sie über diese erste Klippe hinwegzuleiten. Und es ging! Die Stimme war hübsch, auch ausreichend und ihre musikalische Sicherheit wie ihre Gesangsfertigkeit ließen nichts zu wünschen übrig – wenn sie nur imstande gewesen wäre, dies alles von sich zu geben und zur Geltung zu bringen! Die zweite Nummer, das Duett mit Gomez, vom Tenor Stritt, einem älteren Sänger gesungen, ging schon bester, denn Stritt, ein frischer lebensfroher Rheinländer, faßte die schüchterne Debütantin kräftig, wohl etwas allzukräftig an und riß sie mit sich fort. Dann nahte ihre Hauptscene mit dem Prinz-Regenten. Ich hatte die junge Debütantin von ihrer ersten Note an beobachtet und fühlte wahrhaft Mitleid mit ihr, besonders da in den Coulissen bereits allerlei Bemerkungen laut geworden waren, die, hätte Fräulein John sie hören können, ihr auch den letzten Rest ihres Mutes genommen haben würden. Ich gelobte mir im stillen, ihr nach besten Kräften beizustehen und fing dies ganz anders an als mein alter lieber Kollege und Freund Stritt. Mit größter Ruhe und nur mit halber Stimme sang ich zu, blickte sie freundlich, aufmunternd an, drückte beruhigend ihre Hand, und in den Pausen sprach ich ihr leise Mut ein, forderte sie auf, aus sich herauszutreten, und – ihr Auge leuchtete zum erstenmal auf! Ein Blick traf mich so voll innigen Dankes, daß ich ihn bis heute nicht vergessen habe. Auf ihren Wangen zeigten sich ein paar allerliebste Grübchen und nun erklang auch die Stimme voll und schön. Das langatmige, doch hübsche Duett ging ganz vortrefflich zu Ende und die Hauptarbeit war gethan. Was sie weiter noch zu singen hatte bis zu dem Schlußterzett, ging ohne den geringsten Anstoß vorüber – die Generalprobe war zu Ende.

Am anderen Tage kündete der unscheinbare graue Theaterzettel vom Montag, 8. März 1847 (er liegt vor mir) Kreutzers Oper: ,Das Nachtlager in Granada‘ an, und unten stand zu lesen: ,Gabriele – Fräul. John, Fürstl. Schwarzb.-Sondersh. Kammersängerin, als Gast.‘

Der Abend kam heran, und hier wiederholte sich leider, was wir in der Generalprobe erlebt hatten, nur in noch weit höherem – gefährlicherem Grade. Angst und Aufregung raubten der armen jungen Sängerin vollständig die Fähigkeit, ihre Stimme, ihr Talent auch nur zum kleinsten Teile geltend zu machen, und die beiden ersten Nummern der Oper gingen – ich darf es nicht verschweigen – spurlos vorüber. Doch bei unserm Duett änderte sich dies – Frl. John hätte unter gleichen Umständen ihre Partie auch kaum durchführen können. Ich nahm all meine Kraft zusammen, die ,Lust und auch den Schmerz‘, mein Beispiel, mein leisgeflüstertes Zureden wirkte wie ein Wunder auf die arme Gabriele, und sie gab diesmal wirklich ihr Bestes. Rauschender Beifall folgte dem hübschen Ensemble-Andante, und der Sieg war endlich glänzend errungen – wenn auch leider nur für diese Nummer. Im Verlauf der Aufführung, trotzdem Gabriele fast nur noch Lieder zu singen hatte, kehrte die ängstliche Scheu zurück und lähmte der Debütantin bestes Können und Wollen. Als am Schluß der Vorstellung stürmisch gerufen wurde, der Vorhang sich hob, standen wir drei: Gomez, Gabriele und der Prinz-Regent, in der Coulisse, doch Frl. John wollte nicht mit hervortreten. Da faßte ich sie energisch bei der Hand und zog sie fast gewaltsam auf die Scene vor das Publikum, das uns alle drei mit lauten Beifallsbezeugungen empfing. Dann war alles vorüber – vorüber auch für immer – wenn ich nicht irre – die Bühnenthätigkeit der jungen Sängerin.“

Pasqué irrte in der That, denn Eugenie gab trotz dieses aufregenden Abends, von dem sie später einmal selbst sagte: „er war ein scharfkantiger Markstein meines Lebens, der mich verwundete“ – die Bühne noch nicht auf. Sie kehrte zunächst nach Sondershausen zurück, und hier, auf der kleineren Hofbühne, sollte sie sich nun in aller Gelassenheit einüben, ein Repertoire schaffen und nach fest gewonnener Sicherheit neuerdings den Ausflug in die weite Welt wagen. Die Ehescheidung der Fürstin im Jahre 1847 beschleunigte diesen Ausflug, und im Herbst 1848 war Eugenie wieder in Wien, bei der Familie Huber, nun dringender nach einem Engagement ausspähend. Das war im Revolutionsjahr, wo die Theater leer standen, natürlich sehr schwer. Der berühmte Tenorist Erl von der Wiener Hofoper interessierte sich für das Fräulein Eugenie Arnstädt, wie sich unsere Dichterin auf dem Theaterzettel nannte, und auf seine Veranlassung kam sie im Januar 1849 nach Olmütz, wo der Wiener Hof sein Lager hielt und Wiener Hofschauspieler und Hofopernsänger vor dem Kaiser Franz Joseph spielten. Eugenie trat als Alice an Erls Seite in „Robert der Teufel“ in der ersten Februarwoche auf; nach ihrem eigenen Bericht (vom 16. Februar 1849 an Frau von Huber) mit Erfolg: „Nach der ersten Arie am Kreuz habe ich Applaus gehabt und bin am Schluß mit Erl gerufen worden … Nach jeder gelungenen Stelle flüsterte Erl mir zu: Sie haben ausgezeichnet gesungen. Auch mein Spiel fand man über alles Erwarten … Ich habe namenlose Angst gehabt, so daß ich kein Glied habe still halten können. Ich habe übrigens wenig Fehler gemacht, so daß durch mich nicht die geringste Störung eingetreten ist. Wenn es Erl glückt, mich im Kärnthnerthore anzubringen (er hat erklärt, daß meine Stimme größer als die der Hasselt war), so bin ich so glücklich, die liebe theure Hubersche Familie wiederzusehen.“

Das glückte aber nicht, auch nicht das Engagement beim Direktor Mühling in Frankfurt a. M., worüber unterhandelt wurde, und Eugenie kehrte in die Heimat zurück, ohne Wien wiedergesehen zu haben. Von Arnstadt aus machte sie in Begleitung ihrer Mutter in den folgenden Jahren Kunstreisen in österreichische Provinzstädte, bis nach Krakau und Lemberg, wo sie in ihrem Fache als Primadonna auftrat, und wer weiß, wie sich noch ihr ganzes Leben gestaltet hätte, wenn nicht eine allmählich eingetretene Schwerhörigkeit der ganzen Bühnenlaufbahn schon nach zwei Jahren ein Ende bereitet hätte. Das Leiden war eine Folge der Ueberanstrengung beim Singen und der großen Aufregungen und der Angst, welche Eugenie jedesmal beim Auftreten auf der Bühne befielen, ohne daß sie ihrer Herr werden konnte.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 151. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0151.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2023)