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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

macht mich auch schwermütig. Nicht, weil ich die eigene Jugend zurücksehne – kein Kluger will ein zweites Mal leben – nur, weil ich fühle, wie wenig mir von der Jugend geblieben ist. Graue Haare, die ‚einstens‘ braun gewesen – sonst nichts. Warum ich nicht glücklich wurde? Das weiß ich. Aber warum ich nicht geheiratet habe? Das ist mir dunkel. Thu’ es, Heinz! Thu’ es! Und werde Vater! Denn mir scheint, als wäre in dieser Schmutztruhe, die man Leben nennt, die Freude am Kind das einzige Reelle, der einzig wirkliche Wert, auch wenn seine Süßigkeit sich ‚menget mit Bitterkeit‘! Oder glaub’ ich das nur, weil das am Leben das einzige ist, das mir fremd geblieben? Denn alles andere kenn’ ich – und weiß, daß es die Spesen der Erfahrung nicht aufwiegt. Aber nein! Dieser einzige Lebensglaube – der Glaube an einen Gott, zu dem ich niemals beten durfte – der soll mir bleiben für den Rest meiner Tage. Ich habe doch Deiner Mutter Freude an Dir gesehen. Und das überzeugt! Denn ich begriff, daß sie um dieser einzigen Freude willen alles andere verschmerzen konnte. Und im kleinen seh’ ich es auch an meiner Schwester. Wenn die vier wilden Fohlen sie gepeinigt haben, daß sie vor Schmerz und Verzweiflung heult – fünf Minuten später spielt sie ‚Mutter der Gracchen‘ und sagt mit Applomb und strahlenden Augen: ‚Meine Söhne!‘ Und da nasch’ ich nun ein bißchen an ihrer Freude mit, bin ‚Onkel Goni‘ und lasse mich schinden. Ich thu’ es, da ich Zeit habe, denn meiner Freundschaft für Dich sind die Hände gebunden, und ich bin in der Schlichtung Deiner ‚Affaire‘ zu einem Nichtsthun verurteilt, das mir durchaus nicht ‚süß‘ erscheint.

Ich habe wohl das Möglichste versucht, um eine Auseinandersetzung mit ihr herbeizuführen. Aber sie spielt die gekränkte Fee und macht sich unsichtbar. Ihre Villa in Hietzing hat scheinbar im Sommerschlaf die Augen geschlossen, und der Portier schwört falsche Eide, daß die gnädige Baronin ihm ‚unbekannten Aufenthaltes‘ sei. Ihr Anwalt erklärte, daß er ‚keinerlei Auftrag‘ hätte, und ‚vermutete‘, daß sie in Ostende wäre. Aber sie ist hier, in ihrer Villa. Gestern früh brachte mir mein Agent die Mitteilung, daß am 28. abends 9 Uhr ein Coupé vor der Villa angefahren wäre und eine Stunde gewartet hätte. Und weißt Du, wem das Coupé gehörte – am 28. Juli ein geschlossenes Coupé? – dem süßen kleinen Mucki! Dem Sensburg! Er brachte ihr wohl die Neuigkeit, daß er Dich in Innsbruck traf. Hoffentlich hast Du ihm nicht klipp und klar gesagt, wohin Du fährst! Na also – gestern mittag fuhr ich zu ihm, mit den vier Jungen im Wagen. Ausrede: ob er nicht einen netten Engländer wüßte, der meine Neffen im Tennis trainieren könnte. Den wußte er natürlich. Und dann fragte ich so nebenbei, ob er nicht gestern abend bei der Pranckha gewesen wäre. Er wurde rot und leugnete. Das wunderte mich – nicht, daß er leugnete – aber daß dieser Bursche noch erröten kann. Und das ist alles, was ich Dir zu berichten habe. Aber ich warne Dich, lieber Heinz! Was sie mit dieser monatelangen Zurückhaltung bezweckt, versteh’ ich nicht. Aber irgend etwas plant sie! Ich warne Dich, Heinz! Denn daß sie Dich ‚friedlich ziehen‘ läßt, das bilde Dir nur ja nicht ein. Fürst Ettingen zu Bernegg ist ein liebes Hühnchen, das allzuschöne Federn besitzt. Sie wartet nur den günstigen Augenblick ab, um Dich wieder einzufangen. Daß sie dabei mit Deinem Herzen rechnen kann, das brauch’ ich heute wohl nicht mehr zu fürchten. Aber sie wird ihren Kalkul auf Dein Blut setzen. Und ich warne Dich, Heinz! Wenn Dir die schöne Katze mit süßem Schnurren an den Hals springt – schüttle sie ab! Gleich! Denn nur in der ersten Sekunde wirst Du die Kraft dazu haben – nicht mehr in der zweiten Minute. Da hat sie Dich!

Hörst Du: sie trommeln schon wieder! ‚Onkel Goni, Du bist unausstehlich!‘ Diesen Vorwurf muß ich entkräften. Also Schluß!

