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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

„So sieh nur, Lo’! Der Regen läßt ja schon nach! Wirst sehen, wir werden heute noch den schönsten Abend bekommen.“

„Meinst du?“ Ein seltsames Lächeln huschte um ihre Lippen.

Während der Knabe sein Geplauder wieder begann, wurde der Regen immer dünner. Aber es war etwas Schwüles und Unheimliches in dieser trüben Stille der Natur. Das Gewölk hing regungslos in der Luft und färbte sich immer dunkler. Zu einer Stunde, in der es bei klarem Himmel noch heller Tag hätte sein müssen, begann es schon zu dämmern. Und da hörte man fernen Donner. Der Sturm fiel ein und jagte mit brausenden Stößen den Nebel in dichten Schwaden über das Seethal herunter, so daß die kleine Hütte wie von wirbelnden Schleiern umhangen war. Immer näher tönte das Rollen des Donners, Schlag auf Schlag, und bald setzte dieses Grollen und Dröhnen nicht mehr aus; das Echo eines Schlages rollte solange, bis mit Geschmetter ein neuer Schlag wieder einfiel.

Als der Sturm gekommen war, hatte Lo’ in der Hütte die Lampe angezündet und an den zwei kleinen Fenstern die Läden geschlossen. Beim Einbruch der Dunkelheit aber öffnete sie plötzlich den Laden des Fensters wieder, das gegen die Berge blickte.

„Lo’? Warum thust du das?“

„Damit die Lampe hinausleuchtet.“

„Warum? Meinst du denn, es könnten noch Menschen draußen sein? Jetzt?“

„Ja, ich fürchte …“

Schweigend begann sie den Tisch zum Thee zu decken und schürte im Herd ein kleines Feuer an.

Gustl, der unter die Thür getreten war, fuhr plötzlich erschrocken zurück. Der erste Blitz war in das finstere Seethal niedergefahren. Man hatte keinen Strahl gesehen, aber der Nebel, den der Sturm an der Hütte vorüberjagte, war jählings wie in lohendes Feuer verwandelt, und dazu rasselte ein Donnerschlag, als wäre von den Bergen eine Felswand niedergebrochen.

Lo’ trat unter die Thür und faßte wortlos die Hand des Bruders.

Wieder flammte ein Blitz, und schwer begann der Regen zu fallen. Mit Geplätscher ging von allen Kanten des Daches die Traufe nieder, und mit dem Strömen und Rauschen des Regens mischte sich das Brausen des wachsenden Sturmes.

Da erwachte auch in dem Knaben eine Sorge. Er hatte an die Mutter gedacht und fragte scheu:

„Sag’, Lo’! Meinst du, daß es draußen bei uns in Leutasch auch so schlimm ist?“

„Nein.“

Der Sturmwind peitschte die Wasserfäden der Traufe bis auf die Schwelle der Hüttenthür.

„Komm, Lo’, wir müssen die Thüre schließen … dein Kleid wird naß.“

Sie schwieg und blieb auf der Schwelle stehen.

„Aber, Lo’, was hast du denn nur? Ach, du … wie deine Hand zittert! Lo’?“

Ohne zu antworten, drückte sie den Knaben enger an sich. Doch plötzlich fuhr sie lauschend auf, sprang in den Regen hinaus und stammelte:

„Ja, ja, sie kommen …“

Nun konnte auch Gustl das Klirren eines Bergstockes und eine vom Sturmwind halb verwehte Stimme hören.

Lo’ hatte einen klingenden Laut in die Nacht hinausgeschrieen, und als zwei Stimmen Antwort gaben, rief sie: „Herr Fürst? Sind Sie es?“

„Ja, Fräulein!“ Man hörte ein Lachen, das im Lärm des Regens unterging. „Und Ihre Hütte kommt uns gut in den Weg!“

Lo’ sprang in den Schutz des Daches zurück, schüttelte die Regentropfen aus dem Haar und lächelte, als wäre alle Unruhe und Sorge der letzten Stunden plötzlich von ihr abgefallen.

Man hörte die stolpernden Schritte der beiden Männer, welche den Zaun umgingen, das Klappern ihrer Bergstöcke und die Stimme des Jägers, der seinem Herren voraus war und ihm in der Finsternis den Weg erklärte: „Da bin ich, Duhrlaucht, da! Zehn Schritt g’rad’aus auf mich … und jetzt wieder links … soooo, jetzt haben wir’s gleich!“

Gustl erkannte die Stimme. „Lo’! Das ist ja der Pepperl! … Aber wer ist denn der andere?“

„Fürst Ettingen,“ sagte die Schwester und nahm den Knaben um den Hals.

