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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


Die Komödie des Todes.

Eine Dorfgeschichte aus Steiermark von Peter Rosegger.


1.

Der Ferge Meinhardt kauerte am Ufer des Flusses und lehnte sich an den Block, an welchen der Kahn gebunden war. Er stützte den Ellbogen aufs Knie und den Kopf auf die Hand. Sein gebräuntes noch jugendliches Gesicht hatte einen Zug finsteren Grames. Er schaute hinaus in die abendliche Gegend. Vor ihm der breite Fluß, auf welchem die grauen Wässer des Hochgebirges rasch und lautlos dahinwogten. Diesseits grünes Hügelgelände mit Landhäusern und Obstgärten; jenseits die steilen, schluchtigen Berghänge mit den dunklen Fichtenwäldern. Hinter den Bergen war die Sonne vergangen und hatte einen brennenden Goldgrundhimmel zurückgelassen. Wozu? – Die schöne Natur ist nichts, wenn der Mensch ein banges Herz hat. Der Ferge sah nicht die liebliche Landschaft, er sah nur sein inneres Elend. Unglückliche Liebe – zu seiner Frau! Seit drei Jahren mit der drallen, schneidigen Frau Josefa verheiratet, hatten sie in Zank und Streit alles verwüstet, was einst so taufrisch und heilig aufgewachsen war in ihren Herzen. Die süße, die innige Neigung zu einander war dahin, die Eifersucht war geblieben. Frau Josefa hielt ihm vor, daß er, wenn ein junges Weib auf dem Kahne sei, langsamere Fahrt mache über den Fluß als sonst, was ja gar nicht möglich war, weil das Fahrzeug, das vermittelst Tau und Rädchen an dem querübergespannten Strange lief, vom Wasser selbst getrieben wurde. Da kann der Ferge mit dem Ruder nicht viel dazuthun. Aber sie mußte wohl eine Entschuldigung brauchen für ihre eigene Aufführung! Der Zottel! Dieser Stadtzottel! Der schwarze Kohlenschreiber vom Eisenwerk! – Dort oben ….

Meinhardt lauerte durch das Buschwerk. – Dort auf dem Fußsteig schleicht er ja wieder. Jetzt deckt ihn das lange Korn, so daß nur der Hut sichtbar ist – wie ein Rabe über den Aehren. Meinhardt hatte sein Weib heute wieder zur Rede gestellt, was sie so viel mit dem Kohlenschreiber zu schwatzen habe? Warum sie aus dem Hause trete, so oft er vorüberging? Das hatte er sie gefragt. Und sie gab lachend zur Antwort: „Damit er nicht ins Haus zu treten braucht.“ Sie wolle es sich aber nicht vorschreiben lassen, mit wem sie plaudern dürfe und mit wem nicht! – Es käme darauf an, was geplaudert würde! Darauf seine Gegenrede. Und sie: „Na, streiten thun wir nicht, der Schreiber und ich, das kannst glauben.“ So lockte ein böses Wort das andere hervor, anfangs hämisch, dann zornig, endlich wütend, bis er ihr die wildesten Schimpfworte, die schwersten Flüche ins Gesicht schleuderte und wie rasend davonlief. Da saß er nun in friedlicher Abendstunde am wogenden Wasser und überdachte alles wieder. Tief schmerzten ihn die bissigen Bemerkungen, die sie ihm zugeworfen, noch tiefer aber die kieselharten Worte, die er ihr an den Kopf geschleudert hatte. Als nun der Kohlenschreiber dort oben vorbeigehuscht war, wohl die Richtung her, wo am Raine das Haus des Meinhardt stand, da kam der Ferge neuerdings in Aufruhr. Der Kohlenschreiber Franz Grassing war noch nicht lange in der Gegend, hatte aber schon seinen Ruf. Einen doppelten. Die wunderlichen Kleider waren zuerst aufgefallen, in denen der aus der Stadt zugereiste Beamte umherging. Er trug sich immer schwarz, hatte an den Sonntagen sogar den hohen Seidenhut auf dem Kopf, und wenn er ihn bei höflichem Gruße abzog, sah man, wie fein sein dunkles Haar geölt, wie reizend es gekräuselt war. Sein ebenso sorgfältig gewundenes Schnurrbärtchen soll sehr zart und weich gewesen sein, wußte mehr als ein Weibsbild zu sagen. Uebrigens kannte man sich an dem Kohlenschreiber nicht recht aus. Wenn er nüchtern war, that er überaus ernst und redete mit Männern unheimlich wenig; wenn er Wein getrunken hatte, schwatzte er manchmal arg viel und krauses Zeug. Da legte er gerne aus, wie verliebt er sei und wie unmöglich die Weiber ihm widerstehen könnten. Dann geschah es auch, daß er betrübt und klagend wurde, weil er die eine, die er meine, immer noch nicht herum hätte, und plötzlich wurde er zornig und schrie gewaltig in die Wirtsstube hinein, daß noch ein Unglück geschehen werde! – Die Leute machten sich über den eitlen, überspannten Menschen lustig, aber nicht alle. – Eben heute, mittags, hatten der Meinhardt und sein Weib des Kohlenschreibers wegen gestritten. Von einem solchen Zorn im Wirtshaus war die Rede gewesen, da hatte die Josefa gesagt: „Wenn er ein heißes Herz hat! Gut für den, der eins hat. Der, wenn er die Rechte findet, ist noch auf gleich zu bringen. Die Dummheiten müßte man ihm freilich abgewöhnen!“