Dein ‚Schweigen‘ sollst Du in wenigen Tagen bekommen. Ich habe eine herrliche Radierung aufgetrieben und einen tüchtigen Künstler beauftragt, dem Blatt einen Hauch Farbe nach dem Original zu geben. Morgen oder übermorgen wird das Bild an Dich abgehen. Am liebsten wär’s mir, ich könnt’ es Dir selber bringen. Aber sobald ich die vier Jungen wieder losbin und sehe, daß ich Deinem ‚Frieden‘ hier in Wien nicht weiter nützen kann – dann komm’ ich. Und dann wollen wir selbander schöne Klapphornverse erleben:

Zwei Knaben gingen durch den Wald,
Der eine jung, der andre alt …

die heitere Pointe wird sich finden lassen. Bis dahin mit Gruß, mit herzlicher Treu, aber auch in Sorge

Dein alter 
Goni Sternfeldt.“ 

Als Ettingen gelesen hatte, trat er, den Brief noch in der Hand, zum offenen Fenster und blickte lächelnd über den Bergwald hinaus. „Sorge? … Nein!“

Nur eine einzige Stelle des Briefes las er ein zweites Mal: „Dein ‚Schweigen‘ sollst Du in wenigen Tagen bekommen …“

Nun bemerkte er erst, daß die letzte Seite des Briefes noch eine Nachschrift hatte: „Soeben kommt Deine Depesche. Emmerich Petri? Wo hast Du nur diesen Namen so plötzlich aufgefischt? Auf der Gemsbirsche? Ist das einer, von dem die Steine reden, da die Menschen von ihm schweigen? Ich habe in einem Lexikon der ‚Kunstentwicklung des 19. Jahrhunderts‘ nachgeschlagen – der Name fehlt. Doch glaub’ ich mich dunkel zu erinnern, daß ich diesen Namen, oder einen ähnlichen, während des letzten Winters mehrmals in Künstlerkreisen nennen hörte. Aber dieser Winter! Da hatt’ ich doch meine liebe Sorge mit Dir und Deinem Wahnsinn! Wie wär’ ich da kapabel für Kunstgespräche gewesen. Emmerich Petri? Der Name klingt mir im Ohr, doch meine Erinnerung ist leer. Aber ich fahre noch heute ins Künstlerhaus, um einen Augur in moderner Kunstgeschichte zu erfragen, und dann will ich sehen, was sich erfahren läßt.“ –

Mit der gleichen Post, welche diesen Brief gebracht hatte, war auch ein anderer gekommen – an Martin. Und sein Inhalt versetzte den sonst so gemessenen Herrn in solche Erregung, daß er in der gleichen Stunde noch den Förster aus seinem Mittagsschläfchen aufrüttelte. „Herr Förster! Ich komme mit einer Bitte. Sie müssen mir helfen!“

„No also! Schießen S’ los! Was is denn?“

Es handle sich um eine „freudige Ueberraschung“ für Seine Durchlaucht, erklärte Martin. Eine hohe Dame, natürlich eine nahe Anverwandte des Herrn Fürsten, käme nächster Tage zu Besuch ins Jagdhaus – wann, das wäre noch nicht genau bestimmt – aber um Seiner Durchlaucht die „ungeahnte Freude“ nicht zu verderben, müsse die Sache so geheim wie möglich gehalten werden. Vor allem müsse für den hohen Besuch das Grafenstüberl „entsprechend“ eingerichtet werden, und da hätte er nun soeben von Innsbruck die Mitteilung erhalten, daß der Wagen mit dem Mobiliar und der Dekorateur mit seinen Gehilfen schon am nächsten Abend eintreffen würden. Jetzt müsse nun um jeden Preis ein Mittel gefunden werden, um die Durchlaucht für zwei Tage vom Jagdhaus zu entfernen – denn zwei Tage wären zur „Adaptierung“ des Zimmers unumgänglich notwendig.

Der Förster, der sich ehrlich freute, bei einer angenehmen Ueberraschung für seinen Herrn mithelfen zu dürfen, brauchte nicht lange zu überlegen. Die Sache wäre ganz leicht zu machen: man müsse eben dem Herrn Fürsten zureden, einen längeren Jagdausflug zu unternehmen, vielleicht zum Sebensee. „Denn wissen S’, der Sebensee, der g’fallt ihm arg gut … das hab’ ich schon g’merkt. Morgen um Mittag kann er mit’m Pepperl abmarschieren, in der Sebenwaldhütten bleibt er über Nacht … ’s Hütterl is sauber eing’richt’t … am ersten Tag macht er ein’ Birschgang über’n Sebensee ’nauf, und für den zweiten Tag verarranschier’ ich ein nett’s Treibjagderl! Das macht ihm schon Freud’, da geht er schon!“

Mit Eifer nahm der Förster auch gleich die „Verarranschierung“ in Angriff und schickte durch den Postboten die Nachricht an die Leutascher Jäger, binnen zwei Tagen mit sechs Treibern im Jagdhaus einzutreffen. Als er dabei hörte, daß Mazegger, den er all die Tage her nicht gesehen hatte, am Abend zuvor in Leutasch gewesen wäre, gab’s ein Gewitter mit „Blitz und Hagelschlag“. Und damit ihm Mazegger, wenn er spät am Abend in die Hütte zurückkehren würde, nicht wieder auskäme, legte er ihm einen Zettel auf den Tisch: „Morgen bleibst daheim. Ich muß was reden mit dir! … Förster Kluibenschädl.“

Beim Diner trug er dem Fürsten sein „Planerl“ vor und schilderte ihm die Weidmannsfreuden einer Gemsbirsche beim Sebensee und einer Treibjagd auf Hirsche im Gaisthal mit so

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0167.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2023)