„Der so lieb und gut von Papa gesprochen hat?“

„Ja!“

„Ach, Gott sei Dank, daß der jetzt unterstehen kann bei uns!“

Ein Blitz durchleuchtete grell den Nebel, als die beiden Männer in den Garten traten. Aber diese Helle blendete nur die Augen, und in der schwarzen Finsternis, die ihr folgte, verfehlte Ettingen den Weg zur Hütte und strauchelte über die Rabatte eines Beetes. Aber da hatte schon eine Hand die seine gefaßt und zog ihn unter das vorspringende Dach.

„Ihre Hand, Fräulein, führt gut und sicher. Ich danke Ihnen! Aber mein Sturz wäre nicht so schlimm geworden … ich wäre ja nur in Blumen gefallen.“

„Aber in nasse,“ meinte sie heiter, „und ich glaube, Sie könnten schon zufrieden sein mit dem Wasser, das von Ihnen herunterläuft!“

„Das ist nur der Mantel!“ Ettingen lachte und befühlte unter dem triefenden Loden seine Kleider. „Wirklich, unter dem Mantel bin ich leidlich trocken – aber lange hätt’ es nicht mehr dauern dürfen, dann wär’s durchgegangen.“

„Ja, heut’ hätt’s uns schiech derwischen können,“ sagte Pepperl, während er sich schüttelte, daß die Tropfen wie ein Sprühregen um ihn her flogen. Er war aber auch weit übler weggekommen als sein Herr, denn er trug um die Schultern nur ein dünnes Radmäntelchen, mit dem er viel mehr die Büchse seines Jagdherrn als sich selber vor dem gießenden Regen geschützt hatte. „Teufi, Teufi, Teufi! Das is aber schon ’s reine Glück heut’ …“ Ein krachender Donnerschlag erstickte, was Pepperl noch weiter sagte. Er stellte die Büchse an die Hüttenwand, half seinen Herrn aus dem klatschenden Loden wickeln und hängte die beiden Mantel an das Epheuspalier, damit von dem Zeug die ärgste Nässe abtropfen konnte.

Ein rauschender Windstoß fegte unter das Dach herein und machte in der Hütte die Lampe flackern.

„Aber so kommen Sie doch, ich bitte,“ mahnte Lo’, während sie die Thüre geöffnet hielt. „Im Mantel muß Ihnen warm geworden sein … und bei solchem Weg! Kommen Sie! Und nicht wahr, eine Tasse Thee darf ich Ihnen doch anbieten?“

„Ja, Fräulein! Die wird mit Dank in Empfang genommen. Und wenn Sie noch was dazu haben, das nehm’ ich auch! Ich habe heut’ eine leise Ahnung von dem, was man einen Wolfshunger nennt.“

Er reichte ihr über die Schwelle die Hand, blickte mit frohen, glänzenden Augen zu ihr auf und trat in die Stube.

Groß war sie freilich nicht, diese Stube im Sebenhäuschen. Aber wie gemütlich! In der einen Ecke stand das mit einer weißen Decke verhangene Bett, in der anderen ein alter Schlafdiwan, der schon zum Nachtlager für den Knaben hergerichtet war, darüber ein kleiner Wandschrank, und in der dritten Ecke der gemauerte Herd. Außer einer niedrigen Truhe und einem Rahmen für das Geschirr bestand das ganze übrige Mobiliar aus zwei Holzstühlen und einem Tisch, der in der Mitte des Stübchens unter der hellbrennenden Hängelampe stand und schon zum Thee gedeckt war. Neben dem singenden Theekessel schmückte eine Borkenvase mit Edelrosen den weißen Tisch. Ueberall an den hübsch getäfelten Wänden waren große Waldschwämme und Rindentrichter mit Blumen- und Gräsersträußen angebracht, und die Ecken waren ausgefüllt mit großen Bouquets aus Latschenzweigen, deren kräftiger Harzduft den ganzen Raum erfüllte.

Ettingens Augen blieben an dem Knaben haften, der sich bescheiden und ein wenig verlegen in die Ecke neben dem Herd zurückgezogen hatte.

„Das ist wohl Ihr Brüderchen, Fräulein … das Studenterl, das vorige Woche in Ihrem Haus erwartet wurde?“

„Ja, Herr Fürst.“

„Na, schön’ guten Abend, kleiner Mann! Und da du der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0199.jpg&oldid=- (Version vom 6.3.2019)