„Na, Respekt!“ hatte hierauf ihr Mann bemerkt, „du kannst den Leuten die Dummheit abgewöhnen!“

„Verkehr’ die Red’ nicht!“ hatte sie scharf zurückgeworfen, „ich hab’ nicht gesagt, die Dummheit, ich hab’ gesagt, die Dummheiten. Die Dummheit kann man niemand abgewöhnen. Die Dummheiten hat schon oft einer sein lassen, wenn das rechte Weib dazugekommen ist!“

„Wolltest es nicht du probieren?“ hatte er giftig entgegnet.

„Wenn ich nicht mehr Glück hätte als bei dir!“ darauf sie.

So hatten sie sich wieder einmal hineingeredet in allen wüsten Herzensgrimm. Des Kohlenschreibers wegen!

Und diesem Menschen eilte Frau Josefa aus dem Hause entgegen, wenn er vorüberging! Beim Brunnen standen sie und plauderten, er sehr artig, sie sehr schneidig, aber doch so voller Munterkeit und Gütigkeit, wie sie zu ihm – dem Ehemann – fast nie mehr war. An den Gauch verschwendete sie all ihre Liebenswürdigkeit, so daß für ihn, den Meinhardt, wenn er von seinem harten Tagwerke heimkam, nichts übrig blieb als Zank und Hader.

Von Marienthal her klang das Glöcklein zum Ave Maria. Der Ferge zog nicht den Hut vom Haupt, er war zu verbittert, um jetzt beten zu können. Das Gebet wollte er sich nicht vergiften. Aber heimgehen wollte er jetzt und ihr einmal gehörig den Standpunkt klar machen, der ihr dem Gatten, dem Ernährer und Beschützer, dem Wahrer der Ehre des Hauses gegenüber gebührte. Und wenn es Trümmer giebt, heute ist ihm alles eins!

Noch untersuchte er das Seil, ob der Kahn wohl gesichert wäre, da schrillte vom jenseitigen Ufer herüber ein Pfiff. Dort stand ein Mann in fahlfarbiger Kleidung, die sich vom Erdboden kaum abhob. Er legte seine hohlen Hände an den Mund und rief wie durch ein Sprachrohr: „Hol’ über!“

Der Ferge legte die hohle Faust ans Auge, die war sein Fernrohr, durch das er den Blick zu schärfen pflegte. Er erkannte sofort den Mann und schrie hinüber: „Heut’ wird nicht mehr gefahren. Es hat Acht geschlagen!“

„Was es geschlagen hat, wirst du später hören. Hol’ nur über!“ So der andere.

„Bleib’ drüben, alter Lump!“ rief der Ferge.

Und der andere: „Aber schau, Brudersmensch, Lumpen können unmöglich herüben bleiben, da im Wald giebt’s kein Wirtshaus!“

„Kannst so wieder den Fahrgroschen nicht zahlen!“

„Hol’ über!“ rief der andere.

Da dachte der Meinhardt: Was soll der arme Teufel denn machen drüben im Walde! Hakte den Kahn los, der glitt über die Wellen hinaus und das Rädchen rasselte am Eisenstrange dahin.

Und drüben stand er, in seinem zerschlissenen Anzug, auf dem Kopf eine alte Zipfelmütze, die einmal bunt gewesen war. Auf schlankem, strickaderigem Halse ein eingetrocknetes Gesicht, ein bartloses und ein zeitloses, denn man wußte nicht, ob es jung oder alt war. Zwischen den sehr engestehenden listigen Aeuglein ragte eine scharfe, geierschnabelähnliche Nase. So stand er da mit verschränkten Armen und gackerte. Denn so war sein Lachen, als er das Fahrzeug mit dem Fährmann herangleiten sah. Bevor dieser noch gelandet, sprang er vom Ufer flink hinein, dem Meinhardt um den Hals fallend, so daß beide wankten und dem Sturze nahe waren.

„Wie?“ lachte er dann dem Fergen ins Gesicht. „Bist du denn nicht glückselig, daß du deinen Klacherl wieder hast, den alten Busenfreund, für den du immer betest, daß ihn der Teufel holen soll? Mußt ein großer Sünder sein, weil dein Gebet noch nicht erhört worden ist!“

„Willst hinüber? Dann laß das Frozeln.“

Der Klacherl ließ es aber nicht. Als sie mitten auf dem reißenden Flusse waren und bei jedem Wellenstoß das Tau wie eine Saite dröhnte, sagte er dem Meinhardt gar süßlich unters Gesicht hinein: „Wenn der Strick jetzt reißt, holt er – derjenige! –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0209.jpg&oldid=- (Version vom 21.6.2020)